"Je natürlicher, desto besser": Frühromantisches schwäbisches Stammbuch aus Hölderlin-Umkreis

[Album amicorum]. Stammbuch des Georg Thomas Bach.

Altona, Cannstatt, Ditzingen, Frankfurt/M., Göttingen, Grafenberg, Kornwestheim, Krozingen, Maulbronn, Münchingen, Nürnberg, Nürtingen, Oberstenfeld, Schleusingen, Stuttgart, Unterensingen u. a., 1789-1830.

Deutsche, lateinische und französische Handschrift auf Papier. 90 Bll. mit ca. 90 Einträgen, 3 Aquarellen und einer Silhouette. Lose in grüner Pappmappe der Zeit mit Rückenvergoldung, aufgeklebtem Rückentitel "Pro Memoria", goldener Deckelbordüre, goldgeprägtem Monogramm "G TH B 1790" und Goldschnitt. Qu.-8vo (160 x 105 mm).

 9.500,00

Außergewöhnlich hübsches Album amicorum, das durch oft sehr persönliche Einträge enger Freundinnen und Freunde des Besitzers sowie durch schöne Kalligraphie besticht. Der 1771 geborene Georg Thomas Bach besuchte die Realschule seiner Heimatstadt Nürtingen, wo er später selbst lehren sollte, und setzte seine Ausbildung wohl in Stuttgart oder Nürnberg fort. Das Stammbuch lässt nicht auf ein studentisches Milieu schließen; die Einträge stammen zumeist von evangelischen Pfarrern, Vikaren und Pädagogen. Neben zahlreichen württembergischen Kleinstädten besuchte Bach auch Altona, Frankfurt am Main und Göttingen.

In Nürtingen trug sich der Begründer der dortigen Realschule Jakob Friederich Klemm (1733-93) ein, dem auch die Einführung des von John Spilsbury um 1760 erfundenen Puzzles in Deutschland zugeschrieben wird, ferner der erste Realschullehrer (und damit ein Amtsvorgänger Bachs) Georg Friedrich Ettensberger (1756-1824), der Verwaltungsbeamte Karl Christoph Friedrich Gock (1776-1849), Friedrich Hölderlins Halbbruder, sowie Nathaniel Köstlin (1744-1826), Diakon und Privatlehrer Hölderlins. Bachs Mutter Veronika Dorothea verabschiedet ihren Sohn mit einem Psalmenzitat und den Worten: "Diese Lehre gibt dir mit auf den Weg deine dich liebende Mutter".

In Stuttgart verewigte sich Konrad Friedrich Schüle (1771-1833), Gesellschafter des Textilunternehmens Kolb & Schüle, im nahegelegenen Grafenberg Christian Gottlob Pregizer, der spätere Stadtpfarrer von Haiterbach und Namensgeber der radikalpietistischen "Pregizer-Gemeinschaft". Mit Christoph Friedrich Cuhorst (1727-93), Johann Immanuel Friedrich Schmid (1756-1821) und Johann Christian Zügel (1723-95) sind auch die Pfarrer von Unternsingen, Bickelsberg und Ditzingen im Stammbuch vertreten. Christoph Ludwig Flattich (1756-1822) stand seinem Vater, dem bedeutenden evangelischen Pädagogen Johann Friedrich Flattich, als Vikar in Münchingen zur Seite, als er seinen Eintrag verfasste; später wirkte Flattich als Pastor in Suppingen. Am 14. Juni 1790 trug sich Johann Ludwig Mannhardt (1749-1816) ein, Klosterhofmeister in Maulbronn und Bruder des bedeutenden Theologen Johann Wilhelm Mannhardt.

In Altona traf Bach 1791 auf Hinrich van der Smissen (1742-1814), Enkel des gleichnamigen berühmten mennonitischen Unternehmers und Reeders, sowie auf zwei weitere Mitglieder der Familie und den niederländischen Botaniker George Voorhelm Schneevoogt (1775-1850) in jüngsten Jahren. Interessant sind auch zwei 1794 entstandene Einträge aus Nürnberg: zum einen der des Spezereienhändlers Johann Christoph Karg (1733-1806), ein enger Freund und Briefpartner Lavaters, zum anderen der von Georg Michael Eisenbach (1728-1804), der 1783, zwei Jahre nach Erlass des Toleranzpatents Josephs II., erster Pastor von Eferding in Oberösterreich wurde. Wie bereits in früheren Positionen geriet Eisenach mit den Kirchenobrigkeiten in Konflikt und wurde 1788 aus Österreich ausgewiesen, woraufhin er sich als Privatlehrer in Nürnberg niederließ.

Ein Mitglied der Familie van der Smissen ergänzte seinen auch kalligraphisch herausragenden Eintrag um ein kleines Aquarell der Zwei-Wege-Metapher. Der Eintrag eines Christian Gottfried Hellfeld in Schleusingen ist verso um ein hübsches kleines Emblem mit französischem Motto ("Vivre pour mourir et mourir pour vivre") bereichert. Louise Huzelin, Tochter des Schnaitheimer Pastors Ludwig Christoph Huzelin (1725-83), begegnet uns auch als Silhouette. Ein besonders schönes Aquarell, das eine Ideallandschaft mit phantastischen Blumenornamenten zeigt, lässt sich keinem Beitrag zuordnen. Zuletzt können auch die besonders intimen Zeilen einer Maria Bach hervorgehoben werden. Der ursprüngliche Eintrag vom 22. April 1830 wurde verso zweifach ergänzt: "Wer wünscht so viel zu ihrem Glück / Als die welche dieses schreibt / O denken sie recht oft zurück" sowie "Fält [!] Ihnen dieses Blätchen in die Hände so erinnern Sie sich an den froh verlebten Abend im Juli 1843 und denken sie auch zuweilen in müssigen Stunden an [...]".

Einband minimal bestoßen. Die Seiten von Sammlerhand in Blei numeriert, teilweise minimal fleckig und angestaubt, mit vereinzelten kleinen Einrissen und Knicken.