Kautsky-Ronsperger, Luise, sozialistische Schriftstellerin und Übersetzerin (1864-1944). Eigenh. Brief mit U.

Berlin, 6. III. 1906.

4 SS. auf Doppelblatt. 8vo.

 400,00

An Basci [?]: "Es geht die angenehme März daß Sie beabsichtigen hierherzukommen. Hoffentlich bewahrheitet sichs und Sie kommen nicht auf allzu kurze Zeit und auch nicht gerade dann wenn die Jungens abwesend sind, was etwa zwischen 13. u. 20. April der Fall sein wird. Die würden diesen Schmerz doch nicht überleben, Sie versäumt zu haben. Wenn Sie aber jetzt gleich kämen, wärs fein, denn die Bande kriegt morgen frei und könnte mit Ihnen etwas Freiheit genießen, was natürlich doppelt süß wäre [...] Für Ihre lieben, guten Worte anläßlich meiner Krankheit danke ich Ihnen von Herzen; man freut sich doch immer, wenn man bei Lebzeiten noch einige schöne Nekrologe kriegt und merkt, daß es manchen leid täte, wenn man allzu frühzeitig abkratzte. Erholt bin ich noch immer nicht ganz; es ist eine verflixte Krankheit, die große Blutarmut zurücklässt und dazu kam noch die Komplikation mit dem Haxel, die mich immer wieder zurückwarf. Es war für mich eine ganz neue Erfahrung, mich u schonen u. als Schonungsbedürftige behandeln lassen zu müssen. Aber man gewöhnt sich auch daran; und die Krankenstube hat auch ihre Freuden. Vor allem einmal wieder so recht nach Herzenslust lesen zu können, das ist was besonders Feines. Ein ganzes dickes Buch in einem Zug hinunterschlingen ohne tausendmalige Unterbrechung - so gut gieng mirs seit meiner Mädchenzeit nicht. Jetzt ist es schon wieder aus damit, die Erde hat mich schon wieder mit ihren tausend kleinen und kleinlichen Forderungen, aus denen sich das Leben der meisten Weiber zusammensetzt, die gerne sehen, daß ihre Umgebung sich wohl fühlt.

Doch genug von mir. Der Alte ist scheußlich geplagt, Wurm ist noch immer in Italien und will und will nicht besser werden. Nun macht es Karl seit vielen Wochen allein, da Ledebour während der Reichstagsdiskussion noch weniger leistete als vorher und das Geld für ihn so gut wie hinausgeschmissen war. Wir sind begierig, wie lange sich die Sache noch so hinziehen wird; da wir doch noch immer hoffen, daß Wurm wieder arbeitsfähig wird, so ist es auch nicht möglich, sich um Ersatz für ihn umzusehen, denn für einige Wochen oder Monate kann man doch Niemand aus seiner Stellung reißen; also heißt es abwarten, aber es tut Einem leid, daß Karl so viel Kraft und Zeit an den Kleinkram verschwenden muß, während er eine selbständige Arbeit nach der andern wegen Mangel an Ruhe u. Zeit ad acta legen muß. Hoffentlich ist bis zu den Ferien die Sache im Geleise; Mehring will zwar einspringen, aber besser wärs, es wäre nicht nötig [...]".

Die Publizistin und Übersetzerin Luise Kautsky, die zweite Gattin von Karl Kautsky und langjährige Freundin von Rosa Luxemburg, wurde im September 1944 in Auschwitz ermordet.

Die von Karl Kautsky und Emanuel Wurm 1883 gegründete "Neue Zeit" war bis 1923 die wohl wichtigste Theoriezeitschrift der SPD.

Auf Briefpapier mit gedr. Briefkopf der "Neuen Zeit"; stark angestaubt und angeschmutzt.

Art.-Nr.: BN#19625 Schlagwörter: , ,