Über den Einfluss Wagners

Joachim, Joseph, Violinist (1831-1907). 7 (5 eigenh. und 2 von Schreiberhand geschriebene) Briefe und 2 eh. Postkarten mit U. ("Joseph Joachim" bzw. "J. J.").

Berlin bzw. o. O., 1870-1900.

19¾ eh. SS. auf 13 Bll. und 4½ SS. auf 4 Bll. von anderer Hand. Mit drei eh. adr. Kuverts, die Karten mit eh. Adresse. Weiters mit einer Beilage (1 S. 8vo) und einem 1½-seitigen Schreiben von Friedrich Chrysander (s. u.)

 9.500,00

An den befreundeten Musikwissenschaftler Friedrich Chrysander, den Herausgeber der Werke Händels, über u. a. die Mitwirkung seiner Gattin (die Opernsängerin Amalie Schneeweiss) an einem Konzert unter der Leitung von Musikdirektor Franz Adolf Succo ("Meine Frau wird gern in Succo's Concert singen, wenn Zeit und Gesundheit es irgend gestatten", 17. IX. 1870), den Abschluss "unserer öffentlichen Quartette: Op. 18, No. 1, Op. 74 und Op. 132, lauter Beethoven" (ebd.), den wachsenden Einfluss Wagners, dem entgegengewirkt werden müsse, und über die Feierlichkeiten der Berliner Hochschule für ausübende Tonkunst zum 200. bzw. 300. Geburtstag des Barock-Dreigestirns Schütz, Bach und Händel.

"Was Sie über das Theater sagen war mir, der ich gestern bei der neuen Oper von Hopfer [d. i. Bernhard Hopffers Oper "Frithjof", die am 11. April 1871 zum ersten Male in Berlin aufgeführt worden war] ganz ähnliches zu Hermann Grimm äußerte, eine wahre Wohlthat zu lesen. Der Einfluß Wagners macht sich auch bei seinen Gegnern sogar (z. B. Hiller, Hopfer, Bruch) für mich bemerkbar. Die auf die Spitze getriebene Manier Glucks vernichtet bei Anwendung unserer vollen Orchester-Mittel sogar die ursprüngliche Intention Glucks: dem Worte und der dramatischen Entwicklung größere Klarheit zu geben. Ein unklares Wogen der Leidenschaften, das mich quält, statt mich zu erheben (obwohl ich ja als Musiker die Fähigkeit habe die einzelnen Klänge mit dem Verstand zu fassen) ist was mir aus der modernen Oper bleibt. Es ist unmöglich bei solcher Behandlung das Wort aus dem Munde des Sängers noch zu verstehen! Geradezu ein Unglück wäre es, wenn nun Wagner (dem ich ja Originalität der Erfindung und geistreiches Detail der Orchester-Malerei bei aller Manierirtheit nicht abspreche) immer mehr Boden gewänne. Schon jetzt schleift seine Phraseologie, statt scharf empfundener Gedanken, durch die meisten neuen Tonwerke, und das einzige Mittel der Abwehr ist die Vertiefung der jugendlichen Gemüther in die herrlichen Tongestaltungen unserer Gott sei Dank! von deutschem Geist erfüllten herrlichen Meister der classischen Epoche. Verzeihen Sie wenn meine Gedanken nach Bergedorf fliegen; es sind ja noch lange keine Eulen! - Es ist gut auf die Folgen Bedacht zu nehmen, die Wagners Anstellung haben könnte, obwohl anzunehmen ist, daß er sich auch hier bald selber der größte Feind würde […]" (11. IV. 1871).

"In erster Linie schien es mir aber als ob es ganz wunderschön wäre, da wir das Jahr der Gnade Händel Bach und Schütz betreffend feiern werden, wenn man Dr. Chrysander veranlassen könnte über die Bedeutung und den Zusammenhang gerade dieser drei Männer die Jugend aufzuhellen […]" (15. XI. 1884).

Über den beiliegenden Brief seiner Schwägerin an ihn schreibt Joachim unterm 9. V. [1885] an Chrysander: "Die beizulegenden Zeilen meiner Schwägerin Elly, einer Nichte von William Chappell sind schon lange in meinen Händen. Leider werden sie nichts zu Ihrer Befriedigung mittheilen; aber ich muß sie doch endlich schicken […]".

Chrysanders Antwortschreiben findet sich auf Joachims von Schreiberhand verfasstem Brief vom 30. IV. 1900 und gibt Auskunft über das Programm "des Concertes am zweiten Bonner Tage", wo es Chrysander seiner Ansicht nach "gelungen war, Sie so zu placieren, wie es erwünscht und würdig zu sein schien". Weiters über "ein nicht erfreuliches Kapital. Ich bin krank, herz- und nervenleidend schon seit Februar. Anfangs März verschlechterte es sich so, daß mein Sohn mir die Gefahr darlegte und mich in sein Oratorium Grunewald überführte, wo ich möglichst stille und unbekannt bis nach Ostern verweilte u. noch heute sein würde, wenn nicht die Bonner und andere im Gange befindliche Aufführungen mich genötigt hätten, hierher zu meinen Arbeitern zurückzukehren [...]".

Art.-Nr.: BN#60811 Schlagwort: