Rezension: Rilke in Wien (Sichtungen)

Rezension in: Sichtungen 2 (1999), S. 258-260, Hemecker, Wilhelm.

Jahrestagung der Rilke-Gesellschaft Ausstellung: »›Haßzellen, stark im größten Liebeskreise‹ Rilke und das k. u. k. Kriegsarchiv«

[...] Als erste Nummer der Reihe »Österreichisches Literaturarchiv - Kataloge« ist - ursprünglich als Begleitbuch zur Ausstellung - eine Monographie mit über hundert, teils farbigen Abbildungen erschienen (Wilhelm Hemecker: Rilke in Wien. Wien: Inlibris 1998). Aufgrund zahlreicher neuer Quellen dokumentiert sie erstmals ausführlich das Jahr 1916, in dem Rilke zusammen mit Franz Theodor Csokor, Alfred Polgar und Stefan Zweig im k. u. k. Kriegsarchiv »Dicht-Dienst« verrichten sollte. Zugleich begleitet der Band in Text und Bild den Dichter durch den Alltag und durch Fürstenhäuser, zu Karl Kraus und zu Hugo von Hofmannsthal in Rodaun und bietet Einblick in die Werkstatt des Dichters: das von einem Gemälde Kokoschkas inspirierte, lange verschollene Gedicht »Haßzellen, stark im größten Liebeskreise ...« ist zu dieser Zeit entstanden und liegt als Faksimile dieser ersten Monographie zu Rilke in Wien bei.

Bibliotheca Viennensis Pars I–VI

Vorwort

Die in sechs Katalogen erschienene Viennensia-Sammlung des Wiener Rechtsanwaltes Dr. Arthur Mayer bildet in ihrer Gesamtheit von fast 9000 Titeln noch heute, über fünfzig Jahre nach Erscheinen, ein wesentliches Nachschlagewerk für Viennensia-Literatur. Bedingt durch die Gliederung der Kataloge in Themenschwerpunkte, mehrfach innerhalb eines Bandes wechselnde Ordnungsgruppen und Nachträge gestaltet sich die Suche nach einem speziellen Titel mühsam. Folgerichtig wurde im letzten Katalog ein "ausführliches Personen- und Sachregister über alle sechs Teile aus sachkundiger Feder" angekündigt, dessen Erscheinen jedoch unterblieb. Wir hoffen, mit dem nun erstellten Index diese Lücke teilweise zu schließen und einen brauchbaren Beitrag für Bibliophile und Wissenschaftler zur Erschließung von Viennensia-Literatur geleistet zu haben.

Editorial

Abenteuerlich nannte Grimmelshausen seinen "Simplicissimus", und abenteuerlich ist auch der Weg, auf dem die nach Motiven dieses Romans komponierte Operette von Johann Strauss nach über hundert Jahren zurück auf die Bühne findet.

Aufmerksam auf das Werk machte uns der Wiener Antiquar Hugo Wetscherek, der den Nachlass Victor Léons - des Librettisten - aufspürte und ankaufte. Er fand darin Stimmenmaterial zu "Simplicius", der in der gängigen Strauss-Literatur als nicht rekonstruierbar gilt. Es war nun die Frage zu klären, ob sich mit dieser neuen Quelle möglicherweise die Lücken im nur fragmentarisch überlieferten Autograph schliessen lassen.

Während der Recherchen, die auch dazu dienten, möglichst alle noch vorhandenen Quellen einzusehen, wurden wir auf den Wiener Sammler Norbert Nischkauer hingewiesen, der seit vielen Jahren Mikrofilme oder Kopien von Aufführungsmaterialien Straussscher Werke aus aller Welt sammelt. Wie sich dann herausstellte, war er tatsächlich im Besitz einer Partiturkopie der Zweitfassung des Werkes, die 1888 für eine Aufführungsserie in Budapest geschrieben worden war und von der Strauss-Forschung bisher nicht berücksichtigt worden ist.

Aufgrund dieser Quelle, die sich in bestem Zustand befindet, war es möglich, ein Aufführungsmaterial zu erstellen, das im wesentlichen die Zweitfassung wiedergibt, in einzelnen Punkten aber auch auf das Autograph zurückgreift.

So haben wir eine wunderschöne Arie der Hildegard wieder eingefügt und der Simplicius ist wie im Original mit einem Tenor besetzt, nicht, wie in späteren Fassungen, mit einem Mezzo. Auch die Texte der Gesangsnummern, die von Fall zu Fall gravierende Eingriffe erfahren haben, folgen dem Autograph. Der Gang der Handlung wurde aus verschiedenen Quellen - dem Zensurlibretto sowie Regie- und Soufflierbüchern späterer Aufführungen - rekonstruiert und für die Zürcher Produktion neu bearbeitet. [...]

Lassen Sie sich diesen Strauss'schen Leckerbissen nicht entgehen.

Für ein Theater, das den Schauspielern gehört

Von den Schwierigkeiten, einen Genius zu beerben: Zum 125. Geburtstag von Max Reinhardt

Was von Reinhardt durch Persönlichkeit wie Leistung idealiter verbleibt, ist immerhin benennbar. Das Handwerk erarbeitete sich der am 9. September 1973 in Baden bei Wien geborene Max Goldmann, der sich, um antisemitischen Vorurteilen vorzubeugen, seit seinem ersten Auftritt im Jahr 1890 Reinhardt nannte, von 1894 bis 1902 in achtzig Rollen am Deutschen Theater Berlin, unter Otto Brahm ganz dem Naturalismus verpflichtet. 1901 war Reinhardt reif zur Vision "Über ein Theater, das mir vorschwebt". Es sollte ein Theater werden, "das dem Menschen wieder Freude gibt. Das sie aus der grauen Alltagsmisere über sich selbst hinausführt in die reine und heitere Luft der Schönheit"; sein künstlerisches Credo: "Es gibt nur einen Zweck des Theaters: das Theater, und ich glaube an ein Theater, das dem Schauspieler gehört."

Aus dem Verismus von Brahm emanzipierte er sich selbst im Kabarett "Schall und Rauch". Im "Kleinen Theater Unter den Linden", das daraus hervorging, setzte er den kritischen Realismus eines Gorki so gut wie den schwülen Symbolismus eines Hofmannsthal durch. Mit der Inszenierung des "Sommernachtstraums" im "Neuen Theater" (heute "Berliner Ensemble") im Jahre 1904 gab er als Regisseur der Klassik sinnliche Anschaulichkeit zurück, die er dann im Deutschen Theater, das er 1905 erwarb, in neuartiger Einheit von Repertoire, Ensemblespiel, Bühnenausstattung und Musik kultivierte. Den 1906 dazugebauten Kammerspielen setzte Reinhardt Ibsen, Sternheim, Strindberg, Wedekind durch. Um nicht nur das "Bildungsbürgertum" zu befriedigen, konzipierte er ein "Theater der 5000", verwirklichte es in Hallen, Kirchen, Zirkusarenen, öffentlichen Plätzen, eröffnete 1919 das Große Schauspielhaus in Berlin mit der "Orestie", 1920 die Salzburger Festspiele mit "Jedermann".

Lebenswerk für Deutschland

Die Nationaltheater AG, in der Reinhardt schließlich mehr als ein Dutzend Bühnen zusammengeschlossen hatte, verschuldete sich in einem Maße, daß die Nazis rechtlich nur noch die Zwangsvollstreckung anzuordnen brauchten, um sich "des Juden Goldmann" zu entledigen. Es war geradezu naiv von Reinhardt, den neuen Machthabern im Juni 1933 brieflich von Oxford aus die Übernahme seines Lebenswerkes für "Deutschland" anzubieten.

Über Reinhardts unaufhaltsamen Abstieg aus dem Ruhm 1938 wurde er auch aus Österreich vertrieben, wo er sich im Theater in der Josefstadt in Wien eine Theaterbasis, auf Schloß Leopoldskron bei Salzburg ein Refugium geschaffen hatte gibt jetzt der von Hugo Wetscherek herausgegebene Katalog der "Sammlung Dr. Jürgen Stein" erhellende Auskünfte. Besonders der Briefwechsel zwischen Reinhardt und seiner zweiten Frau Helene Thimig belegt, wie dieser Abstieg in nicht mehr zu verbergender Verarmung, Rat- und Hilflosigkeit endete, bevor Reinhardt knapp nach seinem 70. Geburtstag Ende Oktober 1943 in New York verstarb. Erschütternd auch die Hilfeschreie von Reinhardts Familienangehörigen, ihnen materiell beizustehen und emigrieren zu helfen.

Es gibt viele Gründe, sich heute ein zentrales Max-Reinhardt-Archiv zu wünschen. Aber der einschlägige Nachlaß ist zersplittert. Die Erben Max Reinhardts, seine Söhne Wolfgang und Gottfried aus der Ehe mit Else Heims, und die zweite Ehefrau Helene Thimig verfuhren mit dem Nachlaß nach dem Faustrecht. Gottfried Reinhardt hat es 1967 auf die Formulierung gebracht: "In diesem Fall unterstelle ich als vereinbart, daß jeder der Beteiligten das Recht hat, die in seinem Besitz befindlichen Werke meines verstorbenen Vaters allein und ausschließlich zu verwerten."

So wurde schließlich zwischen einem kalifornischen, einem New Yorker, einem österreichischen und einem deutschen Nachlaßbestand unterschieden. Bereits 1950 wurde die Bibliothek Max Reinhardts, die er im Exil in Los Angeles angelegt hatte, an die Universität Südkalifornien veräußert. 1952 kamen in Kalifornien 178 Regiebücher Max Reinhardts zur Versteigerung, die Helene Thimig, die 1948 nach Österreich zurückgekehrt war, als ihr Eigentum betrachtete. Ersteigert wurden sie in Anwesenheit von Gottfried Reinhardt für ganze 1 335 Dollar von Marylin Monroe. Später kaufte Gottfried Reinhardt die Bücher zurück und verkaufte sie erneut an die New Yorker Staatsuniversität, als diese in den Sechzigern ein Max-Reinhardt-Archiv in Binghamton einrichtete.

Die Sammlung Stein

Helene Thimig vermachte zwar den Großteil des literarischen Nachlasses der Österreichischen Nationalbibliothek, ließ aber 1969 durch Sotheby s in London bildkünstlerische Dokumente, aber auch Regiebücher versteigern, auf die zumindest Gottfried Mitansprüche erhob. Am kuriosesten war das Zustandekommen der "Sammlung Dr. Jürgen Stein". Der Kurator Alfred Brooks, der mit dem Aufkauf von Reinhardtiana für das Max-Reinhardt-Archiv in Binghamton beauftragt war, erwarb eine ganze Menge für sich selber. Seine Witwe verkaufte sie 1981 an den Theaterwissenschaftler Jürgen Stein, der sie mit nach Wien brachte. Darunter befindet sich der gesamte Briefwechsel zwischen Max Reinhardt und Helene Thimig, der Briefwechsel, den Reinhardts Sekretärin Gusti Adler führte, Briefe vor allem Gottfrieds an seinen Vater und ganze Konvolute über die Eigentums- und Erbrechte an Schloß Leopoldskron und anderen Objekten.

Der Verkehrswert der "Sammlung Stein" wird heute auf 1,27 Millionen Mark veranschlagt. Sie wurde auch der Senatsverwaltung für Kultur in Berlin für 900 000 Mark angeboten, die aber auf das Angebot nicht reagierte. Jetzt ist der Antiquar Hugo Wetscherek Bevollmächtigter Steins. Da weder die Österreichische Nationalbibliothek noch das Österreichische Theatermuseum, in denen sich wesentliche Reinhardtiana befinden, das benötigte Geld für den Erwerb haben, will jetzt der Wiener Stadtrat für Kultur Peter Marboe, der den Berlinern schon den Nachlaß von Arnold Schönberg verkaufte, die Sammlung für die Wiener Stadt- und Landesbibliothek erwerben. Vorsorglich hat das Österreichische Bundesdenkmalamt bereits ein Ausfuhr-Verbot verhängt.

Max Reinhardt: Aus Amerika zurück nach Wien

Zum 125. Geburtstag des "Theaterzauberers" Max Reinhardt kaufte die Stadt Wien den letzten größeren und am Markt angeboten Bestand aus seinem Nachlaß.

Der größte Bestand an Reinhardt-Dokumenten verwahrt das Österreichische Theatermuseum - ein Geschenk der Witwe Helene Thimig. Der wissenschaftlich wertvollste, nämlich beinahe alle Regiebücher, wurde vom (verstorbenen) Reinhardt-Forscher Alfred Brooks der State University of New York at Binghamton verkauft - die Kopien davon liegen in der Reinhardt-Forschungs- und Gedenkstätte in Salzburg. Den Ankauf des letzten verfügbaren großen Bestandes durch die Wiener Stadt- und Landesbibliothek konnte Ende Juli Kulturstadtrat Peter Marboe ankündigen; die Sammlung Dr. Stein. Ein Teil davon geht übrigens ebenfalls auf den Enthusiasten Alfred Brooks zurück und war ursprünglich für SUNY Binghamton bestimmt. Doch Brooks zog manches wieder ab, seine Witwe verkaufte an den in New York tätig gewesenen Wissenschaftler Dr. Jürgen Stein. Er brauchte in Wien viele Jahre, um eine öffentliche Stelle dafür zu interessieren. Als Verkäufer trat nun das Antiquariat INLIBRIS auf. Der Kaufpreis von 8,42 Millionen Schilling fußt auf einem Schätzgutachten, das das Bundesdenkmalamt in Auftrag gegeben hat. Die Sammlung enthält neben rund 600 Briefen und Telegrammen Reinhardts auch Manuskripte und theatralische Skizzen zu Reinhardts Regietätigkeit und Dokumente in Zusammenhang mit der Vertreibung ins Exil, sowie einen Teil der Bibliothek aus Schloß Leopoldskron in Salzburg.Vor kurzem hat die Stadt- und Landesbibliothek ihre Karl-Kraus-Sammlung (die größte der Welt) mit einem Teilnachlaß ergänzt: Um zehn Millionen Schilling wurden rund 2000 Blatt in eigener Handschrift und zahlreiche Druckfahnen mit Korrekturanweisungen vom Antiquariat Hassfurther erworben. Kulturstadtrat Peter Marboe konnte am Dienstag bei der Pressekonferenz des Wiener Bürgermeisters auch auf andere von ihm finalisierte bzw. veranlaßte Nachlaß-Erwerbungen hinweisen: Schönberg, Zemlinsky, Krenek, Kiesler und Spielmann wurden von der Stadt Wien "heimgeholt".

Wien erwirbt Nachlaß von Max Reinhardt

Wien - Die Stadt Wien erwirbt für die Stadt- und Landesbibliothek das umfangreiche Max-Reinhardt-Archiv, das sich, wie DER STANDARD am 28. Mai berichtete, schon seit zehn Jahren in Privatbesitz in Österreich befindet.

Laut Hugo Wetscherek, einem Wiener Antiquar, der sich im Besitz der Verwertungsrechte befindet, einigte man sich auf eine Summe von 8,42 Millionen Schilling für das "hochrangige Kulturgut", über das eine Ausfuhrsperre verhängt wurde. Heute, Dienstag, werden Kulturstadtrat Peter Marboe und Bürgermeister Michael Häupl die Erwerbung kundtun. Da schon der Ankauf eines Teilnachlasses von Karl Kraus (um zehn Millionen Schilling) vor wenigen Wochen nur durch Umschichtungen im Kulturbudget vonstatten gehen konnte, stimmte Häupl nun im Fall Reinhardt einer Sonderfinanzierung zu.

Der deutsche Theaterwissenschaftler Jürgen Stein hatte das in New York zusammengetragene Archiv 1981 erworben. Es umfaßt rund 2200 Objekte - mehr als 50 Prozent der gesamten Dokumente zu und von Max Reinhardt, darunter den kompletten Briefwechsel zwischen dem Regisseur und seiner Frau Helene Thimig. Des weiteren befinden sich in dem Konvolut fünf Regiebücher, Dokumente zum Theater in der Josefstadt und Bühnenbildentwürfe von Caspar Neher und Lovis Corinth.

Rezension: Max Reinhardt. Manuskripte, Briefe, Dokumente (FAZ)

Rezension in: FAZ, 17.06.1998, Nr. 137
Rezensent: Ulrich Weinzierl

Zauberer mit 1700 Nummern

Katalog einer Legende: Der Nachlaß des Regisseurs Max Reinhardt gehört nach Wien

Er war der Erfinder der Spezies Regisseur, wenigstens in der Personalunion von Künstler und Star. Stets galt er in seinem Metier und außerhalb als großer Verzauberer und Liebhaber; er konnte Massen ebenso inszenieren wie das subtilste Kammerspiel der Gefühle: Max Reinhardt ist im ersten Drittel unseres Jahrhunderts der ungekrönte König des deutsch-österreichischen Theaters gewesen. In mehr als einem Dutzend Berliner Bühnen hatte der Konzern- und Schlossherr zwischen 1902 und 1933 das Sagen. Als der Emigrant 1943 in einem New Yorker Hotel verstarb, ging eine Epoche zu Ende, die Reinhardt-Legende überdauerte indes sämtliche Stile und Moden bis heute.

Vergleichbar zählebig erwies sich der Kampf um sein materielles Vermächtnis. Er reicht bis zum jüngsten, noch nicht beigelegten Restitutionskonflikt rund um das Berliner Deutsche Theater. Auch die Erben - Reinhardts Kinder und seine zweite Frau, Helene Thimig - hatten einander sehr zur Freude der Anwälte von Anfang an nicht das geringste erspart und kaum etwas geschenkt. Nicht zuletzt der aktenmäßige Niederschlag dieser Auseinandersetzungen kommt nun ans Licht der Öffentlichkeit.

Vor kurzem nämlich hat ein junger Wiener Antiquar, Hugo Wetscherek, einen hervorragend edierten Katalog herausgebracht, der einen beträchtlichen Teil des schriftlichen Nachlasses von Max Reinhardt detailliert beschreibt. Der zitatenschwere, zudem mit der ersten umfassenden Reinhardt-Bibliographie angereicherte Band gehört in jede theaterwissenschaftliche Bibliothek. Dabei ist die penible archivalische Erfassung bloß das Nebenprodukt in die Länge gezogener Ankaufsverhandlungen mit der öffentlichen Hand in Österreich. [...]

In dem vom Katalog ausgebreiteten Material mit rund 1700 Nummern steckt eine gewaltige Fülle biographischer, kultur- und zeitgeschichtlicher Informationen. Insbesondere im kompletten Briefwechsel zwischen Max Reinhardt und Helene Thimig aus den Jahren 1917 bis 1943. Ferner in der Korrespondenz mit Gusti Adler und Reinhardts anderer Helferin Karla von Müffling. Neben Restbeständen der Bibliothek aus Schloss Leopoldskron, der Salzburger Sommerresidenz Reinhardts (darunter ein Prachtband über die Versailler Feste Ludwigs XIV.), Hofmannsthal-Autographen, Original-Blättern von Orlik und Corinth finden sich auch aufschlussreiche Dokumente über Reinhardts Scheidung von Else Heims, seine prekäre Finanzsituation, den Zugriff der Nationalsozialisten auf seinen Leopoldskroner Besitz und dessen Rückerstattung nach 1945. Am meisten beeindrucken die Lebenszeichen aus der Emigration, die von Not und Verzweiflung berichten.

Im November 1938 beklagte Max Reinhardt seiner Frau Helene gegenüber das grauenhafte Unrecht in Deutschland: "Es wäre vielleicht leichter zu ertragen, wenn das alles die fluchwürdige Tat eines bösen Genies wäre. Es ist aber ein rasender Tollhäusler, der mit gezücktem Messer herumläuft und herumbrüllt. Dabei werden die Wehrlosen zu Tode gemartert."

Eine Verbannung in die Heimat

2200 Objekte umfaßt der Max-Reinhardt-Nachlaß, der sich in Privatbesitz in Wien befindet. Ein Verkauf an die öffentliche Hand kommt nicht zustande: Man ziert sich, bietet inakzeptable Summen. Das "hochrangige Kulturgut" ins Ausland zu verkaufen, wurde aber untersagt. Ein Sittenbild aus Österreich.

Wien - Wie sich die Zeiten ändern: Max Reinhardt, 1873 in Baden geboren, war, als Hitler die Macht übernahm, unerwünscht. Er verließ das Land. Sein Nachlaß kam zufällig zurück nach Österreich. Sein Besitzer will ihn ins Ausland verkaufen. Doch der Staat hat es verboten: Reinhardt, respektive was von ihm zeugt, hat im Land zu bleiben.

Man kann die Geschichte auch anders erzählen: Peter Marboe, Wiener Kulturstadtrat, zitiert gern Martin Bubers "Sonnenfinsternis", die das Land während der Nazi-Herrschaft überzogen hatte. Wien leide bis heute unter den Folgen dieser Ära, die auch zu einer Geistesfinsternis geführt habe. Es sei daher Ziel, so Marboe, die Kulturgeschichte der Stadt wieder heimzuholen. Bei der Eröffnung des Schönberg-Centers im März sagte er, das Erbe von Zemlinsky, Krenek, Kiesler sei bereits in Wien, bezüglich Reinhardt gebe es gute Aussichten für einen entsprechende Lösung. Doch auf diese wartet der Besitzer des Nachlasses seit Jahren: Man hält ihn hin.

Jürgen Stein, ein Theaterwissenschafter, hatte das Reinhardt-Archiv, in New York zusammengetragen, 1981 erworben und nach Deutschland gebracht. Mitte der 80er-Jahre gab er die Wissenschaft auf - und wurde Gastwirt am Wiener Spittelberg. Den Nachlaß nahm er mit: ungeordnet in Koffern.

Schon damals gedachte er, ihn zu verkaufen, und das Theatermuseum nahm eine Besichtigung vor. Das Denkmalamt bekam Wind vom Kulturschatz und verbot die Ausfuhr. 1992 legte die Wiener Stadt- und Landesbibliothek ein Angebot über drei Millionen Schilling - ein inakzeptabler Preis für Stein, dem ein Gutachten von Sotheby's über zwei Drittel des Archivs, 1996 erstellt, recht geben sollte: Es bezifferte den Wert auf zumindest 6,6 bis 8,8 Millionen.

Nichts passierte. 1997 übertrug Stein, der den Nachlaß belehnen mußte, dem Wiener Antiquar Hugo Wetscherek die Verwertungsrechte. Dieser erstellte nun eine vollständige Konkordanz, die kürzlich in Buchform erschien.

Das Archiv umfaßt rund 2200 Objekte - mehr als 50 Prozent der gesamten Dokumente zu und von Max Reinhardt, darunter der komplette Briefwechsel zwischen dem Regisseur und seiner Frau Helene Thimig ab 1917. Reinhardts Entwürfe seiner Autobiografie. Briefe über die Emigration und Hitler, den er als "rasenden Tollhäusler" bezeichnet. Das Konzept zu einem Brief an Franz Werfel, in dem sich Reinhardt wenige Tage vor seinem Tod 1943 für die Glückwünsche von rund 80 Emigranten zum 70. Geburtstag bedankt.

Des weiteren befinden sich in dem Konvolut Dokumente zum Theater in der Josefstadt. Die Korrespondenz mit Hugo von Hofmannsthal über die Besetzung für den ersten Jedermann in Salzburg. Bühnenbildentwürfe von Lovis Corinth und Caspar Neher. Teile seiner Bibliothek, darunter ein Buch aus dem Besitz Ludwig XIV. mit Abbildungen von Moliere-Uraufführungen in Versailles. Fünf Regiebücher, zum Beispiel zu Stella, Reinhardts letzte Inszenierung in Berlin - und zugleich seine erste in Wien. Allein dieses Heft ist, so Wetscherek, eine Dreiviertel Million wert.

"Es wäre ein leichtes für mich gewesen, nur jenen Bestand anzubieten, der durch Sotheby's dokumentiert ist, und den Rest selbst zu verwerten", sagt er. "Das wäre wesentlich lukrativer - und mit wesentlich weniger Ärger verbunden. Aber wir wollten den Nachlaß als Einheit erhalten."
Im November 1997 trat Wetscherek an das Denkmalamt heran, damit der Nachlaß entweder im Rahmen des Ersatzkaufverfahrens im Inland zu 80 Prozent des ausländischen Verkehrswerts, der bei 14 Millionen Schilling liegt, erworben wird - oder freigegeben wird zur Ausfuhr.
Das Denkmalamt fragte daraufhin 38 Institutionen, ob Interesse am Kauf bestünde. Weil aber bekannt ist, daß die Stadt Wien ihre Hand auf das Material legte, antworteten die meisten, daß sie keine Absichten hegten. Die Museen der Stadt Wien ersuchten das Denkmalamt aber (wie viele andere auch), keine Ausfuhrgenehmigung "für dieses hochrangige Kulturgut, das für die österreichische Theaterwissenschaft enorme Bedeutung besitzt", zu erteilen.

Und die Salzburger Festspiele, von Reinhardt gegründet, bekundeten lediglich Interesse an einer Lichtpause. Die Frist des sechsmonatigen Verfahrens lief bis 21. April. "Das Ergebnis: Der Staat interessiert sich für eine Xerokopie", resümiert Wetscherek.

Die Stadt Wien erklärte sich bereit, sieben Millionen zu zahlen - also die Hälfte. Eine erpresserische Methode, die, meint Wetscherek, früher oder später aufgehen muß, weil er keine Handhabe hätte. "Ich kann nur weiterwarten. Und zugleich sind die Zinsen für den Kredit zu bezahlen." Dabei kann er ein Angebot von der Reinhardt-Erbengemeinschaft aus Berlin vorweisen, das wesentlich höher liegt als die sieben Millionen der Stadt- und Landesbibliothek.

Johann-Strauß-Operette ist neu zu entdecken

Beim Dreimäderlhaus in Wien hat sich ein junger Antiquar angesiedelt, der zwar nicht mit Schubert, aber mit Operetten-Kleinodien den heimischen Antiquariatsmarkt belebt.

Hugo Wetscherek, junger musikalischer Antiquar in Wien, belebt die Szene: In seinem neuen Laden in der Schreyvogelgasse bietet er Manuskripte, Drucke, Photographien und Devotionalien feil, die die Herzen von Operettenfreunden höher schlagen lassen. Vor allem die großen Konvolute lassen aufhorchen: Nicht zuletzt ist es Wetscherek gelungen, die Nachlässe von Komponisten wie Leo Fall oder Librettisten wie Viktor Leon zu erstehen. In Sachen Fall ergibt sich daraus ein für Wien durchaus bedeutsames Faktum: Ein Teil des Komponistenerbes lagert seit den dreißiger Jahren in der Österreichischen Nationalbibliothek. Der andere Teil, der jetzt bei Wetscherek zum Verkauf angeboten wird (Preis: 1,8 Millionen Schilling), war nach Zwistigkeiten unter den Rechtsnachfolgern abgetrennt worden und galt lange als verschollen.

Frühwerke von Leo Fall

Für die Wissenschaft ist, was in der Schreyvogelgasse lagert, von einiger Bedeutung. Immerhin umfaßt die Sammlung nicht nur Teile von eigenhändigen Klavierauszügen der Operetten "Der fidele Bauer", "Der Rebell" oder "Die Dollarprinzessin", Skizzen und vollständige Partituren von Falls Hand, sondern auch symphonische Frühwerke des 1925 verstorbenen Komponisten - so etwa die Partitur einer Orchestersuite in g-Moll, die Fall als "Opus 1" bezeichnet hat, sowie, besondere Kuriosität, eine Symphonie in a-Moll, die Fall als Teenager skizziert zu haben scheint, und auf deren Manuskript sich Eintragungen eines weiteren bedeutenden Meisters finden: Alexander von Zemlinsky, Konservatoriumskollege Falls, schrieb auf die letzten Seiten von Falls Partitur eigene Einfälle nieder!

Ebenso spannend der Nachlaß des Librettisten Viktor Leon, dessen Zusammenarbeit mit Künstlern wie Lehár, Fall, Kalman, Ziehrer, Girardi oder auch Stefan Zweig hier durch mehr als 100 abgeschlossene Werke, unzählige Briefe und SKizzen, Drucke und Musikautographen dokumentiert ist. Hinzu kommt eine umfassende Sammlung von Photographien, die nicht zuletzt die Verehrung bezeugen, die Künstlerkollegen dem Textautor entgegenbrachten.

Der Katalog von Wetschereks "Inlibris" umfaßt noch etliche Schätze, Dokumente von Lotte Lehmann bis Eduard Strauß, Franz Lehár bis Erich Wolfgang Korngold. Ein Konvolut daraus dürfte demnächst auch für die Musikpraxis Bedeutung gewinnen. Der renommierte Wiener Musikforscher Eberhard Würzl gab sich über die Entdeckung des Originalstimmen-Materials der Johann Strauß-Operette "Simplicius" begeistert. Würzl zur "Presse": "Ich habe über diese Operette geforscht und es noch bei der Abfassung meiner Dissertation für fraglich gehalten, ob dieses Werk je wieder zu rekonstruieren sein würde. Die meisten wichtigen Quellen waren verloren."

Der neue Wiener Antiquar hält nun die Sensation bereit: das Stimmenmaterial der Uraufführung des "Simplicius", an der 1887 Alexander Girardi mitwirkte, und Stimmen der Drittfassung, die in Wien 1894 herauskam. Damit steht einem Revitalisierungsversuch mit einer musikalisch reichen, textlich jedoch nicht unproblematischen (vor dem Hintergrund des dreißigjährigen Krieges angesiedelten) Operette nichts mehr im Wege. Warum nicht im Strauß-Jahr 1999? Ein junger Antiquar macht's vielleicht möglich.

Kunstbörse

Einen Katalog mit 100 seltenen Büchern hat das Wiener Antiquariat Inlibris herausgebracht. Eines von sechs Exemplaren der zwölf Seiten umfassenden Schrift "Orationes duae" von Georg Ioachim Rheticus, einem Schüler von Copernicus, wird für 280.000 Schilling angeboten, die Erstausgabe von Goethes "Farbenlehre" für 58.000, Schopenhauers Abhandlung zum selben Thema für 15.500 Schillling.