"diese Juden sind nicht Juden sondern leibhafftige teuffel, die Unserm Herrn fluchen"

Luther, Martin, Theologe und Reformator (1483-1546). Eigenh. Brief mit U. ("Martinus LütheR D").

[Wittenberg, ca. 1. IX. 1543].

2 SS. auf einem Folioblatt (200:307 mm). Deutsche Handschrift (braune Tinte) auf Papier (Wasserzeichen: zweistrichige Antiquaversalie F im Rund).

 350.000,00

Ausführlicher, später Brief von ungewöhnlich schöner Erhaltung, gerichtet an Georg Buchholzer (1503-66), Propst zu St. Nikolai in Berlin, der mit dem brandenburgischen Hofprediger Johann Agricola (1492-1566) über die Begünstigung der märkischen Juden in Streit geraten war. Buchholzer hatte Luther um Auslegung von Bibelsprüchen gebeten, mit denen Agricola seine judenfreundliche Haltung rechtfertigte. Agricola ("Grickel", nach seinem Geburtsort auch "Magister Eisleben" genannt) war vom Schüler zum heftigen Gegner Luthers geworden.

In seinem Schreiben ermuntert Luther Buchholzer, weiterhin gegen die Juden zu predigen und diesen Standpunkt auch gegenüber dem Kurfürsten Joachim zu behaupten ("yhr habt recht dran gethan. Haltet feste und faret fort"); Buchholzer habe ihn keineswegs gegen Agricola aufgehetzt: "G[nade] u[nd] F[riede]. Mein lieber herr probst / Ich müs kurtz sein mit schreiben umb meines heubts schwacheit willen [...] Und wenn yhr gleich mir viel von M Isleben woltet schreiben, wie kundte ich euch alleine gleuben? Darumb wer da sagt, das yhr oder yemand zu Berlin oder gantzen marck mich wider Isleben hetze, thut ers unwissend, so vergebe es yhm Gott, Thut ers wissend, So leüget er als ein bube. Und ia so seer als mir M Isleben offt selbs gelogen hat hie zu Wittemberg. M Isleben darff niemands, der mich wider yhn hetze. Er kans fur sich selbs, mehr und uber alle, die er mochte verdechtig halten. Solchs weis er seer wol [...] Ich halt, Er wird ehe das leben denn das liegen lassen konnen. / Wider die Juden habt yhr gepredigt und hart darüber gefochten fur dem Marggraven, das ist hie offt und von vielen gesagt, ehe ich ewrn namen erkennet habe. Und yhr habt recht dran gethan. Haltet feste und faret fort. Die Spruche so yhr mir anzeiget, Wider eüch gefuret die Juden zu schutzen, Will ich noch nicht hoffen. Auch noch nicht gleuben, das M Isleben sollte predigen oder yhe gepredigt haben, Denn so fern acht ich yhn noch nicht gefallen. Gott behute yhn dafur. Und wo dem so were [...] so sol er auch erfaren, Wer die sind, so mich wider yhn hetzen. Denn damit were M Isleben nicht des kurfursten prediger, Sondern ein rechter Teuffel, der solche feine spruche so schendlich misbrauchen sollte zum verdamnis aller dere so mit Juden umbgehen, Denn diese Juden sind nicht Juden sondern leibhafftige teuffel, die Unserm Herrn fluchen, Seine Mutter eine hure, und yhn einen Hebel Vorik und hurnkind teglich speyen, das weis man gewis. Wer nü mit solchem Maul Essen und trincken kann oder umbgehen, Der wird ein Christen sein, wie der Teuffel ein heilige. Wolan ich will so erst ich kann, die spruche für mich nehmen. Wie wol M Grickel solt so weit (als ich yhm nicht gonne) gefallen sein, were umb seinen willen nichts davon zu schreiben, Sondern umb der andern willen. Wollet yhr diesen brieff lassen lesen, wer da will, das mugt yhr wol thun [...] Hie mit Gotte befolhen. Amen. Vale & Confortare in Domino".

Kurfürst Joachim II. von Brandenburg, der 1539 zur Reformation übergetreten war, tolerierte die Juden, denen die Mark zuvor verboten gewesen war; darüber beschwerten sich 1542 die Städte. Buchholzer sollte den Brief seinem Kurfürsten zeigen dürfen, um vor dem Verdacht geschützt zu sein, er habe Luther gegen den Hofprediger Agricola aufgehetzt; zu diesem Zweck ist das Schreiben an den gelehrten Kollegen in deutscher Sprache abgefasst. Die hebräischen Worte "Hebel Vorik" (Nichtigkeit und Nichts) entstammen Jes. 30,7; sie waren Bestandteil eines täglichen jüdischen Gebets, in dem Gott gedankt wurde, nicht jenen Völkern gleich zu sein, die "Hebel Vorik" anbeteten. Luthers Antijudaismus richtete sich gegen den jüdischen Unglauben der prophetischen Schriftzeugnisse und gegen ihren "Irrglauben" an die rabbinischen Schriften. Hatte er sich ursprünglich noch besonnen gegen die traditionelle Diffamierung der Juden und die gewaltsame Judenmission gewandt, so änderte sich seine Haltung bald und war 1543 bereits in offenen Hass umgeschlagen. Seine berüchtigtste Kampfschrift gegen das Judentum, "Von den Juden und ihren Lügen", die ebenfalls hoch polemische Ausfälle gegen die vermeintliche Bezeichnung Jesu als "Hebel Vorik" enthält, erschien eben im Jahr dieses Briefes. Mit eben demselben rhetorischen Geschick, mit dem er zuvor das Papsttum lächerlich gemacht hatte, beschwor er nun eine übersteigerte Abscheu vor dem Judentum. Als charakteristische Äußerung aus den späten Jahren des Reformators ist der Brief von mehreren wichtigen Luther-Biographen zitiert oder paraphrasiert worden (vgl. M. Brecht, Luther, Bd. 3 [1987], S. 344; zuletzt: L. Roper, Luther [2016], S. 673 Anm. 33).

Mehrere Sofortkorrekturen Luthers im Text. Am Fuß der Versoseite eigenh. Eingangsdatierung Buchholzers: "An mich kummen her gegen Berlin mitwochs nach Egidii [5. September] Anno etc. Im 43." Gleichmäßig geringfügig gebräunt bzw. braunfleckig; Spuren zeitgenössischer Faltung. Keine nennenswerten Knitterungen oder Randeinrisse; insgesamt von ausnehmend schöner Erhaltung.

Provenienz: Vor 1914 waren von dem Brief nur die Worte über den gewohnheitsmäßigen Lügner Agricola überliefert ("eher das Leben als das Lügen lassen können"), die Buchholzer 1562 bei einer Disputation seinem Gegner mit dem Angebot entgegengeschleudert hatte, ihm die Stelle in Luthers Brief zu zeigen. Der Anfang des 19. Jahrhunderts von den Editoren der Werke Agricolas ausdrücklich vermisste Brief (B. Kordes, Agricola's Schriften möglichst vollständig verzeichnet [Altona 1817], S. 393: "Dieser Brief ist meines Wissens eben so wenig vorhanden, als ein anderer") wurde erst 1914 in der Sammlung des Barons Heinrich von Hymmen (1880-1960) auf Haus Unterbach/Erkrath wiederentdeckt und von Kawerau in den Nachträgen zum 15. Band von Luthers Briefwechsel erstediert. Noch 1947 war er im Besitz Hymmens; von der Weimarer Ausgabe wurde er nach einer Fotografie ediert. Die Familie trat klar für die evangelische Sache ein: Während der Zeit des Nationalsozialismus stellte Heinrich seine Burg der illegalen Bekennenden Gemeinde für Gottesdienste zur Verfügung; der Theologe Johannes Hymmen war ab 1936 Vizepräsident des Evangelischen Oberkirchenrats. Vor mehr als drei Jahrzehnten erstmals am Markt aufgetaucht (Stargardt 630, lot 1238: DM 172,270 incl. Aufgeld und USt.; ein vierseitiges Manuskript Luthers erzielte im selben Jahr [Z&K 2/II, Nr. 1856] übrigens nur DM 10.000) und seitdem in derselben Privatsammlung, aus der wir das Autograph nun erwerben konnten.

Literatur

Luther, Werke: Krit. GA, Briefe X (Weimar 1947), Nr. 3909. Erstveröffentlicht: Enders/Kawerau XV, Nr. 3309a, S. 359f. In modernisierter Schreibung: Kawerau, "Ein Brief Luthers an den Propst von Berlin, Georg Buchholzer", in: Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins 50 (1917), S. 430-436.