Der letzte Freund

  • Neue Zürcher Zeitung
  • 5 March 2003

Unbekannte Briefe Kafkas angeboten

«Es ist ja alles nur verhältnismässig», schreibt Franz Kafka im November 1921 in einem Brief an Robert Klopstock, «was für eine schreckliche Krankheit wäre z. B. die Liebe, wenn sie nicht allgemein üblich wäre.» Die Leiden des Lebens und der Lunge teilt Franz Kafka in seinen letzten Jahren mit dem ungarischen Medizinstudenten, den er 1921 als ebenfalls Lungenkranken im Sanatorium Matliary in der Tatra kennen lernt. Am Ende eilt Robert Klopstock noch zum Totenbett des Dichters nach Kierling, dazwischen liegen kurze Jahre einer tiefen Freundschaft. Robert Klopstock emigriert 1938 nach Amerika, er wird anerkannter Spezialist für Lungentuberkulose. Als er 1972 stirbt, hinterlässt er eine Korrespondenz, in der sich Briefe von Thomas Mann, Franz Werfel, Albert Einstein und Salmann Schocken finden und jenes berührende Konvolut mit der Handschrift Franz Kafkas, das das Wiener Antiquariat Inlibris jetzt zum stolzen Preis von 1,2 Millionen Euro anbietet. Inlibris gibt auch ein aufwendig gestaltetes Katalogbuch heraus, das überdies die weitgehend unbekannte Biographie des «verrückten Dr. Klopstock», wie Max Brod ihn nannte, nachzeichnet.

Das angebotene Kafka-Konvolut besteht aus 38 Briefen, von denen 7 gänzlich unpubliziert sind, 14 weitere sind in der Edition Max Brods um wichtige Passagen gekürzt worden. An Kafkas Briefe aus dem letzten Stadium seiner Lungenkrankheit fügt Dora Diamant, die einzige Frau, mit der der Dichter je gewohnt hat, verzweifelte Aufrufe an: «Robert! Helfen was zu helfen ist. Die Medizin-Ärzte sind am Ende ihrer Macht. (. . .) Die Klinik in der Franz kommt, ist entsetzlich. Sie wird sein Ende beschleunigen.» Vom Sanatorium Wienerwald kommt Kafka kurz darauf in die Wiener Universitätsklinik, danach ins Sanatorium Dr. Hoffmann in Kierling. Kafka korrigiert die Druckfahnen seines letzten Buches, «Ein Hungerkünstler». Im April 1924 wiegt der Dichter nur noch «49 Kilogramm in Winterkleidern». Er stirbt am 3. Juni, Robert Klopstock sitzt an seinem Krankenbett. Er ist jener Freund, «in dessen Armen Kafka gestorben» ist, wie Klaus Mann in seinem Tagebuch notiert.

Paul Jandl

Kafkas letzter Freund. Der Nachlass Robert Klopstock (1899-1972). Mit kommentierter Erstveröffentlichung von 38 teilweise ungedruckten Briefen Franz Kafkas. Bearbeitet von Christopher Frey und Martin Peche, herausgegeben von Hugo Wetscherek. Inlibris, Wien 2003. 312 S., Euro 65.-.