Rezension in: Die Welt, 25.11.2006
Rezensent: Ulrich Weinzierl
Er kannte den Zauber der Schrift
[...] Der junge Historiker und Politologe Oliver Matuschek wiederum nennt seine Zweig-Biografie "Drei Leben". So hätte Stefan Zweigs bewegendstes Buch, die postum erschienenen Erinnerungen "Die Welt von Gestern", ursprünglich heißen sollen. Matuschek stützt sich vor allem auf bis dato unbekannte familiengeschichtliche Dokumente, um ein differenzierteres Bild des Menschen Stefan Zweig und seines sozialen Umfelds zu zeichnen. All dies ist äußerst verdienstvoll. Und dennoch: Den wichtigsten Beitrag zum Zweig-Jahr hatte Oliver Matuschek längst geleistet.
Mit seinem kommentierten Katalog von Zweigs Autografensammlung "Ich kenne den Zauber der Schrift" (2005). Denn hier tritt mehr als ein kostspieliges Hobby des Millionärs Zweig in den Vordergrund: Es war seine eigentliche Passion. In den raren Schriftzeugnissen der Geisteshelden glaubte er das Wesen und Wirken der Kreativität erahnen, den Götterfunken erhaschen zu können. Um 1933 verfügte Stefan Zweig über eine der weltweit bedeutendsten Kollektionen in Privathand, wenn nicht gar über die bedeutendste. Eine aberwitzige Pointe der Geschichte: Der ungläubige Wiener Jude Stefan Zweig, dessen Werke im Deutschen Reich nach 1933 verfemt wurden, war der Hüter nationaler Heiligtümer: Er hatte Hoffmann von Fallerslebens "Lied der Deutschen" und Joseph Haydns Melodie zur alten Kaiserhymne im Original erworben. Heimlich kaufte er auch das Manuskript einer Rede Hitlers, so als könnte er durch Betrachtung der Schriftzüge erkennen, was der gemeingefährliche Landsmann noch an Massenmörderischem im Schilde führe. War ihm bewusst, wie fatal ähnlich er auf Fotos dem "Führer" sah? [...]
Oliver Matuschek: Ich kenne den Zauber der Schrift. Inlibris, Wien 2005. 432 S., 68 Euro