Thibaut, Anton Friedrich, Jurist und Musiktheoretiker (1772-1840). Eigenh. Brief mit U.

Kiel, 29. VIII. 1797.

3 SS. auf gefalt. Doppelblatt. 4to.

 2.500,00

Ausführliches Schreiben des jungen Thibaut, wohl an den Rechtswissenschaftler Gottlieb Hufeland (1760-1817) in Jena:

"Wohlgebohrner Herr, Hochzuverehrender Herr Justizrath! Ew. Wohlgeb. werden es mir, wie ich hoffe, verzeihen, wenn ich so frey bin, Ihnen die beykommenden Schriften als ein geringes Zeichen meiner vorzüglichen und ungeheuchelten Ehrerbietung, Hochachtung und Ergebenheit zu übersenden. Schon lange wünschte ich, mir dieses Vergnügen gewähren zu dürfen, aber der Gedanke, Ihnen in meinen Arbeiten zu mißfallen, und mir selbst in der Zeitschrift, deren Tadel ich auf gleiche Weise ehre und fürchte, einen schnellen litterairischen Tod zu bereiten, hielt mich bis diesen Augenblick unwiderstehlich davon zurück. Auch jetzt noch würde ich mich sorgfältig von Ihnen zu verbergen suchen, hätte ich nicht vor einigen Tagen auch die Güte des Herrn Etats-Rath Trendelenburg die mich über alles erfreuende Nachricht erhalten, daß Sie meiner Inaugural-Schrift Ihren Beyfall nicht ganz versagen, und daß Sie sich in einem Briefe an den Prof. Reinhold auf eine gütige Weise über mich geäußert haben. Ich wage es also, Ihnen hiebey meine ersten kleinen litterarischen Arbeiten zu übersenden, freylich nicht ohne eine gewisse Angst und Furchtsamkeit, aber doch in der Hoffnung, daß Sie nicht ein unbedingtes Todesurtheil über mich sprechen, mir nicht ganz den Gedanken rauben werden, daß ich vielleicht dereinst bey fortgesetztem Fleiß und in einer minder beschränkten Lage hin und wieder etwas nützliches für die Rechtswissenschaft leisten kann. Bis jetzt habe ich nur äußerst wenig Stunden zu schriftstellerischen Versuchen erübrigen können, und gewissermaßen im Fluge gearbeitet. Dieß muß ich Ew. Wohlgeb. zu meiner Entschuldigung sagen, um für manche Mängel meiner Arbeiten Verzeihung von Ihrer Güte zu erhalten. Dürfte ich bei dieser Gelegenheit Ew. Wohlgeb. eine Bitte vortragen, deren Erfüllung mir sehr am Herzen liegt? Sie haben meine Dissertation gelesen, der Inhalt derselben ist Ihnen bekannt, - wollten Sie mir wohl die Güte erzeigen, und, sobald es Ihre sonstigen Geschäfte erlauben, eine kurze Anzeige derselben in die A.L.Z. mir überlassen? Ich wünsche dieß, theils um durch die Erinnerungen Ew. Wohlgeb. belehrt zu werden, und theils um durch die Autorität der ersten Zeitung Deutschlands den falschen Urtheilen anderer Recensenten vorzubauen. Meine Dissertation befindet sich, wie ich sicher weiß, in den Händen mehrerer [Wort unleserlich getilgt] Juristen, welche, wie ich höre, nicht klug daraus werden können, und im Begriff sind, meine Arbeit als ein mißlungenes, unbedeutendes Product dem Publico anzukündigen. Ich gebe freylich zu, daß ich viel gefehlt haben kann, aber ich hoffe doch, daß das Ganze nicht ohne Sinn und Endzweck ist. Ich wünsche daher auch nichts weiter, als daß die Herren, wenn sie mich recensiren, meine Schrift nicht wie eine gewöhnliche, aus bekannten Materien compilirte Dissertation flüchtig, sondern mit Bedacht lesen, und dazu, glaube ich, könnte sie nichts vermögen, als die Zeitschrift, welche bey Freunden und Feinden gleiche Autorität hat. Ich bitte daher Ew. Wohlgeb. mehrmals recht angelegentlich, sich meiner anzunehmen, aber auch zugleich nichts zu verschweigen, was zum Tadel meiner Arbeit, mithin zu meiner Belehrung gereichen könnte [...]".

Thiebauts Kieler Dissertation "De genuina iuris personarum et rerum indole, veroque huius divisionis pretio" (1796) wurde - zusammen mit zwei weiteren seiner Werke - in der Allgemeinen Literatur-Zeitung Nr. 155f. (16. Mai 1798) lobend besprochen; als einzigen Fehler der Arbeit tadelte der Rezensent "die häufigen, langen Excurse", die "zwar von den Talenten des Verfassers zeugen und sehr schätzbare Untersuchungen und Winke enthalten, aber doch die Gedankenfolge unterbrechen und der Einheit des Ganzen schaden".

1798 wurde Thibaut außerordentlicher, 1801 ordentlicher Professor für römisches Recht in Kiel. 1802-05 in Jena, erlebte er die letzten Glanzjahre der Stadt in der Gesellschaft von Voß, Goethe und Schiller (in dessen Gartenwohnung er logierte). Ab 1806 lehrte er in Heidelberg, wo er zum wohl berühmtesten Romanisten seiner Epoche wurde und auch mehrmals das Rektorenamt innehatte. Hauptgegenstand seiner wissenschaftlichen Tätigkeit war die Pandektenwissenschaft, die er von der römischen Gesetzeslage zu einem wissenschaftlichen juristischen System fortzuentwickeln trachtete. Im sog. Kodifikationsstreit vertrat er entgegen F. C. von Savigny die Auffassung, das Zivilrecht in Deutschland könne und solle zu einem Gesetzbuch kodifiziert werden. Auch von hoher musikalischer Begabung, leitete Thibaut in Heidelberg einen Singverein; in seiner Abhandlung "Über Reinheit der Tonkunst" (1824) forderte eine Rückkehr zu klassischen Komponierweisen wie der Palestrinas und wurde so zu einem Wegbereiter des Cäcilianismus.

Art.-Nr.: BN#34490 Schlagwörter: ,