[Stundenbuch]. [Liber horarum - Livre d'heures].

Rouen, Maître de l'échevinage (workshop), ca. 1480 (letztes Viertel des 15. Jhs.).

Lateinische Handschrift (lettre batarde) auf Pergament. 2 Spalten, 25 Zeilen. 70 (statt 74) Bll. sowie jew. 2 w. Bll. Vor- und Nachsätze. Mit floralen Bordüren in Gold und Farben sowie ornamentalen Deckfarbeninitialen; 10 (statt 14?) Zierseiten mit Miniaturen. Lederband des 16. Jhs. über Pappdeckeln mit doppelter Filetenrahmung und mittig goldgepr. ovale Plattenstempel (Vorderdeckel: dreifigurige Kreuzigung, Hinterdeckel: Verkündigung). 8vo (190 x 133 mm).

 65.000,00

Prächtig ausgestattetes nordfranzösisches Liber horarum auf Pergament. Die mit ca. 110 x 80 mm fast ganzseitigen Miniaturen zeigen innerhalb eines oben abgerundeten Rahmens tiefe Landschaftsgründe bzw. Innenraumdarstellungen und umfassen, jeweils zu Textbeginn: fol. 14r Mariä Verkündigung (zu Beginn der Matutin des Marienoffiiziums); fol. 20r Mariä Heimsuchung (zu den Laudes); fol. 26r Kreuzigung mit Maria, Johannes und Begleitfiguren links und dem Hauptmann und Soldaten rechts (zu den Kreuzstunden); fol. 27r Pfingsten mit Maria im Zentrum der Apostel und auffallend großer Geisttaube (zu den hl. Geiststunden); fol. 31r Anbetung der Könige (zur Sext), fol. 33r Darbringung im Tempel (zur Non); fol. 35r Flucht nach Ägypten (zur Vesper); fol. 38 Marienkrönung (zur Komplet); fol. 41v König David betend (zu den Bußpsalmen); fol. 50v Hiob nur mit einem Schurz bekleidet am Misthaufen sitzend wird von seinen drei Freunden besucht (zur Totenvigil). Fehlend 4 Bll.: vor fol. 7 (Beginn der Evangelienlesungen), vor fol. 28 bzw. 30 (Beginn der Prim bzw. Terz der Marienstunden) und vor fol. 65 (Beginn eines Mariengebetes). Für die französische Buchmalerei der Zeit typisch sind die feinen Goldhöhungen im Gewand. Die auf der ersten Kalenderseite und auf den Miniaturenseiten allseitigen, sonst nur seitlichen Bordüren zeigen charakteristisch langgestreckte, hellbraune bzw. blaue Rankenblätter einerseits und andererseits Blüten und Früchte (vor allem Erdbeeren und querovale rote Blüten), die auf hellbraun eingefärbten Kompartimenten aufliegen. Die Anfänge der einzelnen Gebete und Lesungsabschnitte mit kleinen Deckfarbeninitialen; farbige Zeilenschlussleiste mit Golddekor.

Die bei Stundenbüchern oft schwierige liturgische Zuordnung ist durch den originalen Eintrag auf fol. 13r eindeutig bestimmt: "Hore beate Marie virginis secundum usum Rothomagansem" (d.i. Rouen in der Normandie). Den größten liturgischen Schatz stellt der vollständige und reich besetzte Kalender in französischer Sprache dar (fol. 1r-6v): Die Eintragungen sind abwechselnd in rot und blau, die Feste mit Goldschrift hervorgehoben. Zu nennen sind der Hl. Martialis, Bischof von Limoges, der in Rouen am 3. Juli gefeiert wird (Festeintrag in Gold) und auch in der Litanei prominent erwähnt wird. Auch der Hl. Romanus, Bischof von Rouen, wird am 23. Oktober mit einem goldenen Eintrag gewürdigt. Weitere Bischöfe von Rouen, z. B. Ansbertus (9. Febr.), Hugo (9. April), Mellonus (22. Okt.), und zahlreiche für die Region typische Heilige sind vermerkt, einige davon auch in der fol. 47v-50r überlieferten Litanei erwähnt.

Die Lokalisierung nach Rouen kann auch auf kunsthistorischem Weg bestätigt werden: Die Rankenformen wurden von dem Rouen tätigen "Maitre de l’échevinage" um 1460 entwickelt und von seiner sehr produktiven Werkstatt bis ins 16. Jahrhundert tradiert. Diese Einordnung wird durch die konsequent oben bogenförmigen Miniaturen und die Kompositionen bestätigt. Die Datierung ergibt sich einerseits aus dem Fehlen der Bordürenstäbe, die für den Dekor der Werkstatt zum 3. Viertel des 15. Jahrhunderts typisch sind, und andererseits dem noch rein gotischen Charakter, der in Rouen schon vor 1500 schrittweise mit Renaissancemotiven durchmischt wird.

Provenienz: Altfranzösische Einträge des 16. Jhs. auf fol. 70v, betreffend die Geburt einiger Kinder des damaligen Besitzers. Der erste Eintrag ist dem vierten Sohn Pierre gewidmet, der am 13. Mai 1563 zur Welt kam; es folgen vier weitere Kinder bis 1570, wobei die Einträge offenbar jeweils unmittelbar erfolgten. Der Name der Familie wird nicht genannt; eine Möglichkeit der Identifikation könnten aber die jeweils erwähnten Taufpaten darstellen. Zeitnah auch ein Gebet auf fol. 13v nachgetragen.

Die Seiten vereinzelt mit unbedeutenden Farbverwischungen und Abdrücken gegenüberliegender Malerei, selten leicht fleckig. Insgesamt von vorzüglicher Erhaltung.

Art.-Nr.: BN#53673 Schlagwörter: , ,