Ein zweiter »Fall Gurlitt« bricht sich Bahn, überraschend ist das Iffland-Archiv auf dem Kunstmarkt wieder aufgetaucht, wieder sind Herkunft und Besitzverhältnisse unklar, und das einzig Gute an dem Fall ist - der Berliner Senat zählt es zum nationalen Kulturgut und klagt es ein. Das wird die Rechtsgelehrten beschäftigen, und es wird dauern, ehe die Akademie der Künste der Forderung von Bruno Ganz, dem gegenwärtigen Träger des »Iffland-Ringes«, nachkommen kann, das Konvolut aus rund 6000 Dokumenten zu veröffentlichen.
Aber was ist das überhaupt, der »Iffland-Ring«, das »Iffland-Archiv«, und wer war Iffland selbst? Es erreicht uns hier eine Flaschenpost aus Berlins klassischer Epoche. August Wilhelm Iffland (1759-1814) war der berühmteste Schauspieler und Charakterdarsteller seiner Zeit und zugleich Berlins erster großer Theaterdirektor; er leitete das Königliche Schauspielhaus von 1796 bis zu seinem Tode. Als junger Mann hatte er 1782 den Franz Moor in der spektakulären Uraufführung von Schillers »Räubern« in Mannheim gespielt, er blieb dem Dichter verbunden und wollte ihn 1804 als Künstlerischen Direktor an sein Theater holen. Ehe es dazu kam, starb Schiller. Schillers späte Dramen (ab dem »Wallenstein«) kamen kurz nach den Weimarer Premieren immer zuerst in Berlin heraus. Iffland brachte die Weimarer Klassiker, aber auch Shakespeare, Lessing u.a. in glanzvollen Inszenierungen auf seine Bühne. Berlin wurde dank Iffland die Wiege des klassischen deutschen Nationaltheaters.
Ifflands Nachlass ging in das Archiv des Schauspielhauses am Gendarmenmarkt ein und wurde später, von 1929 bis 1945, Teil des Berliner Theatermuseums. Dieses Archiv war einmalig in ganz Europa. Allein die Theaterbibliothek der Königlichen Theater (Opernhaus und Schauspielhaus) hatte 30 000 Bände, 5000 Stiche und Bilder und 100 Faszikel mit Manuskripten von Goethe, Schiller, Weber, Wagner, Meyerbeer u.a. enthalten, die 1929 in den Museumsbestand übergingen. Ein Teil der Goethe- und Schiller-Briefe befand sich im Iffland-Nachlass. Im Krieg wurden die unersetzbaren Museumsbestände ausgelagert und verstreut, danach galt das meiste als verloren.
Die Berliner Theaterwissenschaftlerin Ruth Freydank, langjährige Leiterin der Theater- und Literatur-Abteilung des Märkischen Museums, hat im Auftrage des Berliner Senats recherchiert und das verlorene Museum akribisch dokumentiert. Sie erwähnt auch die 29 Schiller-Briefe und Briefe von Goethe, Kleist, Tieck u.a., die 1910 in einem Reclam-Bändchen nachgedruckt wurden. Vielleicht fehlen sie deshalb in dem Konvolut, das jetzt auf einer Messe in Ludwigsburg zum Kauf angeboten wurde. Publiziert hat Freydank ihre Arbeit auf eigene Kosten, weil weder der Senat noch sonst eine Institution die Druckkosten übernahmen und sich auch kein renommierter Verlag fand. Der Titel der zweibändigen Dokumentation lautet »Der Fall Berliner Theatermuseum - Teil I: Geschichte - Bilder - Dokumente / Teil II: Relikte einer Berliner Theaterbibliothek - Dokumentation«. Das Titelblatt schmückt ein Porträt von August Wilhelm Iffland.
Dank Iffland wurde Berlin eine Weltstadt des Theaters. Auf dem Totenbett vererbte er seinen Ring an den jeweils größten Schauspieler der nächsten Generation, eine rührende Adaptation von Lessings Ring-Parabel. Der erste, der ihn trug, war Ludwig Devrient. Ihm folgten unter anderem Theodor Döring, Albert Bassermann, Werner Krauß und 1996 Bruno Ganz. Doch den Mimen verweigert die Nachwelt die Kränze. Berlin hat vielleicht das beste Theater Europas, aber anders als Moskau, Paris oder Wien kein Theatermuseum. Die Initiative TheaterMuseum Berlin e.V. steht einsam auf weiter Flur und scheint ins Leere zu arbeiten. Das muss sich ändern. Das wiedergefundene Iffland-Archiv braucht wie alles, das noch verstreut vorhanden ist und von Berlins einstiger künstlerischer Größe zeugt, endlich einen würdigen Raum.