Nicht still steht die Vergangenheit

  • Frankfurter Rundschau
  • 8 January 2014
  • Nikolaus Bernau

Unklare Umstände: Das verschollene Korrespondenz-Archiv August Wilhelm Ifflands ist wieder aufgetaucht. Das Land Berlin hat nun den geplanten Verkauf der wertvollen Dokumente vorerst stoppen lassen.

Es liegt im Wesen der Bühnenkunst, dass der Ruhm ihrer Akteure recht flüchtig ist. Umso auffälliger ist es, wenn ein Name aus dem Beginn des vorvergangenen Jahrhunderts bis heute leuchtet: der von August Wilhelm Iffland, einem der bedeutendsten Schauspieler, Dramaturgen und Theaterdirektoren seiner Zeit, von 1797 bis zu seinem Tod 1814 Direktor des Berliner Schauspielhauses, des damaligen Königlichen Nationaltheaters. Berlin verdankt seinen Ruf als Theaterstadt wesentlich Iffland, der hier Schiller und Goethe spielte, den Sturm und Drang, die frühe Klassik und Romantik etablierte, ein realistisches deutschsprachiges Theater gegen die idealistische französisch- und italienischsprachige Bühnenpraxis der Zeit setzte.

Es ist nicht überraschend, dass die Nachricht vom Auftauchen des seit dem Krieg verschollenen 34-bändigen Korrespondenzbuchs Ifflands, in dem er Abschriften seiner Briefe und die Originale empfangener Briefe einklebte, als Sensation gilt.

Zusammen mit anderen Teilen aus Ifflands Nachlass sollten die Bände eigentlich auf der diesjährigen Antiquariatsmesse in Ludwigsburg verkauft werden, für 450 000 Euro. Doch sorgte der Berliner Senat, aufmerksam gemacht vom Berliner Landesarchiv, dafür, dass das Angebot bis auf weiteres zurück gezogen wurde: mit einer Strafanzeige gegen den Vorbesitzer, den inzwischen 90-Jährigen Berliner Theaterhistoriker Hugo Fetting, und mit einem zivilrechtlichen Einspruch bei den Antiquariaten Inlibris aus Wien und Kotte in Roßhaupten.

Immerhin geht es um Briefe etwa von und an Johanna Schopenhauer, August Wilhelm Schlegel, August von Kotzebue. Auch einige Zeilen Goethes sind enthalten. Die meisten Schreiben von ihm an Iffland allerdings fehlen, wie auch die Schillers; wahrscheinlich wurden sie nach dem Tod Ifflands der Sitte entsprechend zurück nach Weimar gesandt.

Der Sprecher der Berliner Kulturverwaltung, Günter Kolodziej, sagte jetzt der FR, der Senat gehe davon aus, dass die 34 Bände dem Land Berlin gehörten. Es sei der rechtmäßige Erbe des einstigen Berliner Theatermuseums, das 1929 begründet worden war und zwischen 1937 und 1945 im Lynar-Flügel des Berliner Schlosses untergebracht war. Oder auch der Erbe der Schauspielhaus-Intendanz.

Ganz klar ist nämlich nicht einmal, wo sich dieser Teil des Iffland-Nachlasses vor 1945 befand. Sicher ist nur, dass die Theater-Akten und der Bestand des Museums, so weit er die Kriegswirren überstanden hatte, verstreut wurden, sich heute teils im Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Akademie der Künste, des Berliner Landesarchivs und des Stadtmuseums befinden.

Hugo Fetting nun will die Korrespondenzbände aus der "brennenden" Intendanz geborgen haben. Oder wahlweise als "Müll" gerettet. Dass er speziellen Zugang zu Iffland-Materialien haben musste, zeigt seine Dissertation über den Theaterdirektor, die 1978 in Greifswald verteidigt wurde. Deren Quellennachweise haben allerdings nur Bezug zu Materialien aus dem Archiv der Akademie der Künste, in dem er seit 1952 arbeitete und seit 1953 eine Iffland-Gesamtausgabe vorbereitete. Von Privatbesitz ist darin nicht die Rede. Nahm er damit nur Rücksicht auf die Rechtsverhältnisse in der DDR, die so manchen erlesenen Privatbestand verkaufen ließ. Oder wurde in der Folge der tatsächliche rechtliche Übergang seines Fundes in das Eigentum der Akademie anerkannt? Diese jedenfalls kann das nicht nachweisen. Deswegen unterschrieb die Akademie auch, so Archivleiter Wolfgang Trautheim, einen Passus im Vertrag mit den Antiquaren, dass sie keinen Eigentumsanspruch erhebe.

Redliche Antiquare

Die Antiquare haben sich nämlich nach aktuellem Stand der Dinge offenbar sehr redlich verhalten. Als ihnen die Ahnung kam, dass Hugo Fettings Verkauf nicht nur Objekte umfassen könnte, die eindeutig ihm gehörten, informierten sie die Akademie und einigten sich über die gütliche Rückgabe etlicher Papiere Ifflands. Wie schon im Fall des Stralsunder Stadtarchivs zeigte sich auch hier, dass Antiquare nichts mehr fürchten als öffentlichen Streit um Eigentumsfragen. Ihr Geschäft lebt vom guten Ruf.

Trautwein betont aber auch, dass die Akademie nicht etwa für andere öffentliche Eigentümer habe sprechen können oder wollen. Alleine ihren Eigentumsanspruch habe sie in Ermangelung von eindeutigen Akten aufgegeben. Die Sachlage ist also weiter vertrackt. Wenn nämlich Fetting tatsächlich die 34 Korrespondenzbücher aus dem Müll gefischt haben sollte, dann könnten sie ihm durchaus gehören. Wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass die Bücher gegen den Willen der eigentlichen Eigentümer dorthin, in den Müll nämlich, gelangten und damit herrenlos wurden.

Wenn er sie aber "gerettet" hat, war er zur Ablieferung verpflichtet. Andererseits stellt sich die Frage, ob er sich das Eigentum – wir erinnern an die Debatte um die Sammlung Gurlitt – nicht regelrecht ersessen hat, einfach dadurch, dass über Jahrzehnte niemand nach den Büchern fragte, die in seinen Regalen standen.

Kurz: Es ist noch viel zu klären in diesem Fall. Deutlich ist allerdings schon jetzt, dass Senat, Akademie und der Antiquar auf eine gütliche Einigung setzen und jede weitere Eskalation über die der Strafanzeige gegen Fetting hinaus vermeiden wollen. Das ist vernünftig. Ob nach weit mehr als einem halben Jahrhundert gerichtsfest geklärt werden kann, wie die Bände in seinen Besitz kamen, ist wenigstens offen.