Angermayer, Fred Antoine, Schriftsteller (1899-1951). 8 (davon 2 eigenh. und 6 ms.) Briefe und 3 (davon 2 eh. und 1 ms.) Postkarten mit U.

Wien, 1949 bis 1951.

Zusammen 18 SS. auf 11 Bll. 4to (Briefe) und qu.-8vo (Postkarten). Mit 7 (davon 2 eh. und 5 ms. adr.) Kuverts. Beiliegend 2 (1 eh. und 1 ms.) Postkarten von Antoines Frau Olga.

 1.800,00

Berührende letzte Briefe aus den für Angermayer schließlich letalen Jahren in Wien an Josef Wesely.

"Die Dauerhitze von 30° (im Zimmer) nimmt einem die Tagesharmonie + die Nachtruhe. Es ist bei mir nur völlige, eine absolute Erschöpfung der sogenannten Lebensgeister, eine seelische Kachexie, die sich der körperlichen zugesellt. Ich stamme von kerngesunden oberösterr. Bauern, habe aber 1.) viel zu viel produziert 2) in den vergangenen 2 Wiener Jahren viel zu viel mitmachen müssen [...]" (Br. v. 26. VIII. 1950).

"[...] Nein, liebster Pepi, Wien ist eine schreckliche Stadt, zu Fuß würde ich weggehen, wenn ich wüsste, wo ich einen Unterschlupf fände. Da wir hier eine so hohe Wohnmiete bezahlen müssen, ist natürlich auch nur der Schatten einer 'Existenz' ein Witz. Es ist klar, daß meine Erkrankung auch von einer anhaltenden Unterernährung herrührt [...] Jetzt kommt der Winter. Unser Zimmer hat nicht einmal einen - Ofen [...] Es steht wohl ein Ofen im Zimmer, der ist aber seit - 1920 (sic!) ausser Betrieb und kaputt. Das mir das 'Leben' unter solchen Umständen wenig Freude macht, werden Sie mir nachfühlen, und ich lege mich Nacht um Nacht mit dem innigsten Wunsch hin - nicht mehr aufzuwachen. Und jeden grauen Morgen erwacht man wieder und hat die Phalanx der unlösbaren Probleme vor sich. Sehr leid tut mir die seelische Einsamkeit meines goldigen kleinen Peperl [...] Wegen dieses Peperl habe ich meine Krankheit besonders verwünscht, denn zu gern hätte ich mit ihm Englisch getrieben, Latein etc.

und sein süsses Seelchen erschlossen. Angesichts dieses Wiener Kinderauswurfs wirkte er auf mich mit der Helligkeit eines Engels. Die Wiener 'Kinder' sind eben so unverschämt, nein - schamlos - wie ihre noch schamloseren Eltern. Die paar Ausnahmen bestätigen die Regel. Ists ein Wunder, in einem Land, dessen Unterrichtsminister Hurdes nichts Wichtigeres zu tun hat als einen - Bert Brecht (vor wenigen Wochen) zum österreichischen Staatsbürger zu machen? Ich wiege derzeit 94 ganze Pfund - also Wien hat mich ganz bestimmt nicht 'fett' gemacht. Ich finde, der Unterrichtsminister sollte sich erst einmal um die hungernden und verelendeten österreichischen Schriftsteller sorgen, aber dazu ist er ein viel zu frommer Katholik, was besagen will, daß er die Hungrigen auf sein dogmatisches 'besseres Jenseits' verweist, an das er - mit seinem Luxusauto, seiner Villa und seinem großen Einkommen glauben mag - mein lieber, guter Pepi. Ich betrachte den Tag, an dem ich als 58jähriger Mann zum erstenmal nach Österreich (Wien) kam, als den allergrössten Unglückstag meines Lebens. Natürlich - kann ich nur von Wien sprechen, von dieser Leichenkammer alles Lebendigen, von diesem aufgeschminkten Kadaver, der Menschen, die schließlich etwas geleistet haben, rücksichtslos - krepieren lässt [...] P. S. Ich stelle eben meinen Briefwechsel mit berühmten Menschen zusammen, das heißt deren Briefe an mich. Dichter, Maler, Plastiker, Philosophen, Tenöre (Michele Fleta z. Beispiel), darunter allein 70 eigenhändige Briefe und 100 ditto Postkarten von Georg Kaiser, aber auch weltberühmte Franzosen, - es ist eine seltene Sammlung, die mir das Schicksal wenigstens zum Teil gelassen hat. Wenn ich nur einen Privatmann wüßte, der sich für sowas interessiert, Händlern gebe ichs unter gar keinen Umständen. Wissen Sie vielleicht einen Autographensammler? [...]" (Br. v. 19. IX. 1950).

"Der Münchner Verlag Kurt Desch hat mir geschrieben, daß er mir im Laufe der kommenden Zeit dramatische Werke zum Übersetzen schicken wird, ich wäre sehr beglückt darüber, denn hier kann ich trotz aller Bemühungen nicht einen Groschen, aber nicht einen einzigen, verdienen! Ich bin überzeugt, daß meine ganze Wesensart in der Steiermark einen viel fruchtbareren Boden fände, daß sich dort Zeitungen und Monatsblätter - wenigstens hin und wieder - für meine Arbeiten interessieren würden. Der Wiener Boden bleibt für mich leider völlig steril. Es mag sein, daß ich einen Fehler beging keiner politischen Partei beizutreten, denn - soweit ich es zu kontrollieren vermag - haben eben die verschiedenen Parteien ihre 'verschiedenen' Schriftsteller [...]" (Br. v. 28. X. 1950).

Neben Nahrungsmitteln waren es auch gelegentlich Kleider, die Wesely Angermayer zukommen ließ: "Wenn ich mit einem solchen Anzug irgendeine meiner Premieren besuche, dann werde ich als 'wohlhabender Autor' sehr angenehm auffallen! [...]" (Br. v. 14. II. 1951).

"Glücklicherweise habe sich die Kriegswolken, überwiegend durch die Unbeugsamkeit der amerikanischen Haltung, verflüchtigt. Es besteht allerdings kaum Hoffnung, daß auch der sogenannte kalte Krieg ein nahes Ende finden wird. Möglicherweise haben 2 Generationen daran zu knabbern. Unsere Generation und die nächste. Selbst ein Fachmann wie Eisenhower hat von 20 bis 30 Jahren als Dauer des 'Kalten Krieges' referiert. Und Amerika richtet sich ja auch auf diese Dauer ein. Das ist ganz bestimmt schlimm. Aber - verglichen mit dem nahezu sicheren Totalverlust Europas bei einem dritten Weltkrieg, ist es der Zins, den die Gottheit von unseren Generationen für einen solchen 'Frieden' zu fordern scheint [...]" (Br. v. 14. II. 1951).

Wenige Wochen vor Angermayers Tod am 21. Juli schreibt seine Frau an Wesely: "Fred ist seit 2 Wochen wieder zu Hause. Ohne Resultat, man hat nichts gefunden, dabei immer anzusehen wie Fred nichts essen kann, u. immer schwächer wird ist für mich eine Höllenqual [...]" (Postkarte v. 18. Juni 1951).

Art.-Nr.: BN#19984 Schlagwort: