Mit der Bitte um "despotische" Korrekturen

Humboldt, Alexander von, Naturforscher (1769-1859). Eigenh. Brief mit U.

Paris, "Samedi" [1824-25].

2¾ SS. auf Doppelblatt. Kl.-8vo.

 3.500,00

Inhaltsreicher Brief in französischer Sprache an einen engen Freund mit der Bitte um "winzige Korrekturen" eines Texts. In einem "großen Präludium" verleiht Humboldt zunächst seiner tiefen Verbundenheit mit dem nicht namentlich genannten Empfänger Ausdruck: "In den vergangenen Wochen haben Sie meinem Geist und meinem Herzen mehr als je zuvor gefehlt". Die Datierung des Briefes auf 1824-25 wird durch die Erwähnung des Todes von König Ludwig XVIII. am 16. September 1824 und der Regierungsübernahme Karls X. ermöglicht: "Wir hatten über die diese charakterliche Stärke gesprochen, die Ludwig XVIII. in so nobler Weise in seiner langen und schmerzhaften Agonie aufgewandt hat, über das zurückhaltende Gebaren, das das Volk gezeigt hat, von jenen weisen und gerechten Maßnahmen, die der neue König seit den ersten Tagen seiner Herrschaft getroffen hat". Humboldt kommentiert, vielleicht scherzhaft, "dass die ganze Welt zufrieden ist, abgesehen von meinem illustren Freund aus Jerusalem, der sich ärgert und glaubt, dass die Grazien noch etwas weit entfernt sind". Wer mit dem "illustren Freund aus Jerusalem" gemeint sein könnte, bleibt offen. Den mit dem Brief übersandten Text setzt Humboldt als "mit Eigennamen und Ziffern gespicktes Blatt" herab, dessen winzige Korrekturen der Empfänger mit "dem Despotismus" durchführen solle, "der das Leben so einfach macht, wenn man ein fauler Untertan ist". Abschließend bittet Humboldt den Empfänger, ihn über die nächste Möglichkeit eines Treffens zu informieren, und erbietet herzliche Grüße an dessen Familie.

Zwei französischsprachige Publikationen Humboldts kommen für die erbetene Korrektur in Frage. Im Sommer 1825 erschien die fünfte Lieferung seiner bedeutenden "Relation historique" (1. Teil des dritten Bandes der Quartausgabe). Dieser Teil des monumentalen Berichts seiner südamerikanischen Reise versammelt mehrere wissenschaftliche Essays und Messergebnisse, auf die die scherzhafte Beschreibung "gespickt mit Eigennamen und Ziffern" passen würde. Ein 1825 erschienenes geognostischer Essay "Esquisse d'un tableau géognostique de l'Amérique méridionale, au nord de la rivière des Amazones et à l'est du méridien de la Sierre Nevada de Mérida" fällt ebenfalls in diese Kategorie.

Humboldts intimster Freund in Paris und möglicher Empfänger des Briefes war der Astronom François Arago. Durch einen Tagebucheintrag des Geographen Carl Ritter wissen wir, dass Humboldt sehr an den Geschehnissen rund um den Tod Ludwigs XVIII. interessiert war. Am Tag nach dem Tod des Königs stieß er spät mit den neuesten Nachrichten aus dem Palast zu einer Soirée bei Arago.

Mit Einriss durch Siegelbruch, Spur von alter Restaurierung und Empfängernotiz in Tinte "M. de humboldt".

Literatur

Vgl. U. Leitner, Humboldt, Cotta, Ritter. Eine Miszelle über die Arbeit an einer Edition. In: Internationale Zeitschrift für Humboldt-Studien 16, 2008.

Art.-Nr.: BN#54304 Schlagwort: