Ein Haus zum Abregen

  • ORF ON Kultur
  • 16. November 2001
  • APA / Matthias Osiecki

Am Wochenende findet die offizielle Eröffnung des Thomas-Bernhard-Archivs in der Gmundner "Villa Toscana", einem Haus mit Geschichte, statt. Das Anwesen gehört dem Land Oberösterreich, das die Villa restaurieren und adaptieren ließ. Die neue Einrichtung solle zur Ent-Emotionalisierung der Erregungen und wieder zur Beschäftigung mit den Texten Bernhards beitragen, sagt Germanist Wendelin Schmidt-Dengler im Gespräch mit ON Kultur. Für neue Erregungen sorgt jedenfalls ein kürzlich aufgetauchtes Bernhard-Manuskript aus Jugendtagen.

(K)eine späte Sensation?

Für Peter Fabjan ist das kürzlich aufgetauchte Bernhard-Manuskript keine Sensation: "Das war den unmittelbar Betroffenen, also mir und der Thomas-Bernhard-Privatstiftung, schon seit Jahren bekannt."

Ein bisher unbekanntes Manuskript des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard (1931-1989) ist in Österreich aufgetaucht. Die Handschrift von 1957 ist eine Bearbeitung von Thomas Wolfes Drama "Herrenhaus", wie die Wiener Tageszeitung "Der Standard" am Montag berichtete.

Der 26-jährige Schriftsteller hatte sich damals leere Seiten in eine Rowohlt-Ausgabe des Stückes binden lassen und darauf eine Neufassung mit umfangreichen Anmerkungen und Skizzen geschrieben.

Bernhard-Hinweise

Bernhard selbst hat des öfteren auf dieses Manuskript hingewiesen, das jedoch weder zu Lebzeiten noch im Nachlass aufgetaucht war. Noch 1996 hatten Forscher vermutet, es handle sich um eine Erfindung des Autors. Zwei Antiquare aus Wien und Graz haben den Band nach eigenen Angaben vor einem halben Jahr aus dem Besitz eines Salzburger Buchhändlers erworben und sind nach eingehender Prüfung durch Gutachter an die Öffentlichkeit gegangen.

"Authentizität sichergestellt"

"Wir wollten warten, bis die Authentizität zu hundert Prozent sichergestellt ist", sagte Mitbesitzer Hugo Wetscherek vom Wiener Antiquariat "Inlibris", am Montag der dpa. Er gibt den Wert des Manuskripts mit rund 5,8 Millionen Schilling (420.000 Euro) an. Auch eine Uraufführung der Wolfe-Nachdichtung als originäres Bernhard-Stück wäre möglich, wenn sie den genauen Anweisungen und Skizzen folge. Dem müsse aber die Bernhard-Stiftung zustimmen.

Keine Zustimmung für Aufführung

Einer etwaigen Aufführung der Bernhard'schen Version des Stücks könne und werde die Stiftung "nicht zustimmen", hat Peter Fabjan, Bernhards Halbbruder und Mitverwalter des Nachlasses, bereits klargestellt. Fabjan bezieht sich dabei auf den Passus in Bernhards Testament, wonach "alles bisher Unveröffentlichte nicht veröffentlicht werden darf."

Aus Mozarteum-Archiv gestohlen?

Laut Fabjan wurde das Manuskript aus dem Archiv des Salzburger Mozarteums gestohlen. Dies sei ihm vor drei Jahren mitgeteilt worden. Er würde zwar gerne das Original für die Bernhard-Stiftung kaufen, habe aber nicht die Mittel dafür, so der Halbbruder weiter.

"Nie im Mozarteum-Archiv"

Mozarteum-Bibliotheksdirektor Werner Rainer meinte dagegen auf Nachfrage der APA, dass das "Manuskript niemals im Mozarteum-Archiv" gewesen sei. "Daran ist kein Wort wahr". Wenn Fabjan das behaupte, dann "liegt das vielleicht in der Familie. Da wurde ja fest gedichtet", so Rainer. Er würde sich freuen, "wenn wir so etwas gehabt hätten". Rainer hält es jedoch für möglich, dass das Manuskript aus dem Nachlass von Bernhards Mozarteum-Lehrer Rudolf E. Leisner stammt. "Da könnte es vermutlich irgendein Manuskript gegeben haben. Aber da hat es sich ein anderer rausgeklaubt."

Unruhe und überhöhte Bewertung

"Wir waren über dieses Manuskript bereits vor zwei Jahren informiert. Nun herrscht natürlich Unruhe, weil keiner der Akteure sagt, woher das Manuskript stammt. Bestenfalls ist es eine Schenkung", sagt Schmidt-Dengler im Gespräch mit ON Kultur.

Erstaunt zeigt sich der Germanist über die hohe Bewertung: "Es zählt nicht zu Bernhards bedeutenden Werken. Meiner Meinung nach liegt der Wert bei etwa einem Zehntel der genannten 5,8 Millionen Schilling (Euro 421.502,44). Der Markt reagiert überhitzt. Ich bin der Meinung, dass man den Antiquariatshandel bei solchen Vorgangsweisen keinesfalls unterstützen soll. Das ist nicht seriös und sollte nicht Schule machen."

Versuch zur Klärung

Fabjan und die Bernhard-Privatstiftung hätten "schon vor Jahren versucht", den rechtlichen Anspruch an dem Manuskript zu klären. Jedoch seien die Bemühungen, "diesen weiteren Weg in den Handel zu verhindern", vergeblich gewesen. Vor "ein paar Jahren" sei Fabjan und der Bernhard-Stiftung "zu unserer Verblüffung mitgeteilt worden, dass das Manuskript ursprünglich im Archiv des Salzburger Mozarteums verwahrt und von dort entwendet" worden sei, so Fabjan.

Gescheiterter Versuch

Fabjan und die Stiftung hätten "unmittelbar nach dem Geschehen" versucht, das Manuskript zurückzubekommen, bevor es in den Handel gebracht wurde. Das sei jedoch "abgeblockt oder nicht in unserem Sinne verfolgt" worden, sagt Fabjan. "Man machte uns die traurige Mitteilung, dass, wenn das einmal im Autographenhandel ist, die Chancen, es jemals zu bekommen, gleich null" sind.

"Republik soll helfen"

"Eigentlich wäre es die Aufgabe des Thomas-Bernhard-Archivs, solche Sachen im Original zu erwerben - oder zumindest in Kopie. Die Mittel für das Original haben wir jedoch nicht, und wenn das Manuskript in privater Hand ist, gibt es auch kaum eine Chance für eine Kopie". Fabjan sieht in diesem Fall "vielleicht die private Hand oder sogar die Republik - insbesondere die Nationalbibliothek" gefordert, dem Archiv entsprechende Mittel zur Komplettierung des Bestandes zu geben.

Handlung in Koreakrieg verlegt

In diesem Jugend-Werk hat Bernhard auf 68 mit Bleistift geschriebenen Seiten die Handlung von Wolfes 1922 entstandenem Stück von der Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges in den Koreakrieg verlegt. "Es gibt bessere Stücke, aber wenige, die ich leidenschaftlicher gelesen und gewürdigt hätte", zitiert der "Standard" aus Bernhards Notizen.