[Lienz in Osttirol]. Rechnungsheft der St. Michaelskirche am Rindermarkt in Lienz.

Lienz, 1511/1512.

Deutsche Handschrift auf Papier. 25 beschriebene SS. auf 16 Bl. In Schutzumschlag mit der Datierung "1511". 8vo.

 15.000,00

Einzigartiges Zeugnis spätmittelalterlicher Bautätigkeit von großer kunsthistorischer sowie wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Bedeutung. Zum einen bietet die Handschrift wertvolle Informationen über die zeitliche Einordnung der Bauarbeiten und die dabei federführenden Personen (so ist sie, abgesehen von Inschriften in einigen seiner Sakralbauten, die einzige bekannte schriftliche Quelle, in der der Baumeister Bartlmä Firtaler namentlich genannt wird). Zum anderen liefert das Heft spannende Einblicke in die Organisation einer spätmittelalterlichen Baustelle und dokumentiert, anders als bekannte Quellen zu Kathedralbauten und städtischen Bauvorhaben, die Ausgaben einer kleinen Baustelle in perpipherer Lage für zwei Monate. Es wurde wahrscheinlich nach Abschluss des Baus mithilfe laufend geführter Notizen verfasst und gliedert sich in mehrere Kapitel, die die Ausgaben für Maurer und Zimmerleute, für Tagwerke, für Steinbeschaffung und -transport sowie für sonstige Aufwendungen (wie Holzankäufe, Nägel, Ketten, Sägen etc.) wochenweise darlegen. Ausgaben für das Siegeln durch den Stadtrichter, für einen Botengang sowie für Wein für die Handwerker runden das Bild ab.

Bartlmä Firtaler, geboren um 1480, ist als Baumeister zahlreicher Sakralbauten im Raum Oberkärnten, Ost- und Südtirol sowie Krain/Slowenien bekannt; sein Erstlingswerk war eine Neugestaltung der Kapelle im Schloss Stein bei Oberdrauburg im Jahr 1505. Schlossherr Lukas von Graben fungierte später wahrscheinlich auch als Bauherr und Finanzier der St. Michaelskirche, die als Grablege der Herren von Graben dienen sollte; er begegnet uns auch in der Abrechnung. Gleich zu Beginn der Handschrift wird festgehalten, dass Firtaler zunächst ein Honorar von 22 Gulden angeboten wurde, das er jedoch nicht akzeptierte ["damit hat er aber nit besteen mügen"], sodass man ihm schließlich 32 Gulden zugestand. Daraus lässt sich schließen, dass Firtaler bereits in seiner frühen Schaffensperiode ein geschätzter und selbstbewusster Baumeister war. Die ältere Forschung ordnete die Lienzer St. Michaelskirche entweder nicht dem Werk Firtalers zu, oder attestierte ihm Arbeiten am Langhaus mit einer Zeitangabe um 1530, als der Meister möglicherweise bereits verstorben war. Dank des Rechnungshefts lässt sich die Kirche als sicheres Werk Firtalers belegen und seiner ersten Stilstufe zuordnen, deren besonderes Kennzeichen die Figur des mehrteiligen Rippensterns ist. Zu diesem Stil ließ er sich möglicherweise vom Werk Benedikt Rieds im Wladislawsaal der Prager Burg inspirieren, dessen Rippen jedoch mit dem Gewölbe verbunden sind. Im Gegensatz dazu dienen die Rippen in St. Michael in Lienz ausschließlich der Ausschmückung der Decke, ein charakteristisches Element spätgotischer Architektur, mit dem Firtaler bereits auf spätere Barockausstattungen vorausweist.

Die Ausgaben der Baustelle wurden genau dokumentiert und von einem unbekannten Rechnungsleger Absatz für Absatz aufgelistet und seitenweise summiert. Die am Ende des Heftes angegebene Gesamtsumme beläuft sich auf über 83 Rheinische Gulden - ein Rechnungsfehler, da die sich aus den Seitensummen errechnende Gesamtsumme einen Gulden mehr ergibt. Doch nicht nur finanzielle, auch soziale Gegebenheiten rund um die Lienzer Baustelle können rekonstruiert werden. So wird zwischen Meistern und Gesellen, die namentlich genannt werden, und Arbeitern, deren Namen nicht überliefert sind, unterschieden. Letztere erhielten keinen Lohn, doch kam der Bauherr für ihre Verköstigung auf ("von den vier arbeitern die gantz wochen die speis"), was bei den qualifizierten Arbeitskräften nicht der Fall war. Außerdem werden fünf Fuhrleute, die Steintransporte nach Lienz durchführten, namentlich genannt, und auch bei den "gemain ausgab" finden wir zahlreiche Eigennamen der Verkäufer und Handwerker sowie Angaben über den Transport der Waren, so etwa bei Holzankäufen die Formulierung "zu treiben auf dem wasser". Das überlieferte Namenmaterial könnte als Ausgangspunkt für weitere Forschungen dienen, die eine Einordnung der Akteure rund um den Bau der St. Michaelskirche in die Lienzer Stadtgeschichte ermöglichen und das Rechnungsheft gemäß seiner historischen Relevanz darin verorten.

Literatur

A. Schifter, Bartlmä Firtaler - ein spätgotischer Architekt südlich der Alpen, in: Carinthia I (2004), S. 547-577. Ders., Bartlmä Firtaler und die St. Michaelskirche am Rindermarkt in Lienz (Bauabrechnung 1511/ 1512), in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege LX (2006), H 3/4, S. 367-379 (mit ausf. Analyse der vorliegenden Handschrift).

Art.-Nr.: BN#50051 Schlagwörter: , ,