Rezension in: Prolibris 4/2002 (7. Jahrgang), S. 236
Rezensent: Bernd Eckhoff, Universitäts- und Landesbibliothek Münster
Bibliotheca lexicorum. Kommentiertes Verzeichnis der Sammlung Otmar Seemann, bearbeitet von Martin Peche. Wien: Antiquariat Inlibris 2002. 708 S.
Jede Bibliothek hat einen mehr oder minder großen Bestand von allgemeinen Lexika und Enzyklopädien, früher oft auch Konversationslexika oder Realencyclopädien genannt. So selbstverständlich sie zum Kernbestand jeder Bibliothek zählen, kaum ein Bibliothekar weiß auf Anhieb spezielle Fragen zu den Lexika selbst zu beantworten, etwa wenn es um Auflagenfolgen oder um die politische oder weltanschauliche Ausrichtung seiner Editoren geht.
Namen wie Meyer, Brockhaus sind allgemein geläufig, ebenso auch noch Herder oder Bertelsmann, doch schon mit Hübner, Ersch-Gruber, Pierer oder Zedler verbinden vergleichsweise wenige etwas. Und spätestens bei der Deutschen Taschen-Enzyklopädie von 1816 oder bei Daniel Sanders' Konversationslexikon von 1896 muss weiterführende Spezialliteratur zu Rate gezogen werden. Als erstes Hilfsmittel steht hierfür neben einzelnen kleineren Publikationen seit Jahrzehnten Zischkas Index lexicorum1 bereit.
Nun hat kürzlich ein kleiner Wiener Verlag einen Katalog der Lexika-Sammlung von Otmar Seemann herausgegeben. Betitelt ist das recht umfängliche Werk mit Bibliotheca lexicorum und deutet bereits damit an, dass es in der Tradition Zischkas steht und sein Werk gewissermaßen weiterführt.2 Enthalten ist in diesem Katalog laut Untertitel eine Bibliographie der enzyklopädischen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, unter besonderer Berücksichtigung der im deutschen Sprachraum ab dem Jahre 1500 gedruckten Werke. Mehr als 600 vornehmlich deutschsprachige Lexika sind verzeichnet, und eine Informationsfülle sondergleichen erschließt sich dem Leser. Neben genauen bibliographischen Angaben, die auch die Einteilung der Bände umfassen, werden etwa Verkaufspreise notiert, auf andere Erscheinungsformen wie Reprints oder Mikroformen verwiesen und weitere wissenswerte Informationen mitgeteilt, beispielsweise, dass den Einbandentwurf zur 7. Auflage des Meyer-Lexikons kein Geringerer als Hugo Steiner-Prag besorgte.
In zum Teil sehr umfangreichen Kommentaren werden Fragen zur Entstehungsgeschichte und zum Inhalt der Lexika aufgeworfen: An wen richtet sich das Werk, wer saß in der Redaktion, und wer stand ihr vor, welchen politischen, sozialen oder religiösen Hintergrund hatte die Redaktion, in welchem historischen Umfeld spielte die jeweilige Entstehungsgeschichte, welche Ziele verfolgte der Verlag mit der Edition, welche Idee steckte hinter dem Aufbau des Werkes und so weiter. Am Ende werden jeweils umfangreiche Literaturhinweise gegeben.
Die Auswahl der nicht deutschsprachigen Lexika ist erwartungsgemäß sehr begrenzt und beinhaltet nur die bekannteren Werke wie die Encyclopaedia Britannica oder das Dictionnaire complet illustré von Larousse.
Ein besonders nützlicher Teil des Buches ist die Auflistung der Lexika nach ihren Erscheinungsjahren. Da enzyklopädische Literatur stets widerspiegelt, was in einer Epoche als wissenswert und zukunftsweisend galt, ist hier dem Historiker ein wertvolles, leicht zu bedienendes Instrument an die Hand gegeben.
Das Personen- und Verlagsregister erleichtert die zielgerichtete Suche, vor allem auch nach heute unbekannteren Namen der deutschen Publizistik des 19. und 20. Jahrhunderts. Die kleine, aber sorgfältige Auswahl von Schwarzweißabbildungen zeigt Einbände, Titelblätter, Schutzumschläge, Textillustrationen, Herausgeber- und Verlegerportraits sowie Werbematerialien. Eine sehr umfangreiche Bibliographie der Sekundärliteratur (gut 3300 Titel) mit einem angehängten Index rundet das Werk ab.
Kritisch anzumerken wäre, dass das Verzeichnis entgegen seiner Ankündigung nicht ganz bis an die Gegenwart heranreicht, sondern eine Reihe neuer Editionen außer Acht lässt, vermutlich weil sie nicht mehr zur Sammlung Seemann zählen. Nicht nur fehlt die 20. Auflage der Brockhaus-Enzyklopädie, die 1996-98 erschien, sondern auch Meyers Großes Universal-Lexikon (1981-86), das mit 15 Bänden eine verkleinerte Ausgabe der 25-bändigen 9. Auflage darstellt, in seinen Sonderbeiträgen aber durchaus Eigenes zu bieten hat.3 Nicht enthalten sind ferner Meyers Neues Lexikon in 10 Bänden von 1993 wie auch die deutsche Übertragung des französischen Lexikons Libraire Larousse unter dem Titel Meyers Memo von 1991, das mit seinem Aufbau nach Sachgebieten gerade in lexikalischer Hinsicht eine interessante und gelungene Variante darstellt.
In die Kataloge der großen deutschen Auktionshäuser und Antiquariate hat das Werk bereits Eingang gefunden, wo es sich unter der Abkürzung "Slg. Seemann" nahtlos in die Liste der Referenzwerke einreiht. Diese allgemeine Wertschätzung und Nutzung ist dem Katalog Bibliotheca lexicorum in den wissenschaftlichen Bibliotheken auch zu wünschen. In der ULB Münster war sein Aufstellungsort schnell ausgemacht: direkt neben Zischkas Index lexicorum im Handapparat der Auskunftsabteilung.
[1] Zischka, Gert A.: Index lexicorum. Bibliographie der lexikalischen Nachschlagewerke. Wien 1959.
[2] Dazu passt, dass das durchschossene Handexemplar Zischkas vom Index lexicorum Teil der Sammlung Seemann ist.
[3] Dieses Lexikon war übrigens das letzte, was das Bibliographische Institut in Eigenregie vor seiner Fusion mit Brockhaus 1984 herausbrachte.