Schatz eines Theaterpraktikers: Goethezeitkenner warten aufs Iffland-Archiv

  • Neue Osnabrücker Zeitung
  • 10. Januar 2014
  • Christine Adam

Osnabrück. Das Archiv des legendären Theatermanns August Wilhelm Iffland ist auf verschlungenen Pfaden wieder aufgetaucht. Was macht es inhaltlich so wertvoll, dass Berlin um es kämpft?

Stoff für ein eigenes Theaterstück liefert das verschollen geglaubte Archiv des legendären Theaterneuerers August Wilhelm Iffland , das nun auf nebulösen Pfaden aufgetaucht ist. 34 Bände mit rund 6000 Briefen und Hunderten von Kostüm-, Besetzungs- und Dekorationsverzeichnissen des Königlichen Nationaltheaters Berlin wurden vom Wiener Antiquariat Inlibris zum Kauf angeboten – für 450 000 Euro. Das Land Berlin erhob im November 2013 Anklage gegen den Sammler, der das Antiquariat beauftragt hatte. Denn das Iffland-Archiv gehörte vor 1945 wohl zum Bestand des Museums der Staatlichen Theater in Berlin. Daraus ist es in den Kriegswirren verschwunden und auf unklare Weise in die Hände des Sammlers und Theaterhistorikers gelangt. Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz möchte das "nationale Kulturgut" aber unbedingt in Berlin behalten. Was machen eigentlich die 34 Bände für uns Nachgeborenen inhaltlich so wertvoll?

An August Wilhelm Iffland (1759–1814), viel gespieltem Dramatiker, Theaterdirektor der deutschen Klassik und einem der größten Schauspieler seiner Zeit, führte in der Goethezeit kein Weg in Theaterdingen vorbei. Also stand er auch in regem Austausch mit Stücke schreibenden Dichterfürsten wie Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe oder August von Kotzebue.

Iffland selbst spielte den Franz Moor in der Mannheimer Erstaufführung von Schillers "Die Räuber", arbeitete auf Einladung Goethes in Weimar und prägte vor allem als Direktor des Nationaltheaters nicht nur das Berliner Theaterleben. "Er bewegte sich damals in einem riesigen Beziehungsgeflecht, in einer Kommunikationsfülle mit intensiven Netzwerken, die wir heute im Internetzeitalter nur bestaunen können", sagt Silke Gablenz Kolokovic, künstlerische Leiterin und Vorstandsvorsitzende des "Liebhabertheaters Schloss Kochberg" bei Weimar.

Das kleine Theater mit 73 Sitzplätzen, einstiger Landsitz von Goethes Herzensfreundin Charlotte von Stein, hat sich seit zehn Jahren ganz auf Stücke und Spielweise des Barock, der Klassik und Romantik spezialisiert. Logisch, dass Silke Gablenz Kolokovic viel über Iffland weiß und von seinen nun aufgetauchten, umfangreichen Korrespondenzen noch mehr Informationen für ihren Spieltrieb erhofft. "Ich glaube, dass man von ihm auch viel über Theaterleitung lernen kann," sagt sie mit Blick auf ihre eigene Position, weil der Theaterbetrieb damals unkomplizierter gehandhabt werden musste."

Doch was war das Epochale an diesem August Wilhelm Iffland, von dem heute kaum mehr als die hohe Theaterauszeichnung des Iffland-Ringes öffentlich bekannt ist, den seit 1996 der Schauspieler Bruno Ganz trägt? "Iffland war damals berühmt wie später Stanislawski , weil er die neue realistische Geste auf der Bühne eingeführt hat", betont auf Anfrage der Berliner Literaturwissenschaftler Conrad Wiedemann, Inspirator des Projekts "Berliner Klassik".

Iffland hat mit den festen Regeln des Barock- und Aufklärungstheaters gebrochen, die vorschrieben, wie Darsteller im 90-Grad-Winkel ihre Füße zu setzen und ihre Arme nicht über Schulterhöhe zu erheben hatten, erklärt Wiedemann. "Für die Psychologie der Gruppe auf der Bühne interessierte sich erst Iffland, Individualpsychologie war damals überhaupt sehr neu." Deshalb wurde dies auch ausführlich und haarklein betrieben und schlug sich schriftlich nieder. Briefe, Publikumsreaktionen, Regiekonzepte aus dem Iffland-Nachlass hält Wiedemann daher für höchst aufschlussreich und von großem öffentlichen Interesse.

So sieht es auch der Opernregisseur Nils Niemann, Spezialist für historische Theaterpraxis, der auf Schloss Kochberg inszeniert und dort entsprechende Kurse gibt. Er hält sich für sein Forschen und Arbeiten schon jetzt an das, was von Ifflands Bühnenbildern, Kostümzeichnungen, Korrespondenzen mit Schauspielern überliefert ist. "In seinen Kostümzeichnungen steckt so viel Charakterisierungskunst, dass man etwa am Faltenwurf von Kleidung erkennen kann, ob eine Figur ein schlechtes Körpergefühl ausdrücken soll. Da stimmt jedes kleine Detail." Deshalb lohne es, ohne vorgefasste Meinungen über die damalige Bühnenarbeit genau hinzuschauen: "Damit von dieser Kunst nicht zu viel verloren geht." Auch er wartet gespannt auf die Hinterlassenschaften aus Händen des akribischen Theaterpraktikers Iffland.