"Der Teufel hat ihn oft geritten"

  • Der Standard
  • 25. November 2001
  • Thomas Trenkler

Vor kurzem tauchte ein bisher unbekanntes Manuskript von Thomas Bernhard auf. Wie es 1957 zu der "Herrenhaus"-Bearbeitung kam, schildert der Regisseur Klaus Gmeiner im GesprÀch mit Thomas Trenkler: Er studierte mit Bernhard - und erduldete dessen Grillen.

War es "die reine Flucht zum Menschen", wie Thomas Bernhard in einem Interview meinte, die ihn dazu trieb, am Mozarteum in Salzburg Schauspiel und Regie zu studieren? Am 10. Oktober 1955 jedenfalls, das Semester hatte bereits begonnen, wurde der noch unbekannte Autor zum Seminar zugelassen. "Er tauchte plötzlich auf. Und man wusste eigentlich nicht, was er wollte", erinnert sich Klaus Gmeiner. "Er saß anfangs nur herum und hat immer gestĂ€nkert."

Gmeiner, 1932 in Schwarzach bei Bregenz geboren, war ein Studienkollege von Bernhard - und wĂ€hrend der zwei Jahre so etwas wie ein Freund. Mit der AbschlussprĂŒfung am 18. Juni 1958 trennten sich die Wege: Gmeiner arbeitete als Dramaturg und Regisseur, von 1972 bis 1998 leitete er Literaturabteilung im ORF-Studio Salzburg. Wenn er von Thomas Bernhard erzĂ€hlt, dann nicht, um sich selbst wichtig zu machen. Aber um ein wenig Licht in eine Zeit zu bringen, die der Schriftsteller zumeist verschwieg: "Er hat sie ausradiert", sagt Gmeiner.

Die Schauspielschule befand sich damals im Aufbau, die Leitung hÀtte daher wohl jeden aufgenommen, auch den Unbegabtesten: "Es war mehr oder weniger ein Familienbetrieb von Rudolf Leisner und seiner Frau, die Lehrpersonen waren ein besoffener Haufen. Gelernt habe ich dort nicht viel." In Bernhard aber sei die Lust am Schauspielen erwacht: "Er hÀtte ein fabelhafter Charakterdarsteller werden können. Er hatte eine eigene Diktion, eine Vis comica, etwas Skurriles. Ich hÀtte ihn mir sehr gut als Malvolio vorstellen können."

Das Mozarteum fĂŒhrte einen Theaterbetrieb in St. Peter. Aber im gesamten ersten Studienjahr durfte Thomas Bernhard nicht auftreten, was ihn erzĂŒrnt hĂ€tte: "In Thornton Wilders Unsere kleine Stadt wollte er unbedingt die Rolle des Spielleiters ĂŒbernehmen. Er hat sie jedoch nicht bekommen. Und bei der Stellprobe waren plötzlich die TextbĂŒcher verschwunden. Ich hĂŒte mich zu behaupten, dass der Thomas sie versteckt oder vernichtet hat. Aber sie tauchten nie mehr auf."

Bernhard hĂ€tte immer "fĂŒrchterlich intrigiert", wenn er nicht die gewĂŒnschte Rolle bekam. "Er wollte sogar, dass wir streiken, weil es Bevorzugte gab." Probleme hĂ€tte es auch bei Lessings FrĂŒhwerk Der junge Gelehrte im Februar 1957 gegeben: Thomas Bernhard schmiss als Chrysander eine Vorstellung, weil er im Text nicht weiterwusste. Oder einen völlig falschen aufsagte: "Der Teufel hat ihn oft geritten."

Wie es der Zufall wollte, wohnten die beiden Seminarteilnehmer im Johannes-Freumbichler-Weg, der nach dem Großvater von Thomas Bernhard benannt ist, was Gmeiner, wie er erzĂ€hlt, damals nicht bekannt gewesen sei: "Er wusste von mir alles, von meinem Elternhaus, vom Tod meiner Mutter, ich hingegen wusste nichts von ihm. Er war neugierig, er saugte alles in sich auf, aber von sich selbst wollte er nichts preisgeben. Da war eine Wand." Bernhard hĂ€tte weder von seiner Krankheit geredet noch von den Gedichten, die er schrieb. Obwohl sie zusammen mit dem Bus ins Studio Walserfeld, wo der Unterricht stattfand, fuhren und fast jeden Tag miteinander verbrachten, zumeist mit dem Kollegen Ludwig Skumautz: "Die Damen fand der Thomas alle schrecklich."

Anfangs hĂ€tte Bernhard noch bei seinem Stiefvater Emil Fabjan gewohnt: "Er war nicht so arm, das ist eine Legende. Er war immer picobello angezogen. Und er hatte seinen Mittagstisch." SpĂ€ter sei er als Untermieter in das Haus gezogen, in dem Gmeiner wohnte: "Er kam oft am Abend mit dem TeehĂ€ferl rĂŒber und brachte Manner Schnitten mit, die er ĂŒber alles liebte, und dann haben wir Musik gehört und geredet. Er suchte die NĂ€he - wie immer Sie das verstehen wollen." (Im GesprĂ€ch mit Kurt Hofmann sagte Bernhard einmal: "Im Grund' bin ich ja nur ins Mozarteum gegangen, damit ich mich nicht isolier' und nicht vollkommen vor die Hund' geh, sondern einfach gezwungen war, mit gleichaltrige Leut' zusammenzusein.")

Gmeiner hingegen sei auf Distanz gegangen, auch aufgrund der Verletzungen, die ihm Bernhard mit seinem Zynismus zugefĂŒgt habe: "Ich kam aus einem Dorf in Vorarlberg, Salzburg war fĂŒr mich eine Großstadt, und ich war sehr ehrfurchtsvoll vor den Professoren. Wenn ich zum Beispiel sagte, ich fĂ€nde die Sprechlehrerin gut, sagte er: ,Du Kind vom Land, die kann das ja gar nicht!' Das hat mich dann natĂŒrlich befremdet." Oder wenn sie Schubert und Mozart hörten: "Mir Landjunker ging eine Welt auf, es war mir wurscht, ob die Philharmoniker spielten oder jemand anderer, aber der Thomas sagte: ,Das ist doch grauslich, wie die kratzen, dass musst du doch hören!' Ich habe dann darĂŒber nachgedacht, aber es hat mich auch verstört, weil er alles schlecht machte. Er war zwar sehr empfĂ€nglich fĂŒr Schmeicheleien - aber sehr hart im Austeilen."

Im FrĂŒhjahr 1957 war die Zeit fĂŒr die Abschlussarbeiten gekommen. Anfangs hĂ€tte Bernhard ein Regiebuch zu Woyzeck erarbeiten wollen, doch mit dem BĂŒchner-Drama beschĂ€ftigte sich bereits Gmeiner. Und so nahm sich Bernhard das Herrenhaus von Thomas Wolfe vor, das er in Hamburg gesehen hatte. Bernhard sei von dem StĂŒck begeistert, aber von der Inszenierung Gustaf GrĂŒndgens' entsetzt gewesen: "Er rannte nur noch mit dem Herrenhaus herum. Am Mozartplatz gab es ein GeschĂ€ft mit angeschlossener Buchbinderei, da haben wir beide unsere BĂŒcher durchschießen lassen." WĂ€hrend Bernhard die BĂŒhnenskizzen selbst zeichnete, bat Gmeiner den Bruder von Udo Proksch, Roderich, einen Architekten, diese fĂŒr ihn anzufertigen. Bernhard hĂ€tte ihn daher "einen Streber" geschimpft und gemeint, es kĂ€me auf den Inhalt an: "Und der ist bei mir besser!" (Gmeiners fein sĂ€uberliches Regiebuch mag vielleicht der Grund dafĂŒr sein, dass Bernhard im Vorwort bittet, "die scheußliche Form" zu entschuldigen, "doch bin ich außerstande, zu denken und schön zu schreiben".)

Eigentlich hĂ€tte jeder drei RegiebĂŒcher abgeben sollen. "Aber der Thomas sagte, ,ich bin ja nicht blöd, ich mach nur eins', und auch ich habe dann nur eines gemacht - weil mir einfach die Zeit fehlte. Die AbschlussprĂŒfung war an einem Vormittag. Da haben wir, das könnte ich eidesstattlich erklĂ€ren, Herrn Leisner diese BĂŒcher ĂŒbergeben."

Die Studienkollegen verloren sich danach aus den Augen: Thomas Bernhard zog zum Komponisten Gerhard Lampersberg auf den Tonhof in Maria Saal, Gmeiner nahm ein Engagement als Dramaturg und Regisseur am Salzburger Landestheater an. SpĂ€ter produzierte er einige Hörspiele nach Bernhard-StĂŒcken. Und gestaltete eine Du Holde Kunst-Sendung mit den Gedichten des Studienfreundes: "Jetzt weiß ich, dass ich ein Dichter bin", schrieb ihm Bernhard nach der Ausstrahlung.

Hin und wieder begegnete man sich zufÀllig, zum Beispiel am Graben in Wien. Und Thomas Bernhard hÀtte ihm immer jenen Reim zugerufen, mit dem er sich im Advent 1956 als Zauberer in einem WeihnachtsmÀrchen, das Gmeiner geschrieben hatte, dem Publikum vorstellte: "Hock butzli batzli brati, ich bin der Zauberer Kemi trati."