Iffland, der mächtige Menschenmaler

  • Berliner Zeitung
  • 14. Januar 2014
  • Dirk Pilz

Alle jubeln über die Korrespondenzbücher des Schauspielers und Theaterleiters August Wilhelm Iffland - gefunden angeblich im Müll. Sofort wurden sie zum nationalen Kulturerbe erklärt. Aber wofür brauchen wir sie eigentlich?

Es sind jetzt also die Korrespondenzbücher von August Wilhelm Iffland wieder da. 34 Bände, 6000 Briefe und Dokumente, aufgetaucht unter abenteuerlichen Umständen. Was wurde das allseits bejubelt. Iffland! Der Musterschauspieler!

Überall war man sich sofort einig, dass dieser Mann ungemein lobenswert und wichtig, bedeutend und nationalkulturerbewürdig sei. Bruno Ganz, der derzeitige Träger des Iffland-Ringes, einer honorigen, auf Lebenszeit verliehenen Auszeichnung – fordert natürlich die Veröffentlichung des Iffland-Nachlasses. Weil er so wichtig ist. Aber warum eigentlich?

Blockbuster-Theater

Es gibt für diese reflexhafte Iffland-Wertschätzung zwei Gründe, sie sind sehr verschieden und sehr aufschlussreich. Zum einen: Iffland war nicht nur Schauspieler. Er war auch ein seinerzeit erfolgreicher Dramatiker, vornehmlich Verfasser von Rührstücken.

Mehr als 70 Dramen und Übersetzungen verdanken wir diesem protestantischen Mann, der am Mannheimer Nationaltheater bekannt wurde (er war 1782 der Franz Moor in der "Räuber"-Uraufführung von Schiller!), dort in den künstlerischen Vorstand aufstieg, also Regisseur und 1796 zum Intendanten des Berliner Königlichen Nationaltheaters ernannt wurde. Seine konservative Position gegenüber der Französischen Revolution soll ihm dabei übrigens sehr zugute gekommen sein.

In Berlin stand er einem Haus mit 2000 Plätzen vor, das zwei Mal täglich Vorstellungen gab – Iffland leitete eine Blockbuster-Bühne in einer theatervernarrten Stadt. Nie wieder war Theater in Berlin so wichtig wie damals. Und die Dokumente des Nachlasses erlauben womöglich ein genaueres Verständnis, wie der Intendant Iffland den Erfolg zu organisieren vermochte. Auch, warum er für Heinrich von Kleist zum Intimfeind wurde.

Bemerkenswert zudem: In Zeiten, da das Theater allenthalben mit schwindender Bedeutung und wachsendem Legitimationsdruck, folglich gegen Subventionskürzungen zu kämpfen hat, werden Zeiten gefeiert, in denen das Theater Leit- und Vorbildmedium war. Als ob man mit Iffland etwas beschwöre, was endgültig vorüber ist. Als ob, hinterhältige Dialektik!, der einstige Glanz des Theaters sein heutiges Elend zu begründen habe.

Nahezu distanzlose Huldigung

Der andere Grund für die nahezu distanzlose Iffland-Huldigung: Er hat zutiefst, tiefer als vielen bewusst, das heute handelsübliche Theaterverständnis geprägt. Seine kleine, 1785 in Gotha erschienene Schrift "Fragmente über Menschendarstellung auf den deutschen Bühnen" fordert in schönster Eindeutigkeit, was bis heute als leitend für die allgemeine Theatererwartung gilt:

Der Darsteller habe ein "mächtiger Menschenmaler" zu sein, er dürfe nicht "künsteln", sondern müsse "natürlich" wirken, müsse dabei den "wahren" Menschen so zeigen, dass es im Zuschauer "das Gefühl für den edlen Anstand" wecke.

Das Theater diene der "Bildung der Seele", der Schauspieler als "Menschenkenner" werde so zum "Volkslehrer". Anders als etwa an Goethes Weimaraner Bühne hat Iffland jene illusionistische Als-ob-Spielweise gefordert und durchgesetzt, die vom Darsteller das vollkommene Hineinverwandeln in eine Figur verlangt. Auf dass sie wie "aus einem Guss" erscheine.

In Hollywood und im deutschen Fernsehen finden sich heute die treusten Iffland-Jünger; und auch ins Theater gehen nach wie vor viele mit eben dieser Hoffnung auf die "große Würkung" dieser illusionistischen "Täuschungen".

Nationales Kulturgut

Iffland wusste übrigens, dass Theater mehr und anders sein kann als Illusionsspiel; und er wusste, wie hervorragend sich solches Theater in den Dienst der Herrschenden stellen lässt; vermutlich wird auch darüber der Nachlass bestens Auskunft geben.

(Man lese hierzu das hervorragende Buch der Leipziger Theaterwissenschaftlerin Gerda Baumbach: Schauspieler. Historische Anthropologie. Bd. 1: Schauspielstile, Leipzig 2012). Damals war dieser Illusionismus eine enorme, offenbar allseits elektrisierende Neuerung, heute ist er auch Ballast.

Der Iffland-Nachlass, hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters schnell erklärt, sei ein "nationales Kulturgut". Es stünden auch die Chancen für eine gütliche Einigung zwischen dem Land Berlin und dem Besitzer, einem Wiener Antiquar, also eine Rückführung nach Berlin und in die öffentliche Hand gut. Sehr schön. Nur sollte die Nation ihr Kulturgut mit kritischem Interesse würdigen.