"in demselben Grabe, wo auch Marx & Frau Marx beerdigt sind"

Engels, Friedrich, Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus (1820-1895). Eigenh. Brief mit U. ("F. Engels").

London, 12. XI. 1890.

4 SS. auf Doppelblatt (Falz durchgerissen, daher in zwei Einzelblättern). Kl.-8vo (112 x 179 mm). Wasserzeichen: St. Margarets' Superfine.

(Beiliegend:) Kabinettphotographie von Helene Demuth (Albuminabzug, Vintage), 100 x 141 mm auf Kartonträger (100 x 160 mm) des Studios Charles J. Gearing, London (nach 1880).

(Und:) Auszug aus den Geburtsregistern des Standesamts St. Wendel zur Verwandtschaft von Adolf Riefer mit Helene Demuth. 2 SS. Folio.

 480.000,00

An Adolf Riefer in Saarburg (Sarrebourg) in Lothringen über den Tod seiner Tante Helene Demuth, die langjährige Haushälterin von Marx und Engels: "Ich habe Ihnen heute die traurige Mittheilung zu machen, daß meine langjährige Freundin & seit sieben Jahren Hausgenossin, Ihre Tante Fräulein Helene Demuth am 4. des Mts. nach kurzer Krankheit sanft & schmerzlos gestorben ist. Wir waren seit 1845 befreundet, & als sie nach dem Tode meines Freundes Marx mir die Ehre & Freude erwies, die Leitung meines Hauswesens zu übernehmen, fingen für mich Jahre der Zufriedenheit, Ruhe & ich kann wohl sagen des häuslichen Glücks an, wie sie mir seit dem Tod meiner Frau 1878 nicht mehr gegönnt gewesen. Das ist nun alles dahin und für immer. Wir haben sie am Freitag, 7. Novbr. in demselben Grabe, wo auch Marx & Frau Marx beerdigt sind, zur Ruhe gelegt. Mit mir & den Töchtern von Marx betrauern Tausende von Freunden aller Nationen, in den Ebenen Amerikas wie in den politischen Gefängnissen Sibiriens & in allen Ländern Europas ihren Verlust. Die Verstorbene hat ein Testament gemacht, worin sie den Sohn einer verstorbenen Freundin, den sie von klein auf sozusagen an Kindesstatt angenommen, und der sich allmählig zu einem braven & tüchtigen Mechaniker herausgebildet, Frederick Lewis, zu ihrem alleinigen Erben eingesetzt hat. Derselbe hat seit längerer Zeit aus Dankbarkeit und mit ihrer Einwilligung den Namen Demuth angenommen [...]". Engels beziffert den Wert der Erbschaft auf "etwa vierzig Pfund Sterling" und inseriert dann den Wortlaut den englischen Testaments mit deutscher Übersetzung. Demuths letzter Wille ist datiert mit 4. XI. 1890 und wird vor den drei Zeugen Friedrich Engels, Marx' jüngster Tochter Eleanor Marx-Aveling und deren Gatten Eduard Aveling erklärt.

Helene Demuth (1820-90) musste nach dem Tod ihres Vaters 1826 bereits in jungen Jahren als Dienstmädchen arbeiten. 1837 kam sie zur Familie des Trierer Regierungsrats Johann Ludwig von Westphalen, dessen Tochter Jenny 1843 Karl Marx heiratete. Zu deren Unterstützung kam Demuth 1845 als Haushälterin nach Brüssel und verblieb fortan bei Familie Marx auch in Paris, Köln sowie bis zum Tod von Jenny (1881) und Karl Marx (1883) im Londoner Exil. Anschließend führte sie bis zu ihrem Tod den Haushalt von Engels.

Der Erbe Frederick Lewis Demuth (1851-1929) war höchstwahrscheinlich der uneheliche Sohn von Karl Marx und Helene Demuth. Seine Mutter verschwieg ihr Leben lang die Identität des Vaters, um Marx' politischen Gegnern keine Angriffsfläche zu bieten; auch in diesem Brief verschleiert Engels seine Herkunft. Der nach Engels benannte Frederick kam als Kind in London in die Pflegefamilie Lewis, deren Nachnamen er annahm; zu seinen Halbgeschwistern soll er zeitlebens aber ein gutes Verhältnis gehabt haben. Unzweifelhaft verlief sein Lebens glücklicher als ihres: "Four of Marx's children predeceased him, and the two survivors both killed themselves. The only member of the family to escape the curse was Freddy Demuth, who lived and worked quietly in east London. He died of cardiac failure on 28 January 1929, aged seventy-seven. To the end, neither he nor anyone else suspected that Freddy might be a son of the man whose face and name were, by then, known throughout the world" (Wheen, Marx, S. 386).

Es liegt eine originale Kabinettphotographie von Helene Demuth bei, welche die Haushälterin in höherem Alter und annähernd ganzer Figur zeigt (verso von späterer Hand in Bleistift bezeichnet und datiert "1890").

Ferner beiliegend Auszüge aus den Geburtsregistern des Standesamts St. Wendel, aus denen die Verwandtschaft Adolf Riefers mit Helene Demuth hervorgeht, welche die Schwester seiner Mutter Katharina Riefer, geb. Demuth war.

Ferner beiliegend ein maschinschriftliches Schreiben des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED an das Antiquariat Tenner zur Weitergabe an den Ersteigerer, mit der Bitte um eine "hochwertige Fotokopie" sowie "genaue Zeugenbeschreibung der Fotos" (10. X. 1984, 1½ SS., 4to), unterschrieben vom damaligen stellvertretenden Direktor des Instituts, Prof. Dr. Heinrich Gemkow (1928-2017).

Provenienz

1) Tenner, Heidelberg, Auktion 149 (1984), lot 16 & 17 (Katalogseiten in Fotokopie beiliegend).

2) Deutsche Privatsammlung.

3) Hermann Historica, Grasbrunn, 17.10.2023, lot 3343.

Zustand

Spuren alter waag- und senkrechter Mittenfaltung; Durchrisse in der Querfaltung fachmännisch restauriert (geringfügige Beeinträchtigung einer Zeile in der deutschen Übersetzung des Testaments).

Art.-Nr.: BN#62955 Schlagwörter: , ,