"Die Diagnose ... ist das letzte und für unsere Einsicht auch vielleicht das wenigst interessante"

Jaspers, Karl, Psychiater und Philosoph (1883-1969). Eigenh. Brief mit U.

Heidelberg, 4. V. 1922.

2 SS. 8vo. Mit einer Beilage (s. u.).

 3.500,00

Als Professor für Psychologie an der Universität Heidelberg an den namentlich nicht genannten Alexander Amersdorffer, den Ersten ständigen Sekretär der Preußischen Akademie der Künste in Berlin, der ihn um eine Ferndiagnose gebeten hatte: "Nach dem Material, das Sie mir senden, ist [...] eine Geisteskrankheit und zwar ein sogenannter Krankheitsprocess (im Gegensatz zu einer blossen Veranlagung oder dauernden Constitution) sicher. Aber eine Diagnose würde ich nicht wagen. Um eine Persönlichkeit psychiatrisch aufzufassen, dazu muss man das gesamte Material studieren. Die Diagnose im Sinne der Benennung mit einem Krankheitsnamen ist das letzte und für unsere Einsicht auch vielleicht das wenigst interessante [...] Vor Jahren habe ich einmal [...] mich mit Rethel beschäftigt. Hier konnte man die sichere Diagnose 'Paralyse' gewinnen, zugleich aber feststellen, dass für die Zeit des Kunstschaffens diese Erkrankung völlig gleichgültig ist. Nur in den letzten Bildern liessen sich einige paralytische Störungen [...] leicht sehen. Interessant wird die Fragestellung, wo die Krankheit selbst etwas schafft, das wir positiv werten. Bei Blechen würde ich [...] zunächst die Briefe [...] chronologisch betrachten, um den ersten Beginn der Erkrankung zu finden [...]".

Der Maler Carl Blechen war nach langer Krankheit 1840 in geistiger Umnachtung gestorben. In dem Jahr, aus dem der vorliegende Brief datiert, wurde Jaspers als Nachfolger von Heinrich Maier Ordinarius für Philosophie in Heidelberg.

Beiliegend ein weiterer eh. Br. mit U., ebenfalls Heidelberg 1922, an seinen Freund, den Psychiater Johannes Heinrich Schultz in Jena, dem er für dessen Reaktion auf seine Strindberg-Pathographie dankt.

Art.-Nr.: BN#45774 Schlagwörter: , , ,