"Für alles hat jedes Volk noch die Juden verantwortlich gemacht, für alles was die weder gewollt, noch versucht, noch im Stande gewesen wären zu tun"

Kokoschka, Oskar, Maler, Graphiker und Schriftsteller (1886-1980). 5 eigenh. Briefe mit U. und 2 eh. Bildpostkarten mit U.

London, Wigtownshire, Minneapolis und Villeneuve, [1941] bis 1957.

Briefe: 10 SS. auf 6 Bll. (Qu.-)4to. Karten: 2 SS. auf 2 Bll. Qu.-8vo. Jeweils mit eh. Adresse. Mit mehreren Beilagen (s. u.).

$20,109.00

Inhaltsreiche Korrespondenz mit dem befreundeten Internisten, Pathologen und Physiologen János Plesch, u. a. über einen Treppensturz von Kokoschkas Schwiegermutter, seinen ehemaligen Chauffeur - der in den vergangenen 15 Jahren zum Millionär geworden wäre ("auch das Bild welches Sternberg besitzt habe ich mit ihm zusammengemalt!") und der ihm nun mehrfach versichert habe, "alles was er hätte und was er tun könnte wolle er mir zur Verfügung stellen" (7. XI. 1941) -, über Judentum und Antisemitismus, über den Stellenwert der Bildung in Kriegen und vieles mehr.

In dem mit "31. Dez. um 12 Uhr" datierten Brief wünscht er Plesch "noch rechtzeitig bevor das Neue Jahr anfängt auf das herzlichste ein gutes Jahr, das Dir und uns allen die Zeit der Diaspora abkürzt und die meschuggenen goim wieder raisonable werden läßt" und philosophiert über die "Idee mit der richtigen Schule für die Massen […], gelernt von Comenius […]. Und wenn ich in der Völkergeschichte nachsuche wo hat je eine Menschheit diese Idee zu verwirklichen gesucht um der Barbarei der Massen - und der Tyrannei Einzelner zu steuern, wo hat eine Menschheit alle diese Vorurteile abzuschütteln verstanden als da sind: Kirche, Staat, Armee, Beamtentum, Krieg, Revolution, Nationalismus, Passportideologie (und was sich alles Schöne aus diesem Narrenwahn ergibt!) um durch die humanistische Erziehung das Wunder Mensch zu verwirklichen, soweit der Mensch eben kann? Es sind diesmal wirklich die Juden! Für alles hat jedes Volk noch die Juden verantwortlich gemacht, für alles was die weder gewollt, noch versucht, noch im Stande gewesen wären zu tun. Bloß der Ehre die Wahrheit zu geben dazu hat es bei den goim nicht gereicht, weil sie meschugge metorf sind, mangels einer Schule […]".

"Trüb sind die meisten Augen, leer sind die Menschenhäuser, umsonst haben Generationen gelebt, die Gesellschaft ist jahrze[h]ntelang nichts anders als ein stinkender Dreckhaufen. Und dazu soll ein Mensch, wie Du, Arzt sein um die Verwesung aufzuhalten. Ein Kanalräumer wär besser geeignet dazu" ("Friday", o. D.).

Am 14. IX. 1949 berichtet er u. a., dass "Gabriel [Pascal], der B. Shawfilmer, in der Nähe, im Milwaukee Spital sich einer gefährlichen Operation" unterzogen habe, und dass er ein "Häusl für meine Schwester aufbauen" müsse, "nachdem sie in der Tschechei soeben aus dem herausgeeckelt wurde, das ich ihr vor 25 Jahren gab. Und Ziegelsteine kosten Geld. Aber ich hatte im Sommer in der Nähe von Boston einen Sommerkurs geleitet mit einem Haufen von hübschen Mädchen und das hat mir wohlgetan. Die schreiben mir noch hieher Gedichte und Liebesbriefe. Das tut wieder wohl. Und meine Ausstellung im Museum of Modern Art erst (in New-York) das ist die schönste Ausstellung, die ich bisher hatte und fast eine Rechtfertigung für mein[e] 40 Jahre lange Existenz […]".

Beilagen: I) 1 eh. Brief, 1 eh. Briefkarte und 2 eh. Bildpostkarten von Olda Kokoschka an Plesch. Eine Karte mit kurzer Nachschrift und U. von OK. Zusammen 5 SS. auf 4 SS. (Qu.-)8vo. II) 1 Portraitpostkarte von Oskar und Olda Kokoschka, verso mit eh. Wünschen und U. von Oskar und eh. U. von Olda. Venedig, 1948. 8vo. III) 3 ms. Durchschläge von Briefen Pleschs an Olda und OK. IV) "Disarment of Babes". Ms. Typoskriptdurchschlag, am Schluss signiert "Oskar Kokoschka" und datiert "London, July, 1940. 8½ SS. auf 10 Bll. 4to.

Provenienz

Sotheby's, 26. & 27. November 1980, Nr. 197.

Zustand

Gelegentlich einige Gebrauchsspuren, eine von Kokoschkas Karten mit ausgerissener Briefmarke.

Art.-Nr.: BN#63271 Schlagwörter: , ,