Werfel, Franz, Schriftsteller (1890-1945). Eigenh. Manuskript.

Wien, 1933.

3 SS. auf 3 Bll. Gr.-8vo.

 4.500,00

Drei Seiten aus seiner Rede "Können wir ohne Gottesglauben leben", die Werfel am 5. März 1932 in Wien gehalten hatte. Werfel nimmt vehement für den Glauben Stellung; ohne ihn sei keine wirklich geistige Existenz möglich. "Wir haben hier den verpönten Versuch unternommen, das Problem des Gottesglaubens aus dem Reich der Religion in das Gebiet allgemein menschlicher Betrachtung zu tragen. Die streng wissenschaftlich Gesinnten werden die zwingende Schlüssigkeit vermissen, die sie von einer Deduktion fordern. Die streng Gläubigen werden den Hinweis auf den dogmatischen Bau der Religion entbehren, in dem für sie alles in Ewigkeit geordnet und gefestigt ist. Einige dürften sich darüber aufhalten, daß die Aesthetik, das Prinzip des Wohlgefallens, angerufen wurde, um zwischen der gotterfüllten und gottlosen Welt zu entscheiden, wie zwischen zwei Gläsern gleichwertigen Weins [...] Es kann nach unseren Ausführungen kein Zweifel mehr darüber herrschen, daß die Wahl der gotterfüllten Welt einen differenzierteren, werthaltigeren, 'geschmackvolleren' Geist voraussetzt als die Wahl der gottlosen Welt [...] Nun herrscht freilich unter den Geistigen heutzutage eine merkwürdige Feigheit, die sehr viele daran hindert, der größten Frage dieses Lebens offen ins Auge zu sehn. Die Gründe für diese Feigheit haben wir mehrfach angeführt. Zu dem Irrglauben, die wahre Wissenschaft maße sich eine Entscheidung an, tritt eine unbewusste Verwechslung der Gottesidee nicht einmal mit der tatsächlichen sondern mit einem politischen Zerrbild der Priesterschaft, wie es die Jahrhunderte der Aufklärung und des Freisinns in die Seelen gepresst haben. So lächerlich es klingt, für sehr viele kluge und aufgeschlossene Leute erweckt der Name Gottes und der Gedanke einer geistigen Überwelt die fürchterlichen Assoziationen: Finsteres Mittelalter! Inquisition! Folterkammer! Galilei! Progrom! Absurder Märchenglaube.

Hier warten große Aufgaben für eine Psychologie der Völker, Klassen und Generationen. Ehe die analytische Psychologie darangeht, mit ihrem Messer den menschlichen Gottesbegriff zu sezieren, müsste sie aufrichtigerweise untersuchen, welche dunkle Rachsucht ihr dieses Messer schleift. Es ist hoch an der Zeit, daß der geistig wache Mensch erkenne: Ich darf mich der letzten Frage nicht entziehen, ohne auf Erden ein feiger Schwächling zu bleiben, der keinen festen Stand hat [...]".

Unter dem Titel "Können wir ohne Gottesglauben leben" erschien 1932 bei Zsolnay ein Band mit Reden und kleinen Schriften.

Auf Bl. 3 nachträglich bezeichnet "(aus 'Gottesglauben')" sowie signiert "Franz Werfel" und datiert "Wien 1933"; mit einigen Korrekturen, teils in Bleistift, und mit einigen Streichungen; am Kopf mit Rotstift foliiert; mit Klammerspur und unbedeutenden Wischspuren.

Art.-Nr.: BN#27791 Schlagwort: