500 unveröffentlichte Briefe

Thiess, Frank, Schriftsteller (1890-1977). Sammlung von 480 eigenh. Briefen, Brief-, Post- und Bildkarten sowie 2 Telegrammen an Yvonne Thiess (zusammen 1446 SS.) und 18 eh. bzw. ms. Briefen und Briefdurchschlägen an Dritte (zusammen 40 SS.). Beiliegend 44 eh. bzw. ms. Briefe verschiedener Verfasser an Frank (zusammen 100 SS.) und 54 eh. bzw. ms. Briefe bzw. Postkarten an Yvonne bzw. Irene Thiess (zusammen 81 SS.).

Berlin, Bad Aussee, Bremen, Darmstadt, Hamburg, London, Wien u. a. O., 1918-1965.

 65.000,00

"Frank Thiess hat nie eine Zeit gekannt, in der er nicht umstritten war", heißt es in der von einem Widmungsgedicht Hermann Brochs ("Dem Freund Frank Thiess") eingeleiteten Festschrift zum 60. Geburtstag des Dichters (Frank Thiess. Werk und Dichter, S. 30). Gleich zu Beginn erfolgt dort der Hinweis auf die angeblich unstrittige Bedeutung des vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten so erfolgreichen Autors für die internationale Literaturgeschichte und auf den Erfolg seines in mehreren hunderttausend Exemplaren aufgelegten Werkes "Tsushima" (Wien 1937); auch die Aufnahme in Hemingways Anthologie "Men at War", in welcher Thiess einst aus naheliegenden Gründen als der "einzige in Deutschland lebende Autor" (S. 12) vertreten war, findet ausführliche Erwähnung. Schließlich kommt die Festschrift mit dem für eine monographische Veröffentlichung bereits eigenartig anmutenden Untertitel "32 Beiträge zur Problematik unserer Zeit" aber doch auch auf "jene bekannte Diskussion über die innere und äußere Emigration" (S.11f.) zu sprechen, den durchaus auch persönlich gepflegten Konflikt des "führenden Vertreters der inneren Emigration" (Killy XI, 333) mit Thomas Mann und den vom streitbaren Thiess so bezeichneten "Logen des Auslands". Wurden zwar auch die meisten von Thiess' Werken nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten beschlagnahmt bzw. deren weitere Veröffentlichung verboten, sein Verbleib in Deutschland, vor allem aber die offensive Rechtfertigung desselben beeinträchtigten in nicht unwesentlichem Maße seine Akzeptanz innerhalb der literarischen Nachkriegslandschaft. Die bereits anläßlich des Erscheinens der zitierten Festschrift für ihn reklamierte unstrittige Stellung innerhalb der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts blieb dem Autor, dessen Werk durch die zahlreichen Neuauflagen des Zsolnay Verlags zu großen Teilen präsent geblieben ist, letztendlich auf Grund ebendieser Diskussion bis heute verwehrt.

Der vorliegende Teilnachlaß aus dem Besitz von Yvonne Thiess, der zweiten Frau des Schriftstellers, beleuchtet v. a. dessen Rolle in den letzten Jahren des nationalsozialistischen Deutschlands sowie in der Nachkriegszeit bis 1965. In den knapp 500 Schreiben an seine um 22 Jahre jüngere Frau reflektiert er ausführlich über Leben und Schaffen. Während er sich in seinen Briefen vor 1945 mit der Unmöglichkeit, als Schriftsteller den Lebensunterhalt seiner Familie zu sichern, abzufinden scheint, treffen ihn die Schwierigkeiten der ersten Nachkriegsjahre unvermittelt und seiner Meinung nach auch zu Unrecht; literarische und gesellschaftspolitische Fehden mit anderen Autoren und Interessengruppen erschweren den Weg zur alten Publizität und den damit verbundenen Honoraren: "Ernst Jüngers 'Marmorklippen' sind in England und der Schweiz ein bestseller! Dabei hatte Jünger das Nazisystem geradezu vorbereitet und die tollsten Kriegsgedichte verfasst. Diese Entwicklung war vorauszusehen, da die Alliierten einerseits mit den Entnazifizierungen schwere psychologische Fehler gemacht, anderseits wieder Rücksichten genommen hatten, die einfach unverständlich sind. Ein Interview mit mir, das ein holländischer Journalist, der mich hier besuchte, verfasst hat, ist in holländischen Zeitungen mit Bild von mir erschienen und bezeichnet mich als führenden Gegner Thomas Manns, was natürlich ebenso falsch wie propagandistisch töricht ist. Man gerät, ohne etwas dafür zu tun, in Einstufungen, die idiotisch sind und wird für den Führer von Aktionen erklärt, die sich ohne eigenes Zutun ergeben haben [...]" (Brief vom 11. VI. 1948). Sich selbst dagegen verwahrend, ist der als "führender Gegner" apostrophierte und von der "Thomas Mann-Clique [...] zum Nazi [abgestempelte]" Autor (Brief vom 2. VII. 1948) dennoch genötigt, sich im Jahr darauf gegen den "bestialische[n] Angriff von Th. Mann" zu verteidigen (Brief vom 25. V. 1949). Seiner Gattin gegenüber sich beklagend ("Was hat der Alte für einen schiechen Charakter, er kann nicht aufhören zu hassen [...]", ebd.), zieht die Auseinandersetzung der beiden Autoren immer weitere Kreise. Neben Arbeit und privaten Auseinandersetzungen (Thiess wohnte zumindest einige Zeit lang gemeinsam mit seiner ersten Gattin Florence Apking zusammen, während Yvonne, seine zweite Frau, in Österreich geblieben war), neben offiziellen Veranstaltungen ("Ich armes Schwein habe heute um 11h noch die Justus v. Liebig-Feier und anschliessend ein Festessen mit dem Bundespräsidenten durchzuhalten [...]", Brief vom 12. V. 1953) und privaten Besuchen ("Kasimir Edschmid war zum Kaffee bei mir [...]", Brief vom 22. I. 1955) bleibt Thiess' Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit das Thema seiner Korrespondenz: "Ich habe hier gehört, dass Jannings, dieser widerlichste aller Nazis, Österreicher geworden sei und in Wien an irgend einem Theater spiele. Nun, überall bemerkt man ja die grossen Nazis wieder frech und selbstbewusst dahergehen, während die kleinen und harmlosen nicht wissen, wovon sie leben sollen. Jannings! Das wäre ja so ziemlich das Ärgste. Auch Gründgens war wieder Generalintendant der Staatstheater in Düsseldorf [...]" (Brief vom 2. III. 1948). Was Jannings so schnell erreicht hatte, strebte übrigens auch Thiess an. Der nach dem Krieg erhoffte "Ruf aus Österreich" kam aber erst 1954, da Thiess von Ernst Marboe als Kandidat für die Leitung des Wiener Burgtheaters in Erwägung gezogen, unglückseligerweise aber auch voreilig als solcher genannt wurde: "Es war wohl sehr gut, dass Du mir die Ernennung Rotts und Schreyvogls telegraphiertest, dadurch konnte ich sofort an die dpa nach Hamburg ein langes Telegramm schicken des Inhalts, dass ich schon vorher nach kurzen Verhandlungen mit der B.-Th. Verwaltung den mir angebotenen Posten abgelehnt hatte, ebenso ein Telegramm an Marboe [...] überall in deutschen Zeitungen fanden sich Notizen, dass ich mit andern zusammen für den B.-Th. Direktor kandidierte, die überraschende und über meinen Kopf hinweg erfolgte Nominierung Rotts wirkt daher so, als sei ich als Bewerber durchgefallen. Du siehst nun, was das für falsche Hunde in Wien sind und was ich dort zu erwarten gehabt hätte, würde ich wirklich dieses sorgenschwere Amt angetreten haben [...]" (Brief vom 2. VII. 1954).

War Thiess nach Ende des Krieges noch überzeugt, vielleicht schon bald wieder nach Österreich zurückkehren zu können, so wurden seine Remigrationspläne durch unergiebige Verhandlungen mit österreichischen wie deutschen Ämtern und Behörden zusehends ebenso verunmöglicht wie durch den fehlenden Buchmarkt und durch fehlende Kontakte ("Erwartest Du im Ernst vielleicht, dass ich hier alles stehen und liegen lasse und nach Wien ziehe, wo mir alle Beziehungen fehlen, denen ich hier die wirtschaftliche Basis unserer Existenz verdanke?", Brief vom 13. VIII. 1962).

Neben Thiess' Briefen an seine zweite Gattin enthält der vorliegende Teilnachlaß auch Korrespondenz mit Dritten (darunter Paul und Fritz Zsolnay), von dem leider ebenso gelten muß, was Thiess selbst für andere Memorabilia bedauerte: "dass nicht nur Bücher [...] verschwunden waren, sondern auch Manuskripte" (Brief vom 14. I. 1964).

Detaillierter Katalog des gesamten Bestandes auf Anfrage.

Literatur

Frank Thiess. Werk und Dichter. Hg. von R. Italiaander (Hamburg, 1950). Vgl. E. Hemingway, Men at War: The Best War Stories of all Times (New York, 1942). Y. Wolf, Frank Thiess und der Nationalsozialismus. Ein konservativer Revolutionär als Dissident (Tübingen, 2003).

Art.-Nr.: BN#4501 Schlagwort: