Kauf- und Spielsuchttherapie im Wiener Biedermeier

Görgen, Bruno, österreichischer Psychiater (1777-1842). Sammlung von 11 eigenh. Briefen mit U.

Wien-Döbling, 1834-1838.

9 Briefe 4to mit zus. 20½ SS. (zumeist Faltbriefe mit eh. Adresse und Resten roter Lacksiegel) und 2 Briefe 8vo mit zus. 8 SS. = 28½ SS. auf Doppelblättern.

 8.500,00

Hochinteressante Sammlung von Arztbriefen des bedeutenden Wiener Psychiaters Bruno Görgen, alle gerichtet an den Pester Kaufmann Aloys von Heinrich betreffend dessen gemütskranke Ehefrau, die in Görgens Döblinger Privatsanatorium in Behandlung war:

"Sie können sich, wie ich aus Ihrem Schreiben vom 19. d. M. ersehe, gar nicht darein finden, daß Ihnen Ihre Frau so herzliche Briefe schreibt, und sagen mir geradezu, daß Sie glauben, dieselben müßten ihr diktirt worden seyn. Das ist nun, mein lieber Freund, ein großer Irrthum von Ihrer Seite, denn warum könnte ich Sie, oder irgendjemanden täuschen wollen? Und wenn ich ihr, wie Sie glauben, ihre Sache leicht machen wollte, und sohin nur auf Schein hinarbeitete, so hätte es ja von mir allein abgehangen, ihre Probezeit statt 6 auf 3 oder 4 Monathe zu setzen [...] Ich verlange 6 Monathe wegen der vielen Rükfällen, welche seit 13 Jahren Statt gefunden haben, und wenn sie nun den Rest der bestimmten Probezeit noch gut besteht, so kann sie mit Zuversicht für geheilt betrachtet werden. Auch habe ich bereits angefangen, mit ihr alles dasjenige zu besprechen, was sie beim Ausbruche und während ihrer letzten Krankheit Unordentliches [...] gethan hat, weil ich [...] prüfen muß, ob [...] sie sich der vorgefallenen Dinge erinnert [...] Sie erinnert sich, mindestens 2500 fl. in die Lotterie gesetzt zu haben, wovon sie 500 fl. zurückgewonnen, weil sie alle 90 Nummern besetzt hatte [...]" (24. VI. 1834).

"Ein Priester kann seinem Sünder nicht eifriger zusprechen, als ich es bei Ihrer Frau gethan habe; auch verspricht sie, daß sie, um auch in Zukunft gesund zu bleiben, meinen Raht befolgen werde, aber ich fürchte selbst, daß es beim bloßen Versprechen sein Bewenden haben werde. Ihre Geisteskrankheit, ihre Narrheit ist beseitiget, und zwar seit vollen 6 Monathen, und ich habe sie auf harte Proben gestellt, aber ob sie auch ihren Starrsinn aufgeben wird, daran zweifle ich [...]" (19. VII. 1834).

"So eben hab' ich Ihrer Frau meine letzte Predigt gehalten, und ihr Alles wiederholt, was sie zu thun hat, um auch zu Hause fortan gesund zu bleiben [...]" (31. VIII. 1834).

"Mit vielem Bedauern vernahm ich die Erneuerung Ihres Unglückes, und sehe aus allen Nebenumständen, welche Sie mir gemeldet, daß die Krankheit gerade so, wie das vorigemal, begonnen hat, mit Einkaufen, Unverträglichkeit, Sucht nach Veränderung u.d.gl. [...]" (24. VIII. 1835).

"Vorgestern wurde Ihre Frau Gemahlin in einem Fiacre herumfahrend in der Stadt ganz zufällig von einem meiner Leute bemerkt. Sogleich machte ich die Meldung davon an die Polizey [...] Um nun der Hin- und Herschlepperei einer wahnsinnigen Person vorzubeugen, sollten Sie, geehrter Freund, sichs angelegen sein lassen, daß eine dortige Behörde, sey es Magistrat, oder Polizey, von Amtswegen sich mit der hiesigen Polizey in's Einvernehmen setzen möchte [...] In dem Wagen war bei ihr eine Frau mit zwei Kindern, und ein junger Mensch mit schwarzem Schnurbarte [...]" (27. IX. 1835).

"Am 17. d. M. ist Ihre Frau Gemahlin bei mir eingetroffen [...] Sie war die freundlichste mit mir, so wie mit meinen Leuten, ihr lustiger Humor dauert fort, sie spricht, schreit, und schwäzt, wie ein Advokat, hat auch eine hübsche Porzion Ackten, und Schriften mitgebracht, und möchte wohl den ganzen Tag an Kaiser, Consistorium, Palatinus und an alle Erzherzoge schreiben, wenn ich es gestatten würde [...]; mit einem Worte Alles zu sagen, sie ist recht verwirrt [...]" (20. V. 1837).

"Ew. Wohlgeborn übersende ich hiermit die verlangte Rechnung für Herrn v. Heinrich in Pesth, und zwar für Verpflegung, ärztliche Behandlung, Arzneyen, Wäsche und Alles übrige [...] Dabei bitte ich Ew. Wohlgeborn dem Herrn v. Heinrich zu berichten, wie ich meine Noth mit der Pazientin habe. Sie will nämlich alles haben, alles kaufen, was ihr einfällt, und von Allem das eleganteste [...]" (28. V. 1838).

In der ehemaligen Heniksteinvilla in Oberdöbling richtete der gebürtige Trierer Görgen 1829 seine ein Jahrzehnt zuvor in Gumpendorf begründete "Privatirrenanstalt" rein, wo er seinerzeit revolutionäre Behandlungsmethoden ohne Zwangsmaßnahmen einführte, unter anderem die Beschäftigungstherapie. Der Ehegatte der Patientin, Aloys v. Heinrich, betrieb unter der Firma "Wurm und Heinrich" an mehreren Standorten in Pest den Handel mit Eisenwaren und Wein, führte aber auch Wechselgeschäfte.

Teils etwas knittrig, braunfleckig, angestaubt bzw. mit kl. Randeinrissen, jedoch durchwegs gut lesbar. Selten umfassendes Ensemble von psychiatrischen Krankenberichten aus dem biedermeierlichen Wien.

Art.-Nr.: BN#53526 Schlagwörter: , , , ,