Rezension: Ich kenne den Zauber der Schrift (Literaturkritik.de)

  • Literaturkritik.de
  • 1 April 2006

Rezension in: Literaturkritik.de, April 2006 / Nr. 4
Rezensent: H.-Georg Lützenkirchen

Späte Vollendung

Der Band "Ich kenne den Zauber der Schrift" führt erstmals fast 1000 Handschriften aus Stefan Zweigs berühmter Autografensammlung in einem Katalog zusammen

"Der Bibliophile sucht die Form, die vollendete Form eines Kunstwerks, der Autographensammler die Urform, die unvollendete, in der noch die Schöpfung gärt; jener den Schlußpunkt, die vorläufig endgültige, dieser den Anfang, den Urzustand des Werks. Der Bibliophile will das Werk, das Objekt spüren, der Autographensammler das Subjekt, den Autor."

Stefan Zweig schrieb das 1923 in einem Artikel zur Verteidigung seiner "Liebhaberei" des Sammelns von Autografen gegen das Unverständnis vieler Zeitgenossen. Stefan Zweig pflegte diese Leidenschaft, die wohl einst in schwärmerischen Schulzeiten begonnen hatte, als es in Wien zum Ende des 19. Jahrhundert keineswegs ungewöhnlich war, wenn man in jugendlicher Begeisterung von umschwärmten Zeitgenossen, den angesagten Schriftstellern, Burgschauspielern, Opernsängerinnen und Komponisten ein 'Autogramm' zu erhaschen suchte.

Zweig aber blieb der Sache auch als erwachsener Mensch treu. Für ihn wurde das Sammeln von Autographen im Laufe der Jahre zu einer stillen, aber intensiv betriebenen Passion. Und so wurde Stefan Zweig zu einem der wichtigsten Autografensammler seiner Zeit.

Das sprach sich nicht nur unter Fachleuten herum. Seine Berühmtheit und die seiner Sammlung übte auch auf manchen Schriftstellerkollegen einen gewissen Reiz aus. So kam beispielsweise 1920 unaufgefordert ein Einschreiben aus München bei Zweig an: "Werter Herr Doktor Zweig," so hieß es im Begleitbrief, "Alexander Eliasberg [...] erzählt mir von Ihrer Manuskript-Sammlung, die schon so reichhaltig ist, daß auch etwas Geschriebenes von mir Ihnen vielleicht willkommen sein werde. Da das eine Art von Gelegenheit ist, Ihnen ein Zeichen meiner herzlichen Wertschätzung - ein schwaches Zeichen - zu geben, so schicke ich Ihnen ein paar Blätter, das Manuskript der Skizze 'Die Hungernden' [...] mit der Bitte, sie als Geschenk von mir anzunehmen. Ihr ergebener Thomas Mann."

Immer wieder sah der Sammler Zweig sich aber auch einem gewissen Unverständnis seiner Zeitgenossen ausgesetzt. Mit nur wenigen Menschen ließ sich die Begeisterung beim stillen Betrachten der Autografen so teilen wie mit dem Freund Romain Rolland, der selbst bedeutende Musikautografen besaß. Boshaft äußerte sich später einmal Elias Canetti über diese "Weihestunden". In der Betrachtung der Dokumente äußere sich eine "Charakterschwäche", wenn der "erbärmliche Wicht" Zweig derart versuche, sich eine gewisse Größe zu verleihen.

Stefan Zweig wusste sehr wohl, dass seine Sammelleidenschaft zuweilen den zwiespältigen Eindruck einer privatistischen "Autographenhamsterei" erregte. Zu begegnen versuchte er dem mit sanft-energischen Widerreden, die er in Fachzeitschriften und Feuilletons veröffentlichte. Hierzu gehört auch der Artikel "'Ein Blättchen Papier...' Eine Apologie des Autographensammelns", aus dem das einleitende Zitat entnommen ist. In diesem Falle reagierte Zweig auf eine Polemik, in welcher ein unbekannter Autor seine abschätzige Verwunderung über die "enormen Preise", die ein Sammler für so "ein Blättchen Papier" zu zahlen bereit gewesen war, geäußert hatte. In den Texten ging es Zweig zumeist darum, seine private Leidenschaft als ein Sammlerinteresse zu erläutern, das nicht nur zum Ausgangspunkt seines schriftstellerischen Schaffens werden konnte, sondern dem darüber hinaus auch ein allgemeiner kultureller Mehrwert innewohnte.

Gerade deshalb war die Katalogisierung der im Salzburger Wohnhaus am Kapuzinerberg zusammen mit einer fast 4000 Bände umfassenden Fachbibliothek von Auktions- und Sammlungskatalogen aufbewahrten Sammlung von Bedeutung. Ein bebilderter, schön gestalteter Katalog hätte der Sammlung eben jene über alles Privatistische hinausgehende objektive Würdigung verliehen. Doch alle Versuche Zweigs, dieses Unternehmen seit den 20er Jahren erfolgreich zu verwirklichen, gingen fehl. Stattdessen veränderten sich ab 1933 die Lebensbedingungen Zweigs. Der Österreicher wurde zum Emigranten, für den sich die Bedeutung seiner Sammlung veränderte. Nur noch wenige herausragende und ihm persönlich sehr viel bedeutende Stücke wollte er sich erhalten. Der Rest der Schriften wurde verkauft. Wesentliche Teile befinden sich heute im Besitz der Foundation Martin Bodmer, der British Library sowie dem Österreichischen Theatermuseum.

Der vorliegende Band ist eine verspätete Vollendung des Wunschs nach einem Katalog der Zweig'schen Sammlung. Im Katalogteil des Buches sind "annähernd 1000 Autographen, die sich früher im Besitz Stefan Zweigs befanden" verzeichnet. "Damit", so preist der Einleitungstext des Bands, "ist die Sammlung erstmals in einem Verzeichnis nahezu komplett zusammengefaßt."

Darüber hinaus versammelt der Band 23 Aufsätze, die Stefan Zweig "über das Sammeln von Handschriften" seit 1916 veröffentlicht hatte.

Der kenntnisreich und interessant zu lesende Text "Stefan Zweig als Autographensammler" erläutert die Geschichte der Sammlung im Kontext der Lebensgeschichte ihres Begründers, Stefan Zweig.


Stefan Zweig: Ich kenne den Zauber der Schrift. Katalog und Geschichte der Autographensammlung Stefan Zweig. Mit kommentiertem Abdruck von Stefan Zweigs Aufsätzen über das Sammeln von Handschriften. Bearbeitet von Oliver Matuschek. Inlibris Verlag, Wien 2005. 432 Seiten, 68,00 EUR. ISBN 3950180915.