Morgenstern, Christian, Schriftsteller, Kritiker und Übersetzer (1871-1914). Eigenh. Brief mit U.

Inner-Arosa, "Chalet Sonnenberg", 29. XI. 1912.

7 SS. auf 4 (= 2 Doppel-)Blatt. 8vo.

 4.500,00

An den Maler Fürst, der sich mit einer "Anfrage wegen der Theosophie" an ihn gewandt hatte: "[...] ich [...] wollte Ihnen längst die Adresse einer Dame schreiben, die ich gut kenne und die seit 2, 3 Jahren der Wiener Loge vorsteht. Es ist Frau Reif geb. Busse. Sie stammt, glaube ich, aus Breslau, ihre Mutter lebt in Kopenhagen und war in zweiter Ehe mit dem dänischen Kunsthistoriker Bahnsen vermählt. Ihr Gatte war Maler, sie lebten lange in Taormina; dann trennte sie sich von ihm […] Frau R. ist ein interessanter Mensch, mit etwas Verzehrendem in sich, das aber mehr und mehr gebändigt worden ist. Es war ursprünglich ein schöner aber auch gefährlicher Fanatismus in ihr, der sie sozusagen im Anfang, in ihren Anfängen als Th[eosoph]in, zu rasch wachsen liess, was eine eiserne Selbstzucht dann wieder gutmachte [...] Vielleicht also haben Sie Lust, die Dame aufzusuchen und auf dem Weg über meine Wenigkeit mit ihr Fühlung zu nehmen. Einmal aus ihrer Zurückhaltung [...] herausgeholt, kann sie unerschöpflich sein und in ihrer Art, die das künstlerische und das lehrhafte Element wundersam vereint, aus Höchste und Bedeutendste anregen. Ich nenne Ihnen diese Frau, obwohl ja nie vorauszusehen ist, wie eine persönliche Bekanntschaft wirkt, und wieweit sie die Sache aufhält oder fördert. Vielfältig sind die Spiegel, in denen die grossen Lehren unserer abendländischen Th[eosoph]en sich fangen. Sie würden deshalb vielleicht lieber den Bücher-Weg einschlagen, aber ich glaube, bei der Arbeit und dem Trubel, worin Sie leben, ist der Menschen-Weg der bessere, umsomehr, als hier gerade ein Typus ist, der Ihnen, nach früheren Auslassungen von Ihnen über Dostojewski u. s. w., naheliegt. Allerdings ist möglicherweise Geduld vonnöten; denn einen älteren Th[eosoph]en lernt man nicht in Tagen, sondern erst in Jahren kennen […] Es würde mich unendlich freuen, wenn Sie Ihren dunklen Drang in wirkliches Streben umsetzten: ich wüsste nirgends eine wahrere vita nuova als hier [...]".

Am Schluß des Briefes die Anschrift der Dame: "Frau Martha Reif, Wien VII, Westbahnstr. 29 / Thür 90 (neunzig) III. Stock".

Minimal fleckig und mit winzigen Randeinrissen.

Art.-Nr.: BN#29879 Schlagwort: