Eine Verbannung in die Heimat

  • Der Standard
  • 28. Mai 1998
  • Thomas Trenkler

2200 Objekte umfaßt der Max-Reinhardt-Nachlaß, der sich in Privatbesitz in Wien befindet. Ein Verkauf an die öffentliche Hand kommt nicht zustande: Man ziert sich, bietet inakzeptable Summen. Das "hochrangige Kulturgut" ins Ausland zu verkaufen, wurde aber untersagt. Ein Sittenbild aus Österreich.

Wien - Wie sich die Zeiten ändern: Max Reinhardt, 1873 in Baden geboren, war, als Hitler die Macht übernahm, unerwünscht. Er verließ das Land. Sein Nachlaß kam zufällig zurück nach Österreich. Sein Besitzer will ihn ins Ausland verkaufen. Doch der Staat hat es verboten: Reinhardt, respektive was von ihm zeugt, hat im Land zu bleiben.

Man kann die Geschichte auch anders erzählen: Peter Marboe, Wiener Kulturstadtrat, zitiert gern Martin Bubers "Sonnenfinsternis", die das Land während der Nazi-Herrschaft überzogen hatte. Wien leide bis heute unter den Folgen dieser Ära, die auch zu einer Geistesfinsternis geführt habe. Es sei daher Ziel, so Marboe, die Kulturgeschichte der Stadt wieder heimzuholen. Bei der Eröffnung des Schönberg-Centers im März sagte er, das Erbe von Zemlinsky, Krenek, Kiesler sei bereits in Wien, bezüglich Reinhardt gebe es gute Aussichten für einen entsprechende Lösung. Doch auf diese wartet der Besitzer des Nachlasses seit Jahren: Man hält ihn hin.

Jürgen Stein, ein Theaterwissenschafter, hatte das Reinhardt-Archiv, in New York zusammengetragen, 1981 erworben und nach Deutschland gebracht. Mitte der 80er-Jahre gab er die Wissenschaft auf - und wurde Gastwirt am Wiener Spittelberg. Den Nachlaß nahm er mit: ungeordnet in Koffern.

Schon damals gedachte er, ihn zu verkaufen, und das Theatermuseum nahm eine Besichtigung vor. Das Denkmalamt bekam Wind vom Kulturschatz und verbot die Ausfuhr. 1992 legte die Wiener Stadt- und Landesbibliothek ein Angebot über drei Millionen Schilling - ein inakzeptabler Preis für Stein, dem ein Gutachten von Sotheby's über zwei Drittel des Archivs, 1996 erstellt, recht geben sollte: Es bezifferte den Wert auf zumindest 6,6 bis 8,8 Millionen.

Nichts passierte. 1997 übertrug Stein, der den Nachlaß belehnen mußte, dem Wiener Antiquar Hugo Wetscherek die Verwertungsrechte. Dieser erstellte nun eine vollständige Konkordanz, die kürzlich in Buchform erschien.

Das Archiv umfaßt rund 2200 Objekte - mehr als 50 Prozent der gesamten Dokumente zu und von Max Reinhardt, darunter der komplette Briefwechsel zwischen dem Regisseur und seiner Frau Helene Thimig ab 1917. Reinhardts Entwürfe seiner Autobiografie. Briefe über die Emigration und Hitler, den er als "rasenden Tollhäusler" bezeichnet. Das Konzept zu einem Brief an Franz Werfel, in dem sich Reinhardt wenige Tage vor seinem Tod 1943 für die Glückwünsche von rund 80 Emigranten zum 70. Geburtstag bedankt.

Des weiteren befinden sich in dem Konvolut Dokumente zum Theater in der Josefstadt. Die Korrespondenz mit Hugo von Hofmannsthal über die Besetzung für den ersten Jedermann in Salzburg. Bühnenbildentwürfe von Lovis Corinth und Caspar Neher. Teile seiner Bibliothek, darunter ein Buch aus dem Besitz Ludwig XIV. mit Abbildungen von Moliere-Uraufführungen in Versailles. Fünf Regiebücher, zum Beispiel zu Stella, Reinhardts letzte Inszenierung in Berlin - und zugleich seine erste in Wien. Allein dieses Heft ist, so Wetscherek, eine Dreiviertel Million wert.

"Es wäre ein leichtes für mich gewesen, nur jenen Bestand anzubieten, der durch Sotheby's dokumentiert ist, und den Rest selbst zu verwerten", sagt er. "Das wäre wesentlich lukrativer - und mit wesentlich weniger Ärger verbunden. Aber wir wollten den Nachlaß als Einheit erhalten."
Im November 1997 trat Wetscherek an das Denkmalamt heran, damit der Nachlaß entweder im Rahmen des Ersatzkaufverfahrens im Inland zu 80 Prozent des ausländischen Verkehrswerts, der bei 14 Millionen Schilling liegt, erworben wird - oder freigegeben wird zur Ausfuhr.
Das Denkmalamt fragte daraufhin 38 Institutionen, ob Interesse am Kauf bestünde. Weil aber bekannt ist, daß die Stadt Wien ihre Hand auf das Material legte, antworteten die meisten, daß sie keine Absichten hegten. Die Museen der Stadt Wien ersuchten das Denkmalamt aber (wie viele andere auch), keine Ausfuhrgenehmigung "für dieses hochrangige Kulturgut, das für die österreichische Theaterwissenschaft enorme Bedeutung besitzt", zu erteilen.

Und die Salzburger Festspiele, von Reinhardt gegründet, bekundeten lediglich Interesse an einer Lichtpause. Die Frist des sechsmonatigen Verfahrens lief bis 21. April. "Das Ergebnis: Der Staat interessiert sich für eine Xerokopie", resümiert Wetscherek.

Die Stadt Wien erklärte sich bereit, sieben Millionen zu zahlen - also die Hälfte. Eine erpresserische Methode, die, meint Wetscherek, früher oder später aufgehen muß, weil er keine Handhabe hätte. "Ich kann nur weiterwarten. Und zugleich sind die Zinsen für den Kredit zu bezahlen." Dabei kann er ein Angebot von der Reinhardt-Erbengemeinschaft aus Berlin vorweisen, das wesentlich höher liegt als die sieben Millionen der Stadt- und Landesbibliothek.