Grimm, Wilhelm, Germanist (1786-1859). Eigenh. Brief mit U.

Kassel, 16. III. 1825.

1½ SS. auf Doppelblatt. 4to. Mit eh. Adresse (Faltbrief).

 6,500.00

An den Archäologen, Germanisten und Volkskundler Johann Gustav Gottlieb Büsching in Breslau über Abgüsse von Steinen auf Schloß Willingshausen: "Ew. Wohlgeboren geehrtes Schreiben vom 18t. Februar habe ich von Willingshausen richtig erhalten. Zwar hatte ich dem Hn. v. Schwertzell so genau als möglich beschrieben, wie er verfahren müßte, wenn er einen ordentlichen Abguß der Steine zu Stande bringen wollte, weil ich aber weiß, wie wenig man auf einem Landgute auf dergleichen eingerichtet ist, wo z. B. schwerlich feiner Gyps vorhanden s[ein] wird, so erbot ich mich gleich, so bald ich selbst wieder hinkäme, die Arbeit zu übernehmen. Sie können darauf rechnen, daß ich mein Versprechen halten werde, nur kann ich nicht versprechen: in kurzer Zeit. Willingshausen ist zu entfernt (14 Stunden von hier), als daß in einem oder zwei Tagen die Sache abzumachen wäre; ich pflege gewöhnlich im Spätsommer die Familie, mit der ich seit lange[m] freundschaftlich verbunden bin, auf einige Zeit zu besuchen, eher also dürften Sie eine Erfüllung Ihres Wunsches, insoweit sie von mir abhängt, nicht erwarten. Ich wiederhole nicht meine Ansicht über diese Zeichen, da ich mich schon in der Schrift über Runen darüber geäußert habe, die Sie ohne Mühe werden erhalten können. Hätte nicht Hr. Rommel vorher das Publicum darauf aufmerksam gemacht und nach meiner Meinung allzugroße Erwartungen erregt, so weiß ich noch nicht einmal, ob ich irgend etwas öffentlich davon gesagt hätte. Sie gedenken diese Steine im schlimmsten Fall als Warnungstafeln zu benutzen, aber es kommt mir vor, als würde es ebenso schwer fallen zu beweisen, daß der Augenschein trüge und diese Zeichen unbedeutend und zufällig seyen, als das Gegentheil. Man thut Recht die Sibirischen Zeichen genau abzubilden und bekannt zu machen, aber glauben Sie, daß man zu irgend einem Resultat gelangt, wenn man aus verschiedenen Welttheilen Zeichen, von denen man nur voraussetzt, daß es Buchstaben seyen, scharfsinnig vergleicht, ohne das geringste von der Sprache zu wißen, der sie angehören und mit dem innern Bewußtseyn, auch nicht ein Wort davon lesen zu können? […]".

"Wilhelm Grimms Abhandlung 'Über deutsche Runen' [aus dem Jahr 1821] stellt die erste deutsche Studie zur Runenkunde dar. Da der Gebrauch der Runenschrift im Zuge der Christianisierung in Mitteleuropa um 700 n. Chr. endete, war die wissenschaftliche Beschäftigung mit Runen eher in Skandinavien verbreitet. In Deutschland waren keine Runendenkmäler bekannt, bis ein Jugendfreund der Grimms auf seinem Gut vermeintliche Runensteine fand. Wilhelm allerdings hielt die Inschriften für 'zufälliges Gekritzel' und beschränkte sich in seiner Abhandlung auf schriftliche Quellen - ganz im Gegensatz zu seinem Kollegen Professor Dietrich Christoph Rommel, der die Fundstücke als wissenschaftliche Sensation einstufte. Tatsächlich stellte sich später heraus, dass es sich bei den Zeichen um Wurmspuren handelte" ("Runen", Deutsche Digitale Bibliothek, online).

J. G. Büsching, der von 1817 bis 1825 mit dem Aufbau der Altertümersammlung der Universität Breslau beschäftigt war, stand in lebhaftem Briefwechsel mit Antiquaren, Gelehrten und Sammlern, um an Abgüsse zu kommen.

Etwas fleckig und knittrig; ein Ausriss durch Öffnen der Verschlußmarke alt hinterlegt (unbedeutender Buchstabenverlust).