Das Theater um Bernhard

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  • 19. November 2001
  • Susanne Rössler

Alter Meister

Zeitgenau mit der Eröffnung des neuen Thomas-Bernhard-Archivs sorgt ein plötzlich aufgetauchtes Bernhard-Manuskript für Erregung. Salzburgs neuer Festspiel-Chef Peter Ruzicka will es uraufführen - Bernhard-Erbe Peter Fabjan erteilt ihm aber eine Abfuhr. 

Wenn Thomas Bernhard wüßte, welches Theater um ein 44 Jahre altes Manuskript aus seiner Hand gemacht wird, wäre er "sehr amüsiert", davon ist sein Nachlaßverwalter und Halbbruder Peter Fabjan überzeugt. Die Farce, die seit dem überraschenden Auftauchen der 68seitigen handschriftlichen Bearbeitung eines Theaterstücks gegeben wird, könnte jedoch demnächst zum Kriminalfall werden. Wie dieser Text in den Handel gelangte, ist nämlich unklar und durchaus aufklärungsbedürftig.

Fest steht nur, daß die Antiquariate Inlibris (Wien) und Friebes (Graz) dieses Fundstück zum Verkauf feilbieten, zum wahrlich stolzen Preis von 5,8 Millionen Schilling. Inlibris-Chef Hugo Wetscherek über die Herkunft der Regieanweisungen, die Bernhard 1957 in eine Ausgabe von Thomas Wolfes Südstaatendrama "Herrenhaus" einbinden ließ: "Wir haben es für eine siebenstellige Summe von einem Salzburger Händler erworben, der sich mit dem zu erwartenden Rummel um diesen sensationellen Fund nicht belasten wollte. Woher er den Text hat, weiß ich nicht." Er gehe jedoch davon aus, daß alles mit rechten Dingen zugegangen sei.

ENTWENDET? Genau das bezweifelt allerdings Peter Fabjan, dem "ein Informant meines Vertrauens" verraten habe, daß der Text aus der Bibliothek des Salzburger Mozarteums bereits vor Jahren entwendet worden sei. Was Mozarteum-Bibliotheksdirektor Werner Rainer dementiert: Das Manuskript sei nie in seinem Haus gewesen.

Der Salzburger Antiquar Christian Weinek, der das Buch weiterreichte, weigert sich vorerst, seine Quelle preiszugeben. Peter Fabjan hat deshalb einen Anwalt beauftragt, die rechtliche Lage zu prüfen. Der Ärger wurmt ihn umso mehr, als dieser Tage alle Weichen auf Bernhard-Festspiele gestellt wurden. Am Wochenende wurde das neue Thomas-Bernhard-Archiv in der Gmundner Villa Stonborough-Wittgenstein festlich eröffnet, in dem der umfangreiche Nachlaß des vor 12 Jahren verstorbenen Autors verwaltet und wissenschaftlich aufgearbeitet werden kann. "Das Haus ist ein Traum. Man kann nachvollziehen, wie Thomas Bernhard gearbeitet hat, ihm buchstäblich über die Schulter schauen", freut sich Fabjan.

NEUE GESAMTAUSGABE. In diesen Genuß kommen freilich nur Wissenschaftler. Das Archiv ist - anders als das Museum in Bernhards Vierkanthof im benachbarten Ohlsdorf, Obernathal 2 - keine allgemein zugängliche Bernhard-Pilgerstätte. Die im Archiv deponierten Manuskripte bilden die Grundlage eines Mammutbuchprojekts: Im Herbst 2002 erscheinen bei Suhrkamp die ersten drei einer auf 22 Bände angelegten Bernhard-Gesamtausgabe. Jeder Band enthält im Anhang die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der einzelnen Werke. Die Reihe beginnt mit einer überarbeiteten Ausgabe von "Frost", Bernhards erster Romanveröffentlichung, und endet voraussichtlich 2007 mit "Der öffentliche Bernhard: frühe journalistische Arbeiten und Reden, Interviews, Leserbriefe". Bernhard-Spezialisten aus Österreich, Deutschland und Frankreich sind in das Projekt eingebunden, Gesamtherausgeber sind der Direktor des Instituts für Germanistik, Wendelin Schmidt-Dengler, und Martin Huber, Leiter des Archivs in Gmunden.

PREISTREIBEREI. Daß im Vorfeld der Archiveröffnung plötzlich ein angeblich bisher unbekannter Bernhard-Text auftaucht und mit medialer Hilfe ("Der Standard" schrieb von einer "Sensation") in den Vordergrund rückt, ist für Peter Fabjan "kein Zufall" Man nutze die geschärfte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für eine "skandalöse Preistreiberei". Denn der Text sei weder unbekannt - "wir wissen seit September 1999 von seiner Existenz" - noch sensationell: "Derartiges gibt es im unveröffentlichten Nachlaß en masse. Es ist ein schönes Detail, mehr nicht." Auch Schmidt-Dengler schließt sich diesem Urteil an: "Das Aufsehen darum ist größer als der Wert."

Trotzdem bedauern sie, daß der Text nun dem wissenschaftlichen Zugriff entzogen sein könnte. Der Ankauf durch die Bernhard-Stiftung, wie sie Inlibris vorschlägt, sei nicht finanzierbar. "Die Bernhard-Stiftung hat keinen Schilling übrig, schon gar nicht eine derartige Summe", erklärt Fabjan. "Wir hoffen inständig, daß uns der Käufer wenigstens eine Kopie davon fürs Archiv überläßt." Eine Absage versetzt er auch der vollmundigen Ankündigung des neuen Salzburger Festspielintendanten Peter Ruzicka in einem "Kurier"-Interview, er plane gemeinsam mit Schauspielchef Jürgen Flimm das von Bernhard bearbeitete Stück uraufzuführen. "Daraus wird nichts. Bernhard hat bekanntlich testamentarisch verboten, daß seine zu Lebzeiten unveröffentlichten Werke inszeniert werden, und daran halte ich mich", so Fabjan apodiktisch.

Zumal es keinen Grund gebe, Frühwerke auf die Bühne zu bringen, solange Bernhards große Klassiker in Österreich "so schändlich selten" gespielt würden, wie Hermann Beil, Kodirektor am Berliner Ensemble, sekundiert. Beil, der mit Claus Peymann am Burgtheater dreizehn Bernhard-Uraufführungen gestemmt hat, bedauert, daß der Sprachgigant im Ausland mehr Beachtung findet als in seiner Heimat. "In 17 Ländern wird Bernhard in über hundert Inszenierungen gespielt, nur in Österreich so gut wie nie, obwohl das nach dem Ende des Aufführungsverbots wieder möglich wäre." Hoffnung setzt er in Langhoffs kommende "Elisabeth II"-Inszenierung an der Burg, mit der "die Neugierde auf Bernhard wieder erwachen" könnte.

Danach, so schlägt er nicht ganz uneigennützig vor, sollten die Wiener Festwochen die Berliner Inszenierung von "Der Ignorant und der Wahnsinnige" einladen, eine "fabelhafte Aufführung mit Maria Happl und Traugott Buhre, die ein Riesenerfolg war". Das Stück ist noch nie in Wien gezeigt worden, obwohl es "perfekt" hierherpasse, so Beil: "Es spielt ja in der Oper und den 'Drei Husaren'."

Die überragende Bedeutung Bernhards zeige sich schließlich auch daran, daß "seine Stücke die Wirklichkeit anziehen wie ein Schwamm das Wasser. Zu jeder Zeit findet man seine Befindlichkeit und die aktuelle politische Lage darin widergespiegelt", plädiert Beil an seine österreichischen Kollegen, sich wieder stärker auf Bernhard zu besinnen.

UNTERSCHÄTZTER HUMOR. Diesem Appell schließt sich auch Martin Huber an, der Leiter des Archivs. Es gebe genug Stücke zu entdecken, die bei uns selten oder nie aufgeführt wurden, wie etwa "Die Macht der Gewohnheit". Zwölf Jahre nach seinem Tod, da die Skandalisierung seines Werks (Stichwort: "Heldenplatz") vergessen sei, halten Huber, Beil und Schmidt-Dengler unisono die Zeit auch für reif, endlich die meistunterschätzte Eigenschaft Bernhards zu entdecken: seinen Humor. "Ich halte ihn für unerhört witzig und einen großen komischen Autor", sagt Schmidt-Dengler. "Leider erkennen die meisten Leute das nicht." Was vielleicht auch daran liegt, daß Komödie und Tragödie bei Bernhard ineinander verschwimmen. Hermann Beil, pointiert: "In einer Sekunde lachen, in der nächsten zutiefst erschrocken sein - das ist Bernhard."