Krimi aus dem Archiv

  • Stuttgarter Zeitung
  • 9. Januar 2014
  • Stefan Kister

Stuttgart - Antiquaria sind etwas für Kenner, Liebhaber und Spezialisten. Wenn nun aller Augen auf Ludwigsburg gerichtet sind, wo Petra Bewer seit 28 Jahren als Veranstalterin der Antiquariatsmesse das Fachpublikum versammelt, müsste das für sie eigentlich ein Grund zur Freude sein. Doch wirkt sie von dem medialen Getöse, mit dem nun zwei Wochen vor Beginn ihre Veranstaltung in die Schlagzeilen der Feuilletons geraten ist, einigermaßen irritiert. In der Tat mischt sich hier auf eigentümliche Weise Erfreuliches mit Bedenklichem. Um was geht es?

Wie berichtet, wurde im aktuellen Katalog der Antiquaria der Verkauf eines bislang verschollen geglaubten Bestands von unschätzbarer kultureller Bedeutung angeboten: das Korrespondenzarchiv des Theaterheros der Goethezeit, August Wilhelm Iffland. Rund sechstausend Briefe in 34 Bänden, die Korrespondenz der Dichter der Klassik und Romantik mit ihrem adäquaten Umsetzer, denn als solcher darf Iffland nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Intendant des Nationaltheaters in Berlin gelten – deutsche Theatergeschichte also zum Preis von 450 000 Euro. Ein solches Werk sticht aus den antiquarischen Quisquilien, so schön sie im Einzelnen sein mögen, in seiner geistesgeschichtlichen Relevanz heraus.

So weit, so erfreulich für Petra Bewer – wäre da nicht die leidige Eigentümerfrage, die inzwischen dazu geführt hat, dass der Anbieter, das Wiener Antiquariat Inlibris, das Konvolut von der Messe zurückgezogen hat. Denn auf die spektakuläre Ankündigung des Katalogs ist auch die Berliner Kulturverwaltung aufmerksam geworden und hat rechtliche Schritte eingeleitet, den Verkauf zu unterbinden. Berlin ist der Auffassung, dass die Iffland-Korrespondenz Eigentum des Landes ist und alles getan werden muss, das Konvolut zurückzugewinnen.

Angegriffenes Rechtsbewusstsein?

Und schon ist man mitten in einem Kriminalstück, wie es Iffland nicht besser hätte inszenieren können. Die Rollen sind folgendermaßen besetzt: ein Mitarbeiter der Berliner Akademie der Künste, der mittlerweile 90-jährige Hugo Fetting, der sich im Chaos der Nachkriegszeit aus Trümmern diese und andere Dokumente gesichert hat, dessen Rechtsbewusstsein aber womöglich von wissenschaftlicher Leidenschaft und sammlerischer Obsession etwas angegriffen worden ist; ein Antiquar, der sich dies zunutze machte, das Konvolut und weitere Schriften zu einem Zehntel jener Summe erwarb, für die er es nun in Ludwigsburg an den Mann bringen wollte; schließlich eine freihändig agierende Direktion der Akademie, die mit dem Geschäftsführer von Inlibris windige Deals abschloss im Stile von: Gibst du mir das zurück, schenke ich dir jenes. So jedenfalls erklärt Hugo Wetscherek vom besagten österreichischen Antiquariat seine Abmachung mit der Akademie: Inlibris anerkennt die Eigentumsrechte der Akademie an einem Teil der erworbenen Stücke, Bühnenbildentwürfe, Briefe und Gemälde, dafür anerkennt die Akademie die Eigentumsrechte von Inlibris an der Aktensammlung der Theaterdirektion.

Wem also gehört Iffland? Die Theaterhistorikerin Ruth Freydank hat darauf eine klare Antwort: "Ein solcher Bestand muss auf jeden Fall in öffentlicher Hand bleiben." Freydank hat über die Vorgeschichte der Iffland-Hinterlassenschaften geforscht, bis sich deren Spuren im Nachkriegsdunkel zerstreut haben, aus dem sie nun unversehens wieder aufgetaucht sind. "Hier hat man es mit einem Schlüsselmoment der deutschen Theatergeschichte zu tun: binnen kürzester Zeit hat Iffland von 1796 an das Berliner Haus zum führenden Theater Deutschlands gemacht. Er verhalf mit seinen Aufführungen Schiller zum Durchbruch", sagt die 78-jährige Wissenschaftlerin, die in der DDR die Abteilung Berliner Theatergeschichte am Märkischen Museum geleitet hat. Trotz ihres Alters und eines zur Zeit lädierten Knöchels sei sie beinahe in die Luft gesprungen, als sie jetzt von dem wiederaufgetauchten Dokumentenbestand gehört habe. "Das Einzigartige daran ist die Vollständigkeit, mit der sich hier der Austausch innerhalb der damaligen Geisteselite belegen lässt. Der germanistischen Forschung erschließt dies eine neue unschätzbare Quelle", sagt Ruth Freydank.

Und noch einen zweiten wichtigen Effekt hat der Fund für die engagierte Theaterforscherin: Durch solch spektakuläre Erfahrungen würden die Versäumnisse der Vergangenheit endlich offenbar. Welche merkwürdigen Spielregeln in den Archiven der Nachkriegszeit teils geherrscht haben, weiß sie aus eigener Anschauung. "Höchste Zeit, dass man sich in Berlin wieder mit der Einrichtung eines Theatermuseums befasst."

Jetzt ist das Gericht am Zug

Während sich im Felde der Kunst mittlerweile eine intensive Provenienzforschung etabliert hat, fehlt Vergleichbares noch auf anderen Gebieten, schon allein deshalb, weil es sich hier um Objekte handelt, die in der Regel zu weitaus weniger aufsehenerregenden Summen gehandelt werden. Jetzt ist erst einmal das Gericht am Zug. Die Berliner Senatsverwaltung hat gegen Unbekannt und gegen Hugo Fetting eine Strafanzeige "wegen aller in Betracht kommender Delikte" gestellt. Solange wird es noch dauern, bis der Schatz des einstigen Berliner Impresario seiner fälligen wissenschaftlichen Auswertung zugeführt wird.

Als höchste Auszeichnung für einen Schauspieler gilt im deutschsprachigen Raum der Iffland-Ring, der auf Lebenszeit verliehen wird. Zur Zeit trägt ihn der Schweizer Bruno Ganz. Auch er meldet sich nun zu Wort und fordert, die Dokumente, Briefe und Bühnenbildentwürfe müssten veröffentlicht werden, da sie für die Geschichte des Theaters von großer Bedeutung seien. Etwas in dieser Größenordnung hat Petra Bewer von der Ludwigsburger Antiquariatsmesse bisher noch nicht zu bieten gehabt. Und dabei wird es wohl auch bleiben. "Das antiquarische Buch zieht in der Regel nicht die Aufmerksamkeit auf sich wie die Bildende Kunst." Sie könnte es verschmerzen. Sorge macht ihr etwas anderes: "Dass durch den Fall ein negatives Licht auf die Szene fallen könnte."