Meyer, Conrad Ferdinand, Dichter (1825-1898). Eigenh. Brief mit U.

O. O., 25. VI. 1886.

4 SS. auf Doppelblatt. 8vo.

 8.500,00

An die Schriftstellerin Louise von François (1817-93): "Verehrte Freundin, freilich haben Sie mich mit Ihrer langen Pause zeitweilig beunruhigt u. ich habe meinen Winkelried versuchsweise ausgesendet, ob Sie denn völlig verstummt wären. Nun Gottlob, Sie leben und sind gesund! - Auch ich kann dieses Frühjahr nicht rühmen - begonnen viel und wenig beendigt. Sechs neue Novellen sind sozusagen schreibfertig d. h. in meinem Kopfe, auch der Roman hat Gestalt gewonnen, d. h. wieder in meinem Kopfe, niedergeschrieben ist wenig, ich werde einen schnelleren Schritt anschlagen, da ich mich gegenwärtig kräftig fühle. Meine kleine Frau dagegen pinselt mit Furia an der Copie eines herrlichen Calame, den sie sich bei einer Verwandten geliehen hat und mein Mädchen malt - nicht ohne einen gewissen Schönheitssinn - Buchstaben. Ich schicke sie für einmal einfach in die Dorfschule. So steht es hier. Wohin wir Dreie in die Ferien gehen, ist noch unentschieden, jedenfalls in die Höhe.

Ich habe mir in der letzten Zeit den Franzosen Flaubert angesehen, welcher sich aber erst aus seiner neulich veröffentlichten Correspondenz mit George Sand erklärt.

Von Besuchen nenne ich die Linggs und Rodenbergs, dann den von Frl. von Druskovich, welche ein philosophisches Buch geschrieben hat [d. i. "Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Ein philosophischer Essay" (Heidelberg, 1886)]. Sie ist unverändert. Der bei Ihnen steckbrieflich verfolgte Kraszewski trinkt und badet in Schinznach im Aargau. Ich werde ihn dort als alten Bekannten wohl besuchen, obschon ich über seinen 'Landesverrat' nicht recht hinwegkommen kann. Kellers Salander ist weit realistischer als alles Frühere von ihm [...]".

Wohlerhalten.

Literatur

Gedruckt in: Louise von François und Conrad Ferdinand Meyer. Ein Briefwechsel (2. Aufl., Berlin 1920), S. 189f.

Art.-Nr.: BN#37917 Schlagwort: