"Die Klinik ist entsetzlich"

  • Der Standard
  • 2 March 2003
  • Thomas Trenkler

Das Wiener Antiquariat "Inlibris" veröffentlicht Briefe von Franz Kafka an Robert Klopstock, die gänzlich oder zum Teil unbekannt waren: Max Brod hatte sie nicht in seine Edition aufgenommen.

Wien - Er war Kafkas letzter Freund: 1921 hatte der Medizinstudent Robert Klopstock den an Tuberkulose erkrankten Schriftsteller im Sanatorium von Matliary kennen gelernt; und drei Jahre später war er derjenige, in "dessen Armen Franz Kafka gestorben" ist, wie es Klaus Mann formulierte. Über die Zeit dazwischen existieren 37 Briefe, die der Schriftsteller schrieb.

Sie fanden aber nur zum Teil Eingang in die Briefedition von Max Brod. Denn der eigenmächtige Nachlassverwalter nahm, wie so oft, mitunter erhebliche Kürzungen vor. Und sieben Schreiben Kafkas wurden überhaupt nicht aufgenommen. Doch finden sich gerade in diesen einige sehr berührende Passagen. In einem Brief vom November 1921 heißt es: "Es ist ja alles nur verhältnismässig; was für eine schreckliche Krankheit wäre z. B. die Liebe, wenn sie nicht allgemein üblich wäre."

Im Dezember 1921 notiert Kafka: "Mein Zustand ist schwankend, aber der Durchschnitt ist, was die Länge betrifft, nicht schlecht, zumindest verschlechtert er sich nicht. Nur gegenüber der anstürmenden Kraft Szinays (Arthur Szinay war Mitpatient in Matliary, Anm.) fühlte ich mich besonders elend."

Zwei Jahre später - Kafka war inzwischen übergegangen, seine Briefe nicht mehr mit "K", sondern mit "F" zu zeichnen - schreibt er: "Lieber Robert, Ihr Brief hat mich trotz mancher Traurigkeiten, die darin stehn, sehr gefreut, weil er mir Ihre Situation sehr begreiflich macht und mich an Ihrem Leben teilnehmen lässt. Ich kann die meinige nicht so begreiflich machen, konnte es niemals, bitte, nehmen Sie es mir nicht übel und hören Sie deshalb nicht auf, an meinem Leben teilzunehmen (...)."

Zu jener Zeit lebte Kafka mit Dora Diamant in Berlin, die er im Sommer 1923 an der Ostsee kennen gelernt hatte. Nach seinen eigenen Worten hätte durch sie sein "ganzes Dasein eine unvorhergesehene, neue, glückliche, positive Wendung genommen". Als Kafka kränker wird, begleitet ihn Dora im März 1924 zurück nach Prag und weiter bis ins Sanatorium Kierling bei Klosterneuburg.

Ab dem Jänner 1924 fügt sie den Briefen Zusätze an. Brod hat sie gestrichen. Dabei geben gerade sie einen Einblick. Im April schreibt Dora: "Die Medizin-Ärzte sind am Ende ihrer Macht. Absolut aufgegeben. (...) Bin allein in Wien, ganz auf mich angewiesen (Geld hab ich). Die Klinik in der (sic!) Franz kommt, ist entsetzlich. Sie wird sein Ende beschleunigen. Er liegt mit zwei schrecklich leidenden Menschen (Auch Kehlkopf mit Apparaten) in einer Zelle. Bette an Bett. Er kann nicht essen, nicht sprechen!"

Tage später schöpft sie kurz Hoffnung: "Wann ich ihn anschaue, in dies muntere lebhafte lachende Gesicht, glaube ich wieder an alles Gute. Diese von Leben und Lustigkeit strotzenden Augen können nur Schöpfen und leben verheissen." Kurz darauf trifft Robert Klopstock in Kierling ein. Kafka stirbt am 3. Juni.

Klopstock musste 1938 emigrieren. 1972 starb er als Spezialist für Lungentuberkulose in New York. Die Korrespondenz ging in den Besitz seiner Frau Giselle über. Nach deren Tod 1995 wurde der Nachlass von einer Privatperson erworben. Das Antiquariat Inlibris brachte das Konvolut nun nach Wien, veröffentlichte das Material als Buch und bietet die Dokumente um 1,2 Millionen Euro zum Kauf an.

Kafkas letzter Freund. Der Nachlass Robert Klopstock (1899-1972). Bearb. v. Christopher Frey u. Martin Peche, hrsg. v. Hugo Wetscherek. Wien, Inlibris 2003. 65 Euro.