Tucholsky, Kurt, Schriftsteller (1890-1935). Fromme Gesänge von Theobald Tiger. Mit einer Vorrede von Ignaz Wrobel. 1.-6-Tsd.

Berlin-Charlottenburg, Felix Lehmann Verlag, 1919.

IX, 117 SS. Illustr. Originalbroschur nach Theodor Leisser. 8vo.

 12.000,00

Erste Ausgabe. Am Innendeckel der Kartonage die eigenhändige Widmung und Unterschrift des Verfassers: "Dem großen Schweiger widmet dieses beschädigte Remittendenexemplar Tiger. Wrobel. Panter. Hauser und ick! 1919".

Kurt Tucholsky, im November 1918 nach Berlin zurückgekehrt und seit 13. Dezember Chefredakteur des "Ulk", informierte Hans Erich Blaich am 6. August 1918: "Die Tigeriana gibt ein kleiner berliner Verlag [...] heraus [...]. Wers wohl kauft - ? Und 128 Seiten ? Es sind auch Erotika dabei, damits nicht gar so langweilig ist. Ich fürchte, es wird ein Fiasko sein -". Gewidmet war das Bändchen im Druck den Freunden "Karlchen und Jakopp zur Erinnerung an Rumänien". Im selben Monat schrieb Tucholsky: "Der politische Versemacher hats nicht leicht. Er soll jede Woche seinen Purzelbaum schlagen, und ich glaube, das das 'Wochengedicht' dann, wenn es 'das' Thema der Woche behandelt, ein purer Schwindel ist" (Peter Panter, Selbstanzeige. In: Die Weltbühne v. 27. 11. 1919).

"Mit seinem Manuskript und einer Empfehlung von Siegfried Jacobsohn ging Tucholsky im Sommer 1919 in Charlottenburg zu dem Verleger Felix Lehmann. Ende Oktober war es dann so weit, daß der kleine Berliner Verlag sein Büchlein, einhundertsiebzehn Seiten stark, herausbrachte. Tucholsky wählte dafür einen Titel mit Augenaufschlag: Fromme Gesänge. Einer der Zeichner vom 'Ulk', Theodor Leiser, dachte sich für den Einband etwas Lustiges aus - das parodistische Konterfei des dicken, geplagten Theobald, der sich die schwerste aller Aufgaben gestellt hat, die ein Schriftsteller übernehmen kann: als Satiriker das Publikum zu unterhalten. Die Kummerfalten auf seiner Stirn, tief eingegraben, sprechen Bände. Das Stachelgewächs zu seiner Rechten - sollte es der Lebensbaum der satirisch eingefärbten heiteren Muse sein? - besagt, daß es diese Kunstform nicht leicht hat und auch der nicht, der damit vor den Vorhang tritt. Diesen Gedanken bestätigt auch das Vorwort, in dem es heißt, daß es für den Satiriker nicht darauf ankomme, Distanz zu halten, sondern zu kämpfen, daß der Satiriker ungerecht sein muß, aber er 'trifft, wenn er ein Kerl ist, zutiefst und zuletzt doch das Wahre und ist der Gerechtesten einer'. Der größte Teil der Gedichte war bereits in der 'Schaubühne' beziehungsweise 'Weltbühne' erschienen, einige im 'Vorwärts', einige andere schon im 'Ulk' [...] Die 'Frommen Gesänge' sind Tucholskys einziger Gedichtband geblieben. Er hat nie wieder einen gesonderten Band mit Lyrik herausgegeben, seine späteren großen Auswahlbände enthalten aber alle eine spezielle Tiger-Abteilung nur mit Gedichten. Die Verse unter diesem Namen waren seit 1918 ein Begriff, populär geworden war ihr Verfasser hauptsächlich durch den 'Ulk'. Man las die Gedichte von ihm gern, weil sie 'so saftig gesund, wie das liebe Leben selbst, so aufreizend stachlig wie der cactus vitae, neben dem er saß und dichtete, so unverschämt aufrichtig und so befreiend frech' waren, wie ein Redaktionskollege der Berliner Volkszeitung in seiner Rezension sagte" (Bemmann, S. 205).

Vorderdeckel mit kleiner Schabspur, sonst wohlerhalten.

Literatur

Bonitz/W. C 4. WG² 3. Kat. München (1990), Nr. 56 (dieses Exemplar; mit 2 Abb.).

Art.-Nr.: BN#30995 Schlagwörter: ,