Briefe von August Wilhelm Iffland aufgetaucht

  • Berliner Zeitung
  • 7. Januar 2014
  • Nikolaus Bernau

Berlin - Das verschollene Korrespondenzbuch August Wilhelm Ifflands ist wieder aufgetaucht. Dabei geht es um ein nationales Kulturgut ersten Ranges, das auf noch nicht ganz geklärte Weise durch die Hände Theaterhistoriker Hugo Fetting "gerettet" wurden.

Es liegt im Wesen der Theaterkunst genau so wie der Oper oder der Musik, dass der Ruhm ihrer Akteure meist recht flüchtig ist. Jedenfalls war er es, bis Schallplatte und Film ein gewisses Nachleben erlaubten. Umso auffälliger ist es also, wenn ein Name seit 200 Jahren bis heute zu leuchten scheint: derjenige August Wilhelm Ifflands nämlich. Einem der bedeutendsten Schauspieler, Dramaturgen und Theaterdirektoren seiner Zeit, von 1797 bis zu seinem Tod 1814 Direktor des Berliner Schauspielhauses, des damaligen Königlichen Nationaltheaters. Berlin verdankt seinen Ruf als Theaterstadt wesentlich Iffland, der hier Schiller und Goethe spielte, den Sturm und Drang, die frühe Klassik und Romantik etablierte, ein realistisches deutschsprachiges Theater gegen die idealistische französischsprachige Bühnenpraxis der Zeit setzte.

Strafanzeige gestellt

Kaum verwunderlich, wenn er nicht nur bis heute ein Ehrengrab Berlins belegt, sondern nach ihm auch eine der höchsten Auszeichnungen der deutschsprachigen Theaterwelt benannt ist, der Iffland-Ring. Bis zu seinem Ableben wird er aktuell von Bruno Ganz getragen. Ebenso wenig ist überraschend, dass die Nachricht vom Auftauchen des mindestens seit dem Krieg verschollenen 34-bändigen Korrespondenzbuchs Ifflands, in dem er Abschriften seiner Briefe und die Originale empfangener Briefe einklebte, für Sensation sorgt.

Zusammen mit anderen Teilen aus Ifflands Nachlass wie Besetzungs- und Dekorationslisten aus dem Nationaltheater sollten die 35 Bände eigentlich auf der diesjährigen Antiquariatsmesse in Ludwigsburg verkauft werden, für 450 000 Euro. Doch sorgte der Berliner Senat, aufmerksam gemacht vom Berliner Landesarchiv, mit einer Strafanzeige gegen den Vorbesitzer, den inzwischen 90-jährigen Berliner Theaterhistoriker Hugo Fetting, und einem zivilrechtlichen Einspruch bei den Antiquariaten Inlibris aus Wien und Kotte in Roßhaupten dafür, dass das Angebot bis auf weiteres zurück gezogen wurde.

Immerhin geht es um Briefe etwa von und an Johanna Schopenhauer, August Wilhelm Schlegel, des Dichters August von Kotzebue. Auch einige Zeilen Goethes sind enthalten. Die meisten Schreiben von ihm an Iffland allerdings fehlen, genau so wie die von Schiller; wahrscheinlich wurden sie schon nach dem Tod Ifflands der Sitte entsprechend zurück nach Weimar gesandt.

Vorgestern publizierten dann die Süddeutsche Zeitung, der Berliner Tagespiegel und die Frankfurter Allgemeine Zeitung in fast gleicher Art und Weise die "Sensation" (SZ) und "Räuberpistole" (FAZ und Tagesspiegel). Eine "unschätzbare Quelle" für die Sozial-, Kultur- und Theatergeschichte seien die Bände, wie Stefan Speicher und Lothar Müller in der SZ schreiben.

Auch Wolfgang Trautwein von der Akademie der Künste betont gegenüber der Berliner Zeitung vor allem ihren "großen wissenschaftlichen Wert". Und der Sprecher der Berliner Kulturverwaltung, Günter Kolodziej, sagte, der Senat ginge davon aus, dass die 34 Bände dem Land Berlin gehörten. Es sei der Erbe des Berliner Theatermuseums, das 1929 von den Preußischen Staatstheatern begründet worden war und zwischen 1937 und 1945 im Lynar-Flügel des Berliner Schlosses untergebracht war. Oder auch der Erbe der Staatstheater-Intendanz.

Nachlass teilweise verstreut

Ganz klar ist nämlich nicht einmal, wo sich dieser Teil des Iffland-Nachlasses vor 1945 befand. Sicher ist nur, dass der Museumsbestand, so weit er die Kriegswirren überstanden hatte, verstreut wurde. Heute befindet er sich teils im Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Akademie der Künste, des Berliner Landesarchivs und des Stadtmuseums. Selbst die vorzügliche Geschichte des Theatermuseums, die die renommierte Berliner Theaterhistorikerin Ruth Freydank 2011 vorlegte, lässt die Iffland-Frage ungeklärt ("Der Fall Theatermuseum", Pro Business Verlag, 2. Bd., Berlin, 2011, ca. 60 Euro).

Ein Buch, das übrigens nicht zuletzt denjenigen, die derzeit in Berlin mit einer kleinen Ausstellung in der Markthalle am Marheinecke-Platz für die Neubegründung eines Berliner Theatermuseums fechten, Rückenwind verliehen hat. Noch bis morgen ist sie dort zu sehen, der Besuch sei hiermit empfohlen.

Zurück zu Ifflands Korrespondenz-Bänden. Hugo Fetting will sie aus der "brennenden" Intendanz geborgen haben. Oder auch als "Müll" gerettet. Dass er jedenfalls speziellen Zugang zu seltenen Iffland-Materialien haben musste, zeigt seine Dissertation über den Theaterdirektor, die 1978 in Greifswald verteidigt wurde. Deren Quellennachweise haben aber nur Bezug zu Materialien aus dem Archiv der Akademie der Künste, in dem er seit 1952 arbeitete und seit 1953 eine Iffland-Gesamtausgabe vorbereitete. Von Privatbesitz ist nicht die Rede.

Nahm Fetting damit nur Rücksicht auf die Verhältnisse in der DDR, die so manchen erlesenen Privatbestand wie etwa die erste Gründerzeit-Sammlung Charlotte von Mahlsdorfs nach steuerrechtlichen Farcen über Schalck-Golodkowskis Antiquitätenimperium verkaufte?

Oder wurde damit der tatsächliche Übergang seines Fundes in das Eigentum der Akademie anerkannt? Diese jedenfalls kann nichts derartiges nachweisen. Deswegen unterschrieb die Akademie auch 2013, so ihr Archivleiter Wolfgang Trautheim, einen Passus im Vertrag mit den Antiquaren, dass sie keinen Eigentumsanspruch auf die 34 Bände erhebe.

Die Antiquare hatten nämlich nach aktuellem Stand der Dinge, als ihnen die Ahnung kam, dass Hugo Fettings Verkauf nicht nur Objekte umfassen könnte, die eindeutig ihm gehörten, die Akademie informiert. Mit ihr einigten sie sich über die gütliche Rückgabe etlicher Papiere Ifflands. Wie schon im Fall des Stralsunder Stadtarchivs zeigte sich auch hier, dass Antiquare nichts mehr fürchten als öffentlichen Streit um Eigentumsfragen. Ihr Geschäft lebt vom guten Ruf. Trautwein betont aber auch, dass die Akademie nur den eigenen Anspruch dementiert, nicht aber für andere öffentliche Eigentümer gesprochen habe. Die Sachlage ist also weiter vertrackt.

Wenn nämlich Hugo Fetting tatsächlich die 32 Korrespondenzbücher aus dem Müll gefischt haben sollte, wie er bekundet, dann könnten sie ihm gehören. Wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass die Bücher gegen den Willen der eigentlichen Eigentümer dorthin, in den Müll nämlich, gelangten und damit herrenlos wurden. Wenn er sie "gerettet" hat, war er zur Ablieferung verpflichtet. Andererseits stellt sich die Frage, ob er sich das Eigentum – wir erinnern an die Debatte um die Sammlung Gurlitt – nicht regelrecht ersessen hat, einfach dadurch, dass über Jahrzehnte niemand nach den Büchern fragte, die in seinen Regalen offenbar für alle Besucher einsichtig standen.

Gerettet, gefischt, ersessen

Kurz: Es ist noch viel zu klären in diesem Fall. Deutlich ist allerdings, dass Senat, Akademie und Antiquar auf eine gütliche Einigung setzen und jede weitere Eskalation über die Strafanzeige gegen Hugo Fetting hinaus vermeiden wollen. Das ist vernünftig. Ob nach weit mehr als einem halben Jahrhundert gerichtsfest geklärt werden kann, wie die 34 Bände in seinen Besitz oder sein Eigentum kamen, ist offen.

Zweifelsfrei aber sollte sein, dass dieser Schatz nach Berlin gehört. Fetting will nach Angaben der SZ 50 000 Euro für den Bestand erhalten haben. Auch die 450 000 Euro, die der Antiquar verlangt, erscheinen nicht übertrieben. Mindestens 6000 Briefe und Dokumente von teilweise herausragenden Zeitgenossen der deutschen Klassik für 450 000 Euro, das macht 75 Euro pro Stück. Einfache Goethe-Briefe wurden schon für mehr als 6000 Euro verkauft. Es wäre zu absurd, wenn diese Stadt, die wohl mehr als 300 Millionen Euro in den Umbau der Staatsoper versenken wird, das Erbe eines ihrer bedeutendsten Theaterleute verspielt.