Für ein Theater, das den Schauspielern gehört

  • Berliner Zeitung
  • 9. September 1998
  • Ernst Schuhmacher

Von den Schwierigkeiten, einen Genius zu beerben: Zum 125. Geburtstag von Max Reinhardt

Was von Reinhardt durch Persönlichkeit wie Leistung idealiter verbleibt, ist immerhin benennbar. Das Handwerk erarbeitete sich der am 9. September 1973 in Baden bei Wien geborene Max Goldmann, der sich, um antisemitischen Vorurteilen vorzubeugen, seit seinem ersten Auftritt im Jahr 1890 Reinhardt nannte, von 1894 bis 1902 in achtzig Rollen am Deutschen Theater Berlin, unter Otto Brahm ganz dem Naturalismus verpflichtet. 1901 war Reinhardt reif zur Vision "Über ein Theater, das mir vorschwebt". Es sollte ein Theater werden, "das dem Menschen wieder Freude gibt. Das sie aus der grauen Alltagsmisere über sich selbst hinausführt in die reine und heitere Luft der Schönheit"; sein künstlerisches Credo: "Es gibt nur einen Zweck des Theaters: das Theater, und ich glaube an ein Theater, das dem Schauspieler gehört."

Aus dem Verismus von Brahm emanzipierte er sich selbst im Kabarett "Schall und Rauch". Im "Kleinen Theater Unter den Linden", das daraus hervorging, setzte er den kritischen Realismus eines Gorki so gut wie den schwülen Symbolismus eines Hofmannsthal durch. Mit der Inszenierung des "Sommernachtstraums" im "Neuen Theater" (heute "Berliner Ensemble") im Jahre 1904 gab er als Regisseur der Klassik sinnliche Anschaulichkeit zurück, die er dann im Deutschen Theater, das er 1905 erwarb, in neuartiger Einheit von Repertoire, Ensemblespiel, Bühnenausstattung und Musik kultivierte. Den 1906 dazugebauten Kammerspielen setzte Reinhardt Ibsen, Sternheim, Strindberg, Wedekind durch. Um nicht nur das "Bildungsbürgertum" zu befriedigen, konzipierte er ein "Theater der 5000", verwirklichte es in Hallen, Kirchen, Zirkusarenen, öffentlichen Plätzen, eröffnete 1919 das Große Schauspielhaus in Berlin mit der "Orestie", 1920 die Salzburger Festspiele mit "Jedermann".

Lebenswerk für Deutschland

Die Nationaltheater AG, in der Reinhardt schließlich mehr als ein Dutzend Bühnen zusammengeschlossen hatte, verschuldete sich in einem Maße, daß die Nazis rechtlich nur noch die Zwangsvollstreckung anzuordnen brauchten, um sich "des Juden Goldmann" zu entledigen. Es war geradezu naiv von Reinhardt, den neuen Machthabern im Juni 1933 brieflich von Oxford aus die Übernahme seines Lebenswerkes für "Deutschland" anzubieten.

Über Reinhardts unaufhaltsamen Abstieg aus dem Ruhm 1938 wurde er auch aus Österreich vertrieben, wo er sich im Theater in der Josefstadt in Wien eine Theaterbasis, auf Schloß Leopoldskron bei Salzburg ein Refugium geschaffen hatte gibt jetzt der von Hugo Wetscherek herausgegebene Katalog der "Sammlung Dr. Jürgen Stein" erhellende Auskünfte. Besonders der Briefwechsel zwischen Reinhardt und seiner zweiten Frau Helene Thimig belegt, wie dieser Abstieg in nicht mehr zu verbergender Verarmung, Rat- und Hilflosigkeit endete, bevor Reinhardt knapp nach seinem 70. Geburtstag Ende Oktober 1943 in New York verstarb. Erschütternd auch die Hilfeschreie von Reinhardts Familienangehörigen, ihnen materiell beizustehen und emigrieren zu helfen.

Es gibt viele Gründe, sich heute ein zentrales Max-Reinhardt-Archiv zu wünschen. Aber der einschlägige Nachlaß ist zersplittert. Die Erben Max Reinhardts, seine Söhne Wolfgang und Gottfried aus der Ehe mit Else Heims, und die zweite Ehefrau Helene Thimig verfuhren mit dem Nachlaß nach dem Faustrecht. Gottfried Reinhardt hat es 1967 auf die Formulierung gebracht: "In diesem Fall unterstelle ich als vereinbart, daß jeder der Beteiligten das Recht hat, die in seinem Besitz befindlichen Werke meines verstorbenen Vaters allein und ausschließlich zu verwerten."

So wurde schließlich zwischen einem kalifornischen, einem New Yorker, einem österreichischen und einem deutschen Nachlaßbestand unterschieden. Bereits 1950 wurde die Bibliothek Max Reinhardts, die er im Exil in Los Angeles angelegt hatte, an die Universität Südkalifornien veräußert. 1952 kamen in Kalifornien 178 Regiebücher Max Reinhardts zur Versteigerung, die Helene Thimig, die 1948 nach Österreich zurückgekehrt war, als ihr Eigentum betrachtete. Ersteigert wurden sie in Anwesenheit von Gottfried Reinhardt für ganze 1 335 Dollar von Marylin Monroe. Später kaufte Gottfried Reinhardt die Bücher zurück und verkaufte sie erneut an die New Yorker Staatsuniversität, als diese in den Sechzigern ein Max-Reinhardt-Archiv in Binghamton einrichtete.

Die Sammlung Stein

Helene Thimig vermachte zwar den Großteil des literarischen Nachlasses der Österreichischen Nationalbibliothek, ließ aber 1969 durch Sotheby s in London bildkünstlerische Dokumente, aber auch Regiebücher versteigern, auf die zumindest Gottfried Mitansprüche erhob. Am kuriosesten war das Zustandekommen der "Sammlung Dr. Jürgen Stein". Der Kurator Alfred Brooks, der mit dem Aufkauf von Reinhardtiana für das Max-Reinhardt-Archiv in Binghamton beauftragt war, erwarb eine ganze Menge für sich selber. Seine Witwe verkaufte sie 1981 an den Theaterwissenschaftler Jürgen Stein, der sie mit nach Wien brachte. Darunter befindet sich der gesamte Briefwechsel zwischen Max Reinhardt und Helene Thimig, der Briefwechsel, den Reinhardts Sekretärin Gusti Adler führte, Briefe vor allem Gottfrieds an seinen Vater und ganze Konvolute über die Eigentums- und Erbrechte an Schloß Leopoldskron und anderen Objekten.

Der Verkehrswert der "Sammlung Stein" wird heute auf 1,27 Millionen Mark veranschlagt. Sie wurde auch der Senatsverwaltung für Kultur in Berlin für 900 000 Mark angeboten, die aber auf das Angebot nicht reagierte. Jetzt ist der Antiquar Hugo Wetscherek Bevollmächtigter Steins. Da weder die Österreichische Nationalbibliothek noch das Österreichische Theatermuseum, in denen sich wesentliche Reinhardtiana befinden, das benötigte Geld für den Erwerb haben, will jetzt der Wiener Stadtrat für Kultur Peter Marboe, der den Berlinern schon den Nachlaß von Arnold Schönberg verkaufte, die Sammlung für die Wiener Stadt- und Landesbibliothek erwerben. Vorsorglich hat das Österreichische Bundesdenkmalamt bereits ein Ausfuhr-Verbot verhängt.