An einem Abend mit Franz Liszt in Weimar

Schumann, Robert, Komponist (1810-1856). Eigenh. Visitenkarte.

"Hotel de Russie" (Weimar), [Ende November 1841].

2 SS. Kleines Visitkartenformat.

 6.500,00

Die wohl an den seit 1829 am Weimarer Hoftheater wirkenden Sänger, Regisseur und Theaterdirektor Eduard Genast gerichtete Karte dürfte von Ende November 1841 stammen, als die frischgebackenen Eltern Robert und Clara Schumann (ihre Tochter Marie war am 1. September geboren worden) die im Sommer nicht zustande gekommene "erste gemeinsame Künstlerfahrt" nachholten: "Wir wünschen", schreibt Robert verso, "Sie zu sehen und wiederzusehen - sind von 6-7 Uhr zu Hause im Gasthof".

Nach ihrer Ankunft in Weimar am 19. November absolvierte Clara zwei Konzerte, "am 21. November 1841 ein öffentliches im Schauspielhaus und am 25. November 1841 ein Privatauftritt bei der Großherzogin in der Galerie im Schloss in der Stadt [...] Wichtiger aber als die Konzerte war in diesem Jahr das zufällige Zusammentreffen mit Franz Liszt, den Clara Wieck 1838 in Wien und Schumann im März 1840 in Leipzig persönlich kennengelernt hatten. Eigentlich waren die Schumanns schon auf dem Sprung nach Hause, als sich nach dem Konzert im Hotel 'Russischer Hof' folgende Szene ereignete" (Seibold, S. 14-16): "An einem dunklen Abende, während der Nordwind in den entlaubten Bäumen, die den Karlsplatz umgeben, unheimlich rauschte, saß ich mit dem Künstlerpaare Klara und Robert Schumann im Speisesaale des Russischen Hofs traulich zusammen, als ein Mann von hohem, schlankem Wuchse, mit einem ausdrucksvollen Gesichte und langen, zurückgestrichenen, hellbraunen Haaren hereintrat und sich mit dem Zurufe: 'Bon soir, Ihr Lieben!' meiner Gesellschaft näherte. 'Liszt!' rief diese wie aus einem Munde aus. Da war also der Mann leibhaftig vor mir, nach dessen Bekanntschaft ich mich so lange gesehnt hatte, über den die Fama das Außergewöhnlichste und Erstaunenswürdigste seit Jahren in die Welt hinausposaunt hatte, seine enorme Virtuosität, dabei seine Bescheidenheit und Liebenswürdigkeit, auch seine großartige Freigebigkeit preisend. Nachdem Frau Schumann mich ihm vorgestellt hatte, wobei er mich artig begrüßte, setzte er sich an ihre Seite und ließ sich, ohne besondere Notiz von meiner Gegenwart zu nehmen, in ein eifriges Gespräch mit ihr ein. Im Verlaufe der Unterhaltung fesselte die Genialität des Mannes immer mehr meine Aufmerksamkeit, so daß ich zuletzt nur noch für ihn Augen und Ohren hatte. Auch von seiner Freigebigkeit sollte ich schon an diesem Abend Zeuge sein. Frau Schumann bewunderte die geschmackvolle emaillierte Weltkugel mit Sternen besäet, die von einer goldenen Adlerklaue gehalten wurde. Sofort überreichte Liszt ihr dieselbe mit feiner Galanterie als Andenken. Anfangs weigerte sie sich, dieselbe anzunehmen, konnte aber schließlich der höchst liebenswürdigen Art und Weise, mit welcher Liszt zu spenden wußte, nicht widerstehen und nahm mit gleich feinem Takte das Kleinod an" (Genast, S. 308).

Die Handschrift stark verblasst und in der Transkription stillschweigend ergänzt; ein Drittel der Karte durch Feuchtigkeitseinwirkung stärker fleckig und angeschmutzt.

Literatur

Wolfgang Seibold, Nach Weimar zieht es die Deutschen gewaltig hin. Eduard Genast, Aus Weimars klassischer und nachklassischer Zeit. Erinnerungen eines alten Schauspielers. Stuttgart, 1905.

Art.-Nr.: BN#56580 Schlagwort: