Unbekanntes Manuskript für Kaiser Ferdinand I. über die Kämpfe im ungarisch-türkischen Grenzgebiet

[Landsknechtwesen]. Widmungsmanuskript für Kaiser Ferdinand I., verfaßt von einem Provostleutnant seines Landsknechtsheeres, der von 1532 bis 1552 gegen die türkischen Truppen unter Sultan Soliman II. im Feld stand.

[Ohne Ort, 1560].

Dt. Handschrift auf Papier. Kanzleikursive in brauner Feder, Kapitelauszeichnungen und Initialen kalligraphiert. 28 Zeilen, der Schriftspiegel von Federlinien eingefasst. 12 Bll., 1 weißes Blatt, 83 Blatt, 2 weiße Bll. (= vollständig mit 190 beschriebenen Seiten). Zeitgenössischer flexibler Pergamentband mit goldgeprägter Deckelbordüre, beide Decken durch dieselbe Bordüre gerautet, der Rücken durch ebendiese in sechs Felder geteilt, darin jeweils florale Vergoldung. Dreiseitige Schnittpunzierung. Folio (280 x 390 mm).

 25.000,00

Als "oberster provossen Leutnant" war der - gegenwärtig noch nicht identifizierte - Verfasser unserer Handschrift 1552 Angehöriger des Stabes des damaligen Regimentsobersten Herzog Moritz Kurfürst von Sachsen und zählte damit zu den Befehlshabern in dem von Moritz von Sachsen geführten kaiserlichen Landsknechtsheer. Als Leutnant des Profossen (Provost oder Profot) hatte er sich in seinem Regiment um die Durchsetzung und Einhaltung der Feldordnung unter den Landsknechten zu kümmern; er ermittelte die Rechtsbrecher, setzte sie fest und trat vor Gericht als öffentlicher Ankläger und hernach als Urteilsvollstrecker auf. Nach Ende eines Feldzugs war der Profoß nicht mehr durch das Militärrecht geschützt, weswegen er das Regiment meist vor dessen Auflösung verließ, um sich so vor Racheakten der von ihm verfolgten Landsknechte zu schützen. Nach mehr als 20 Jahren im kaiserlichen Heeresdienst nun also ohne Sold und Beschäftigung, wandte sich der ehemalige Landsknecht 1560 mit dem vorliegenden autobiographischen Manuskript direkt an Kaiser Ferdinand I. und ersucht diesen schließlich im 146. und letzten Kapitel seiner Ausführungen, "mich doch aus lauterer genaden mit ainer genetten Pfründt oder schlechten Ofidicio oder Beneficij" zu bedenken. Sich offenbar sowohl der Umständlichkeit als auch der Brisanz seines Vorbringens bewußt, nimmt er bereits im Vorwort an den Kaiser darauf Bezug, daß man ihn in einer persönlich gewährten Audienz wohl nicht in dieser Ausführlichkeit zu Wort kommen ließe ("gibt ainem nit sovil audienz, biß Er sein wichtige sachen khann genuegsamblich fürbringe"), weswegen er nun eben die Schriftform gewählt habe. Er sei kein gelehrter Mann, noch stünde ihm "ain doctor der wolreden khann" zur Ausformulierung seiner Anliegen zur Verfügung, doch habe er auch als "schlechter Mann sovil Memory oder Hürnß", um "sein Opinnion und Mainnung" in vorliegender Form darzulegen. Die hierauf folgenden Berichte über seine persönliche Teilnahme an wichtigen und historisch belegten Schlachten gegen die Türken ermöglichen die oben erschlossene exakte Datierung der Handschrift. So habe der Verfasser des Manuskripts u. a. an dem Feldzug gegen die Festung Raab teilgenommen ("ungeverlich vor 8 Jahren mein gnediger Herr Herzog Moritz Curfürst [von Sachsen ...] biß für Rab Innß Landt zue Hungern ist gezogen"), auch bei der Niederschlagung der Türken am Steinfeld 1532 habe er schon im kaiserlichen Heer gekämpft ("bin auch dabey gewesen, wie man dazumal ein streifenden Haufen mit Türggen an der Schwarzach geschlagen hat [...] da Herr Sewastian Schertlin Obristen Leitnanbt war"). Unter dem Kommando des Siegers der Schlacht am Steinfeld, des berühmten Landsknechtführers Sebastian Schertlin von Burtenbach (1496-1577), der 1527 am Sacco di Roma beteiligt war, dürfte unser kaiserlich-habsburgischer Söldner noch bis Mitte der 1540er Jahre verblieben sein. In seinen weiteren Ausführungen geht er auf den desolaten Zustand des damaligen Heereswesens ein, äußert sich offen zur Korruption der höheren Ränge ("wie die falschen blinden Namen C. may. so grossmechtigen schaden bringen"), zur schlechten Besoldung ("wie die Armen Kriegsleuth über vortailt und genediget werden mit der schlechten Müntz"), benennt ganz konkret Mißstände bei Musterung, Verpflegung und Bekleidung, unterbreitet aber auch jeweils Vorschläge zur Verbesserung derselben ("so man auf allen Musterungen mieglichen Vleiß fürwendt guette kriegsleuth zue bekommen").

Das Manuskript setzt unmittelbar mit dem "Register diser Oration oder Solticitation" ein, das Gegenblatt zum ersten Blatt des Registers ist als Spiegel an den Vorderdeckel geklebt; nach dem Register folgt unmittelbar die an den "Allerdurchleuchtigste[n] Großmechtigste[n] unnd unyberwindlichsste[n] Erwelte[n] Romischer Kayser aller genedigster Herr[en]" gerichtete Vorrede, hierauf die 146 Kapitel der Abhandlung. Die Unterlassung der Hinzufügung seines Namen ist ebenso wie die Provenienz des Manuskripts Hinweis darauf, daß den Autor letztendlich doch der Mut verlassen haben dürfte und er von der Übermittlung seines sowohl wegen der starken autobiographischen Bezüge als auch der unverhohlen geäußerten Kritik am kaiserlichen Heerwesen höchst ungewöhnlichen Manuskripts an den Kaiser schließlich Abstand genommen hat.

Aus der Sammlung des österreichischen Kriegsministers Theodor Graf Baillet de Latour (1780-1848; von Aufständischen gehängt); dessen heraldisches Exlibris im vorderen Innendeckel.