Lesen und lesen lassen

Heute abend beginnt im Ludwig Erhard Haus die Antiquariatsmesse Liber Berlin - nicht nur für Büchernarren

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Für die Liber Berlin, die vom 1. bis 3. November bereits zum dritten Mal im Ludwig Erhard Haus in der Fasanenstraße stattfindet, ist die Bezeichnung "Antiquariatsmesse" schon fast despektierlich. Aus neun Ländern reisen 116 Antiquare an, um auf 3000 Quadratmetern ihre Kostbarkeiten zur Schau zu stellen und natürlich feilzubieten. Mit dieser "Internationalen Verkaufsausstellung" hat sich Berlin auf dem europäischen Kunstbuchmarkt vor allem neben London und Paris sowie neben der Verbandsmesse in Stuttgart nachhaltig etabliert. Mehr als 7000 Besucher zählte die Messe im letzten Jahr. In diesen Tagen dürften es noch etwas mehr werden. Denn auch wenn die Lesekultur, wie Apokalyptiker regelmäßig verkünden, den Bach hinunter geht - es bleibt der Trost, dass ihre materiellen Sedimente umso eifriger gesammelt werden.

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Der ideale Besucher also wäre einer, der sich gleich einem Flaneur mit zerstreuter Aufmerksamkeit treiben und ablenken lässt. Er könnte nicht nur die Filetstücke goutieren, die wie erratische Blöcke in der Messelandschaft liegen, sondern auch die Kuriositäten am Rande. Denn natürlich wird das Konvolut der 104 Briefe ein Renner sein, das die Geschichte der Ausgrabungen von Pergamon und die Wiedererrichtung der Bauten in Berlin zwischen 1880 und 1912 spiegelt (Eberhard Köstler, Tutzing). Auch von der Plakatsammlung zur Pariser Commune (Bernhard Blanke, Berlin) oder den Briefen des Schriftstellers Frank Thiess über die NS- und Nachkriegszeit (Hugo Wetscherek, Wien) wird ausführlich gesprochen werden. Doch jenseits der historischen Haupt- und Staatsaktionen lauern Raritäten wie die erste Ausgabe des Rübezahlbuches von Johannes Praetorius aus dem Jahr 1662 (Winfried Geisenheyner, Münster). Darin wird ein "ausführlicher Bericht" gegeben von dem "wunderbarlichen sehr Alten, und weit beschrienen Gespenste Dem Rübezahl".

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Rezension: Bibliothek der Deutschen Sozialisten (Germanistik)

Rezension in: Germanistik. Internationales Referatenorgan mit bibliographischen Hinweisen. 42 (2001) 3/4. S. 373-373.
Rezensent: Claude D. Conter, Bamberg


Wie eine Arbeiterbibliothek vor dem Ersten Weltkrieg ausgesehen hat, ist in der Lese- und Arbeiterforschung bislang anhand von Bestandsaufnahmen und Verz. rekonstruiert worden. Nunmehr liegt eine Arbeiterbibliothek als physisch-materielles Ensemble vor. Zufällig ist 1970 ein während der Prohibitionszeit versteckter Raum mit einer aus der zweiten Hälfte des 19. Jh. gegründeten Arbeiterbibliothek entdeckt worden, deren kommentierte Katalogisierung jetzt zugänglich ist. Die Systematisierung der Bücher und Zeitschriften, der Aufbau des Bestandes und vor allem die auf Grund einmontierter Ausleihzettel in den Publika ermöglichte Auswertung der Lektüregwohnheiten gibt Aufschluß über die Lesevorlieben der deutschamerikanischen Arbeiter und über die bibliopädagogischen Bemühungen der Bibliothekare. M. Atze weist in seinem Essay darauf hin, daß die propagandistische sozialistische Bildungsparole "Wissen ist Macht, Macht ist Wissen" und das vor allem in der Literatur geprägte Bild des lesenden Arbeiters konfligiert mit den lesesoziologischen Bedingungen: Die schwindende Lesezeit bei einem mehr als Zehn-Stunden-Arbeitstag und das Bedürfnis nach einer eskapistischen, von den Strapazen erholenden Leseerfahrung sind nur zwei Kennzeichen der sozialistischen Arbeiterbibliothek in Amerika, deren Organisation und Benutzung auch plausible Erkenntnisse über die Arbeiterbibliotheken im Wilhelminischen Reich zulassen. - Auffallend sind beispielsweise das geringe Interesse an den zahlreich vorhandenen theoretisch-marxistischen, politischen und gesellschaftswissenschaftlichen Büchern zu Gunsten von belletristischer, publikumswirksamer Unterhaltungsliteratur: F. Reuter, H. Sudermann oder der Utopist E. Bellamy. Für die empirische Leser- und Arbeiterforschung ist der Katalog mit 100 Abb., 14 Artikeln aus der Wochenzeitung der Clevelander Sozialisten Das Echo und einem Interview mit dem deutschen Diplomaten P. Schoenwaldt, der die Bibliothek 1970 erworben hat, eine wichtige Materialsammlung, die zudem eine notwendige Ergänzung und Grundlage für die Lesersoziologie und die Bibliothekswissenschaften ist.

"Der Teufel hat ihn oft geritten"

Vor kurzem tauchte ein bisher unbekanntes Manuskript von Thomas Bernhard auf. Wie es 1957 zu der "Herrenhaus"-Bearbeitung kam, schildert der Regisseur Klaus Gmeiner im Gespräch mit Thomas Trenkler: Er studierte mit Bernhard - und erduldete dessen Grillen.

War es "die reine Flucht zum Menschen", wie Thomas Bernhard in einem Interview meinte, die ihn dazu trieb, am Mozarteum in Salzburg Schauspiel und Regie zu studieren? Am 10. Oktober 1955 jedenfalls, das Semester hatte bereits begonnen, wurde der noch unbekannte Autor zum Seminar zugelassen. "Er tauchte plötzlich auf. Und man wusste eigentlich nicht, was er wollte", erinnert sich Klaus Gmeiner. "Er saß anfangs nur herum und hat immer gestänkert."

Gmeiner, 1932 in Schwarzach bei Bregenz geboren, war ein Studienkollege von Bernhard - und während der zwei Jahre so etwas wie ein Freund. Mit der Abschlussprüfung am 18. Juni 1958 trennten sich die Wege: Gmeiner arbeitete als Dramaturg und Regisseur, von 1972 bis 1998 leitete er Literaturabteilung im ORF-Studio Salzburg. Wenn er von Thomas Bernhard erzählt, dann nicht, um sich selbst wichtig zu machen. Aber um ein wenig Licht in eine Zeit zu bringen, die der Schriftsteller zumeist verschwieg: "Er hat sie ausradiert", sagt Gmeiner.

Die Schauspielschule befand sich damals im Aufbau, die Leitung hätte daher wohl jeden aufgenommen, auch den Unbegabtesten: "Es war mehr oder weniger ein Familienbetrieb von Rudolf Leisner und seiner Frau, die Lehrpersonen waren ein besoffener Haufen. Gelernt habe ich dort nicht viel." In Bernhard aber sei die Lust am Schauspielen erwacht: "Er hätte ein fabelhafter Charakterdarsteller werden können. Er hatte eine eigene Diktion, eine Vis comica, etwas Skurriles. Ich hätte ihn mir sehr gut als Malvolio vorstellen können."

Das Mozarteum führte einen Theaterbetrieb in St. Peter. Aber im gesamten ersten Studienjahr durfte Thomas Bernhard nicht auftreten, was ihn erzürnt hätte: "In Thornton Wilders Unsere kleine Stadt wollte er unbedingt die Rolle des Spielleiters übernehmen. Er hat sie jedoch nicht bekommen. Und bei der Stellprobe waren plötzlich die Textbücher verschwunden. Ich hüte mich zu behaupten, dass der Thomas sie versteckt oder vernichtet hat. Aber sie tauchten nie mehr auf."

Bernhard hätte immer "fürchterlich intrigiert", wenn er nicht die gewünschte Rolle bekam. "Er wollte sogar, dass wir streiken, weil es Bevorzugte gab." Probleme hätte es auch bei Lessings Frühwerk Der junge Gelehrte im Februar 1957 gegeben: Thomas Bernhard schmiss als Chrysander eine Vorstellung, weil er im Text nicht weiterwusste. Oder einen völlig falschen aufsagte: "Der Teufel hat ihn oft geritten."

Wie es der Zufall wollte, wohnten die beiden Seminarteilnehmer im Johannes-Freumbichler-Weg, der nach dem Großvater von Thomas Bernhard benannt ist, was Gmeiner, wie er erzählt, damals nicht bekannt gewesen sei: "Er wusste von mir alles, von meinem Elternhaus, vom Tod meiner Mutter, ich hingegen wusste nichts von ihm. Er war neugierig, er saugte alles in sich auf, aber von sich selbst wollte er nichts preisgeben. Da war eine Wand." Bernhard hätte weder von seiner Krankheit geredet noch von den Gedichten, die er schrieb. Obwohl sie zusammen mit dem Bus ins Studio Walserfeld, wo der Unterricht stattfand, fuhren und fast jeden Tag miteinander verbrachten, zumeist mit dem Kollegen Ludwig Skumautz: "Die Damen fand der Thomas alle schrecklich."

Anfangs hätte Bernhard noch bei seinem Stiefvater Emil Fabjan gewohnt: "Er war nicht so arm, das ist eine Legende. Er war immer picobello angezogen. Und er hatte seinen Mittagstisch." Später sei er als Untermieter in das Haus gezogen, in dem Gmeiner wohnte: "Er kam oft am Abend mit dem Teehäferl rüber und brachte Manner Schnitten mit, die er über alles liebte, und dann haben wir Musik gehört und geredet. Er suchte die Nähe - wie immer Sie das verstehen wollen." (Im Gespräch mit Kurt Hofmann sagte Bernhard einmal: "Im Grund' bin ich ja nur ins Mozarteum gegangen, damit ich mich nicht isolier' und nicht vollkommen vor die Hund' geh, sondern einfach gezwungen war, mit gleichaltrige Leut' zusammenzusein.")

Gmeiner hingegen sei auf Distanz gegangen, auch aufgrund der Verletzungen, die ihm Bernhard mit seinem Zynismus zugefügt habe: "Ich kam aus einem Dorf in Vorarlberg, Salzburg war für mich eine Großstadt, und ich war sehr ehrfurchtsvoll vor den Professoren. Wenn ich zum Beispiel sagte, ich fände die Sprechlehrerin gut, sagte er: ,Du Kind vom Land, die kann das ja gar nicht!' Das hat mich dann natürlich befremdet." Oder wenn sie Schubert und Mozart hörten: "Mir Landjunker ging eine Welt auf, es war mir wurscht, ob die Philharmoniker spielten oder jemand anderer, aber der Thomas sagte: ,Das ist doch grauslich, wie die kratzen, dass musst du doch hören!' Ich habe dann darüber nachgedacht, aber es hat mich auch verstört, weil er alles schlecht machte. Er war zwar sehr empfänglich für Schmeicheleien - aber sehr hart im Austeilen."

Im Frühjahr 1957 war die Zeit für die Abschlussarbeiten gekommen. Anfangs hätte Bernhard ein Regiebuch zu Woyzeck erarbeiten wollen, doch mit dem Büchner-Drama beschäftigte sich bereits Gmeiner. Und so nahm sich Bernhard das Herrenhaus von Thomas Wolfe vor, das er in Hamburg gesehen hatte. Bernhard sei von dem Stück begeistert, aber von der Inszenierung Gustaf Gründgens' entsetzt gewesen: "Er rannte nur noch mit dem Herrenhaus herum. Am Mozartplatz gab es ein Geschäft mit angeschlossener Buchbinderei, da haben wir beide unsere Bücher durchschießen lassen." Während Bernhard die Bühnenskizzen selbst zeichnete, bat Gmeiner den Bruder von Udo Proksch, Roderich, einen Architekten, diese für ihn anzufertigen. Bernhard hätte ihn daher "einen Streber" geschimpft und gemeint, es käme auf den Inhalt an: "Und der ist bei mir besser!" (Gmeiners fein säuberliches Regiebuch mag vielleicht der Grund dafür sein, dass Bernhard im Vorwort bittet, "die scheußliche Form" zu entschuldigen, "doch bin ich außerstande, zu denken und schön zu schreiben".)

Eigentlich hätte jeder drei Regiebücher abgeben sollen. "Aber der Thomas sagte, ,ich bin ja nicht blöd, ich mach nur eins', und auch ich habe dann nur eines gemacht - weil mir einfach die Zeit fehlte. Die Abschlussprüfung war an einem Vormittag. Da haben wir, das könnte ich eidesstattlich erklären, Herrn Leisner diese Bücher übergeben."

Die Studienkollegen verloren sich danach aus den Augen: Thomas Bernhard zog zum Komponisten Gerhard Lampersberg auf den Tonhof in Maria Saal, Gmeiner nahm ein Engagement als Dramaturg und Regisseur am Salzburger Landestheater an. Später produzierte er einige Hörspiele nach Bernhard-Stücken. Und gestaltete eine Du Holde Kunst-Sendung mit den Gedichten des Studienfreundes: "Jetzt weiß ich, dass ich ein Dichter bin", schrieb ihm Bernhard nach der Ausstrahlung.

Hin und wieder begegnete man sich zufällig, zum Beispiel am Graben in Wien. Und Thomas Bernhard hätte ihm immer jenen Reim zugerufen, mit dem er sich im Advent 1956 als Zauberer in einem Weihnachtsmärchen, das Gmeiner geschrieben hatte, dem Publikum vorstellte: "Hock butzli batzli brati, ich bin der Zauberer Kemi trati."

Diskussion um Bernhards "Herrenhaus"

"Längst bekannt" - oder doch nicht?
Salzburg
- Peter Fabjan, Stiefbruder von Thomas Bernhard, konterte auf den STANDARD-Bericht über ein unveröffentlichtes Manuskript des Autors, dass dieses längst bekannt sei. Tatsächlich: Das Regiebuch zu Thomas Wolfes Herrenhaus wurde vom Salzburger Antiquar Christian Weinek 1999 kurz zum Kauf angeboten. Es gab damals eine Meldung in der Salzkammergut Zeitung, die falsch war: Karl Ignaz Hennetmair gab zu Protokoll, "ein 500 Seiten starkes, unveröffentlichtes Bernhard-Manuskript in seinen Händen gehalten" zu haben. Es besteht aber "nur" aus 68 Manuskriptseiten.

Über den Inhalt war bis zum Bericht im STANDARD nichts bekannt. Der Salzburger Germanist Adolf Haslinger gibt denn auch zu: "Niemand von uns kennt das Manuskript." Man könne daher auch nicht über den Text befinden. Fabjan hofft nun auf eine Kopie des Werkes für das Bernhard-Archiv: Die öffentliche Hand sei nicht in der Lage, den Schätzpreis (5,8 Mio. Schilling) zu bezahlen.

Kultur Aktuell: Ein unbekanntes Manuskript

EIN UNBEKANNTES MANUSKRIPT des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard ist in Österreich aufgetaucht. Die Handschrift von 1957 ist eine Bearbeitung von Wolfes Drama »Herrenhaus«. Bernhard selbst hat auf dieses Manuskript hingewiesen, das weder zu Lebzeiten noch im Nachlass aufgetaucht war.

Auf die Schlachtbank

Das neue Thomas-Bernhard-Archiv in Gmunden und die geplante wissenschaftlich-kritische Werkausgabe

Gmunden - Die Landschaft, in die das Werk Thomas Bernhards jetzt zurückgekehrt ist, hat etwas Tückisches. Bis lange nach Mittag hängen dieser Tage die frostigen Herbstnebel über dem oberösterreichischen Salzkammergut, dann erst lichtet sich der Schleier, und milchig bricht in Bernhards Reich die Sonne durch. Wärmer wird es aber auch dann nicht. Künftige Forscher, die im neu installierten Thomas-Bernhard-Archiv in Gmunden über ihre Sicht auf den Großmeister der Pathologisierung der österreichischen Provinz arbeiten, werden sich warm anziehen müssen. Schließlich befinden sie sich in einer - glaubt man Bernhard - durch und durch verkommenen Gegend.

Dabei schaut alles so malerisch aus: Die sorgsam restaurierte Villa Stonborough-Wittgenstein, in der die Nachlässe des Dichters und seines Großvaters, Johannes Freumbichlers, aufbewahrt und erforscht werden, liegt auf einer Halbinsel am Rande eines leicht abfallenden Parks am Traunsee - flankiert von der "Großen Villa Toskana" und dem "Seehotel", dem Seeschloss Orth, Schauplatz der triefenden Fernsehserie. In dieser Gegend hat Bernhard in seinem geliebten Obernathaler Vierkanthof gelebt; in seiner Wohnung in Gmunden ist er vor 12 Jahren gestorben. Hier also, weitab größerer Zentren, wird sein Werk in Zukunft für Wissenschafter im Forschungszentrum der "Kleinen Villa Toskana" zugänglich sein.

"Die Schönheit der Landschaft soll uns jedoch nicht blenden", greift Peter Fabjan, Halbbruder und Erbe Thomas Bernhards, jeder Verklärung vor. Er, der langjährige Gmundner Arzt, ist sich der Bedrohungen bewusst, denen Werk und Autor seit Bernhards Tod 1989 ausgesetzt sind. Es gilt, der österreichischen Eingemeindung und der Musealisierung des widerständigen Dichters zu widerstehen - es gilt, das Werk am Leben zu halten. Damit reibt man sich aber unweigerlich am Letzten Willen des Schriftstellers. Bekanntlich hatte Bernhard testamentarisch ein Aufführungsverbot seiner Stücke verfügt - und erklärt, dass aus seinem Nachlass "kein Wort" veröffentlicht werden darf. Eine Tatsache, die das Werk allerdings einer schleichenden unkontrollierbaren Indienstnahme anheim stellt. Also entschied sich Fabjan vor drei Jahren, eine Thomas Bernhard Privatstiftung einzurichten. Seitdem sind vitalisierende Aktivitäten rund um Bernhards Hinterlassenschaften möglich.

"Ob der Dichter das Archiv gewollt hätte", sagt Fabjan jetzt, drei Jahre später, und denkt dabei wohl auch an die großzügige Unterstützung der Oberösterreichischen Landesregierung bei der Errichtung, "weiß ich nicht." Schließlich dient das Archiv letzten Endes natürlich auch dazu, Thomas Bernhards letzten Willen zu umgehen. Nur durch die Aufarbeitung des Nachlasses, wie sie seit einiger Zeit durch Archivleiter Martin Huber im Gange ist, wird die Sicherung und Korrektur der Texte möglich - und kann eine Leseausgabe der Werke Bernhards (gewissermaßen als eine frühe Vorstufe für eine angedachte Historisch-Kritische Ausgabe) in Angriff genommen werden. Anlässlich der Eröffnung des Archivs wurde die Planung der Werkausgabe durch den Suhrkamp Verlag jetzt präzisiert.

Auf 22 Bände angelegt, werden die ersten drei von den Erkenntnissen des Nachlasses gespeisten Bände (Frost, Kurzprosa und Dramen I) bereits im Herbst nächsten Jahres erscheinen. Herausgegeben wird die Ausgabe, in der Eingriffe in den Text vermerkt, Varianten benannt sowie Entstehung und Wirkungsgeschichte der Werke erläutert werden, vom Wiener Germanisten Wendelin Schmidt-Dengler und Martin Huber.

Natürlich sollen in die Ausgabe ausschließlich Texte aufgenommen werden, die zu Lebzeiten des Schriftstellers publiziert wurden. Nicht die unveröffentlichten Prosatexte und Gedichte des frühen Bernhard etwa, nicht der aus dem Jahre 1960 stammende Roman Schwarzach St. Veit. Damit bewegt man sich zwar auf einem vom Dichter nicht gesicherten Terrain - "kein Wort" dürfe aus dem Nachlass veröffentlicht werden, hieß es im Testament -, einsichtig ist aber das von Fabjan und den zuständigen Wissenschaftern vorgebrachte Gegenargument: Mit der (finanziell wohl nicht unlukrativen) Ausgabe gehe es darum, Klarheit im Dichterreich zu schaffen. Schmidt-Dengler: "Gerüchte über das Werk tragen nur zu einer weiteren Mystifikation Bernhards bei." Und diese sollte man wohl auch im Sinne Bernhards vermeiden.

Die "Bernhard Ereigniskultur" - es war nicht erst anlässlich des 70. Geburtstages des Schriftstellers im Februar dieses Jahres zu beobachten - steht nämlich in voller Blüte. Gerade erregt etwa ein frühes Regiebuch des "Alpenkönigs und Menschenfeinds", das "unter dubiosen Umständen in ein Antiquariat gelangte, das noch dubiosere Preise verlangt", so der Suhrkamp-Lektor Raimund Fellinger, die Gemüter der Bernhard-Gemeinde. Wohl nur durch die unaufgeregte, sorgsam wissenschaftliche Aufarbeitung von Bernhards Werk kann der postumen Ausschlachtung des Dichters ein Riegel vorgeschoben werden - und der breiten Rezeption des Dichters, der mittlerweile in 25 Sprachen übersetzt ist, das nötige Fundament geboten werden.

Bernhards Werk in 22 Bänden

In Gmunden wurde am Samstag das Thomas-Bernhard-Archiv eröffnet. Es beheimatet den literarischen Nachlass des 1989 verstorbenen Schriftstellers.

LINZ (APA). Der Frankfurter Suhrkamp Verlag will das Werk Bernhards neu veröffentlichen. Die gebundene Ausgabe ist auf 22 Bände angelegt. Eine Absage erteilt Peter Fabjan, Halbbruder und Bernhard-Nachlassverwalter der Ankündigung des neuen Salzburger Festspielintendanten Peter Ruzicka, er wolle das jüngst aufgetauchte Bernhard-Manuskript uraufführen. Fabjan im Magazin "Format": "Daraus wird nichts".

Kein Bernhard bei Salzburger Festspielen

Peter Fabjan Halbbruder und Nachlassverwalter von Thomas Bernhard, erteilt im Format Plänen eine Absage, ein jüngst aufgetauchtes Bernhard-Manuskript bei den Salzburger Festspielen uraufzuführen. Salzburgs Intendant Peter Ruzicka hatte im KURIER-Interview derartige Überlegungen geäußert. Fabjan will sich an das Verbot seines Bruders halten, seine zu Lebzeiten unveröffentlichten Werke zu inszenieren.

Das Theater um Bernhard

Alter Meister

Zeitgenau mit der Eröffnung des neuen Thomas-Bernhard-Archivs sorgt ein plötzlich aufgetauchtes Bernhard-Manuskript für Erregung. Salzburgs neuer Festspiel-Chef Peter Ruzicka will es uraufführen - Bernhard-Erbe Peter Fabjan erteilt ihm aber eine Abfuhr. 

Wenn Thomas Bernhard wüßte, welches Theater um ein 44 Jahre altes Manuskript aus seiner Hand gemacht wird, wäre er "sehr amüsiert", davon ist sein Nachlaßverwalter und Halbbruder Peter Fabjan überzeugt. Die Farce, die seit dem überraschenden Auftauchen der 68seitigen handschriftlichen Bearbeitung eines Theaterstücks gegeben wird, könnte jedoch demnächst zum Kriminalfall werden. Wie dieser Text in den Handel gelangte, ist nämlich unklar und durchaus aufklärungsbedürftig.

Fest steht nur, daß die Antiquariate Inlibris (Wien) und Friebes (Graz) dieses Fundstück zum Verkauf feilbieten, zum wahrlich stolzen Preis von 5,8 Millionen Schilling. Inlibris-Chef Hugo Wetscherek über die Herkunft der Regieanweisungen, die Bernhard 1957 in eine Ausgabe von Thomas Wolfes Südstaatendrama "Herrenhaus" einbinden ließ: "Wir haben es für eine siebenstellige Summe von einem Salzburger Händler erworben, der sich mit dem zu erwartenden Rummel um diesen sensationellen Fund nicht belasten wollte. Woher er den Text hat, weiß ich nicht." Er gehe jedoch davon aus, daß alles mit rechten Dingen zugegangen sei.

ENTWENDET? Genau das bezweifelt allerdings Peter Fabjan, dem "ein Informant meines Vertrauens" verraten habe, daß der Text aus der Bibliothek des Salzburger Mozarteums bereits vor Jahren entwendet worden sei. Was Mozarteum-Bibliotheksdirektor Werner Rainer dementiert: Das Manuskript sei nie in seinem Haus gewesen.

Der Salzburger Antiquar Christian Weinek, der das Buch weiterreichte, weigert sich vorerst, seine Quelle preiszugeben. Peter Fabjan hat deshalb einen Anwalt beauftragt, die rechtliche Lage zu prüfen. Der Ärger wurmt ihn umso mehr, als dieser Tage alle Weichen auf Bernhard-Festspiele gestellt wurden. Am Wochenende wurde das neue Thomas-Bernhard-Archiv in der Gmundner Villa Stonborough-Wittgenstein festlich eröffnet, in dem der umfangreiche Nachlaß des vor 12 Jahren verstorbenen Autors verwaltet und wissenschaftlich aufgearbeitet werden kann. "Das Haus ist ein Traum. Man kann nachvollziehen, wie Thomas Bernhard gearbeitet hat, ihm buchstäblich über die Schulter schauen", freut sich Fabjan.

NEUE GESAMTAUSGABE. In diesen Genuß kommen freilich nur Wissenschaftler. Das Archiv ist - anders als das Museum in Bernhards Vierkanthof im benachbarten Ohlsdorf, Obernathal 2 - keine allgemein zugängliche Bernhard-Pilgerstätte. Die im Archiv deponierten Manuskripte bilden die Grundlage eines Mammutbuchprojekts: Im Herbst 2002 erscheinen bei Suhrkamp die ersten drei einer auf 22 Bände angelegten Bernhard-Gesamtausgabe. Jeder Band enthält im Anhang die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der einzelnen Werke. Die Reihe beginnt mit einer überarbeiteten Ausgabe von "Frost", Bernhards erster Romanveröffentlichung, und endet voraussichtlich 2007 mit "Der öffentliche Bernhard: frühe journalistische Arbeiten und Reden, Interviews, Leserbriefe". Bernhard-Spezialisten aus Österreich, Deutschland und Frankreich sind in das Projekt eingebunden, Gesamtherausgeber sind der Direktor des Instituts für Germanistik, Wendelin Schmidt-Dengler, und Martin Huber, Leiter des Archivs in Gmunden.

PREISTREIBEREI. Daß im Vorfeld der Archiveröffnung plötzlich ein angeblich bisher unbekannter Bernhard-Text auftaucht und mit medialer Hilfe ("Der Standard" schrieb von einer "Sensation") in den Vordergrund rückt, ist für Peter Fabjan "kein Zufall" Man nutze die geschärfte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für eine "skandalöse Preistreiberei". Denn der Text sei weder unbekannt - "wir wissen seit September 1999 von seiner Existenz" - noch sensationell: "Derartiges gibt es im unveröffentlichten Nachlaß en masse. Es ist ein schönes Detail, mehr nicht." Auch Schmidt-Dengler schließt sich diesem Urteil an: "Das Aufsehen darum ist größer als der Wert."

Trotzdem bedauern sie, daß der Text nun dem wissenschaftlichen Zugriff entzogen sein könnte. Der Ankauf durch die Bernhard-Stiftung, wie sie Inlibris vorschlägt, sei nicht finanzierbar. "Die Bernhard-Stiftung hat keinen Schilling übrig, schon gar nicht eine derartige Summe", erklärt Fabjan. "Wir hoffen inständig, daß uns der Käufer wenigstens eine Kopie davon fürs Archiv überläßt." Eine Absage versetzt er auch der vollmundigen Ankündigung des neuen Salzburger Festspielintendanten Peter Ruzicka in einem "Kurier"-Interview, er plane gemeinsam mit Schauspielchef Jürgen Flimm das von Bernhard bearbeitete Stück uraufzuführen. "Daraus wird nichts. Bernhard hat bekanntlich testamentarisch verboten, daß seine zu Lebzeiten unveröffentlichten Werke inszeniert werden, und daran halte ich mich", so Fabjan apodiktisch.

Zumal es keinen Grund gebe, Frühwerke auf die Bühne zu bringen, solange Bernhards große Klassiker in Österreich "so schändlich selten" gespielt würden, wie Hermann Beil, Kodirektor am Berliner Ensemble, sekundiert. Beil, der mit Claus Peymann am Burgtheater dreizehn Bernhard-Uraufführungen gestemmt hat, bedauert, daß der Sprachgigant im Ausland mehr Beachtung findet als in seiner Heimat. "In 17 Ländern wird Bernhard in über hundert Inszenierungen gespielt, nur in Österreich so gut wie nie, obwohl das nach dem Ende des Aufführungsverbots wieder möglich wäre." Hoffnung setzt er in Langhoffs kommende "Elisabeth II"-Inszenierung an der Burg, mit der "die Neugierde auf Bernhard wieder erwachen" könnte.

Danach, so schlägt er nicht ganz uneigennützig vor, sollten die Wiener Festwochen die Berliner Inszenierung von "Der Ignorant und der Wahnsinnige" einladen, eine "fabelhafte Aufführung mit Maria Happl und Traugott Buhre, die ein Riesenerfolg war". Das Stück ist noch nie in Wien gezeigt worden, obwohl es "perfekt" hierherpasse, so Beil: "Es spielt ja in der Oper und den 'Drei Husaren'."

Die überragende Bedeutung Bernhards zeige sich schließlich auch daran, daß "seine Stücke die Wirklichkeit anziehen wie ein Schwamm das Wasser. Zu jeder Zeit findet man seine Befindlichkeit und die aktuelle politische Lage darin widergespiegelt", plädiert Beil an seine österreichischen Kollegen, sich wieder stärker auf Bernhard zu besinnen.

UNTERSCHÄTZTER HUMOR. Diesem Appell schließt sich auch Martin Huber an, der Leiter des Archivs. Es gebe genug Stücke zu entdecken, die bei uns selten oder nie aufgeführt wurden, wie etwa "Die Macht der Gewohnheit". Zwölf Jahre nach seinem Tod, da die Skandalisierung seines Werks (Stichwort: "Heldenplatz") vergessen sei, halten Huber, Beil und Schmidt-Dengler unisono die Zeit auch für reif, endlich die meistunterschätzte Eigenschaft Bernhards zu entdecken: seinen Humor. "Ich halte ihn für unerhört witzig und einen großen komischen Autor", sagt Schmidt-Dengler. "Leider erkennen die meisten Leute das nicht." Was vielleicht auch daran liegt, daß Komödie und Tragödie bei Bernhard ineinander verschwimmen. Hermann Beil, pointiert: "In einer Sekunde lachen, in der nächsten zutiefst erschrocken sein - das ist Bernhard."

Nachleben, Nachbeben

In Gmunden wurde am Wochenende das Thomas-Bernhard-Archiv eröffnet. Der literarische Nachlass des Schriftstellers ist dadurch erstmals einer wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich. Zugleich kündigte der Suhrkamp Verlag eine Bernhard-Leseausgabe an.

Gmunden - Die Landschaft, in die das Werk Thomas Bernhards jetzt zurückgekehrt ist, hat etwas Tückisches. Bis lange nach Mittag hängen dieser Tage die frostigen Herbstnebel über dem Salzkammergut, dann erst lichtet sich der Schleier, und milchig bricht in Bernhards Reich die Sonne durch. Wärmer wird es aber auch dann nicht. Künftige Forscher, die im neu installierten Thomas-Bernhard-Archiv in Gmunden über ihre Sicht auf den Großmeister der Pathologisierung der österreichischen Provinz arbeiten, werden sich warm anziehen müssen. Schließlich befinden sie sich in einer - glaubt man Bernhard - durch und durch verkommenen Gegend.

Dabei schaut alles so malerisch aus: Die sorgsam restaurierte Villa Stonborough-Wittgenstein, in der des Dichters und Johannes Freumbichlers, des Großvaters, Nachlässe aufbewahrt und erforscht werden, liegt auf einer Halbinsel am Rande eines leicht abfallenden Parks am Traunsee - flankiert von der "Großen Villa Toskana" und dem "Seehotel", dem Seeschloß Orth. Aus dem Fenster des zweistöckigen Gebäudes, in dessen ehemaligem Wagenhaus zudem ein Veranstaltungsbereich und eine Atelierwohnung für zeitgenössische Künstler eingerichtet wurden, gleitet der Blick auf imposante Bergeshöhen. Wenn nicht gerade Nebel herrscht.

Jedoch: "Die Schönheit der Landschaft soll uns nicht blenden", greift Peter Fabjan, Bruder und Erbe, jeder Verklärung vor. Er, der Gmundner Arzt, weiß um die Bedrohungen, denen seit Bernhards Tod 1989 Werk und Autor ausgesetzt sind. Bekanntlich hatte Bernhard, der "Alpenkönig und Menschenfeind", testamentarisch verfügt, dass nach seinem Tod aus dem Nachlass "kein Wort" mehr veröffentlicht werden darf. Erst nach der Entscheidung Fabjans, die Thomas Bernhard Privatstiftung (1998) einzurichten, wurden Aktivitäten rund um Bernhards Hinterlassenschaften auf breiterer Ebene möglich.

"Ob der Dichter das Archiv gewollt hätte", sagt Fabjan und denkt dabei wohl auch an die großzügige Unterstützung der Oberösterreichischen Landesregierung bei der Errichtung, "weiß ich nicht." Schließlich dient das Archiv auch dazu - man kann es drehen und wenden, wie man will -, Bernhards letzten Willen zu desavouieren.

Nur durch die Aufarbeitung des Nachlasses, wie sie seit einiger Zeit durch Archivleiter Martin Huber im Gange ist, wurde etwa die Leseausgabe der Werke Bernhards möglich, die anlässlich der Eröffnung des Archivs vom Suhrkamp Verlag angekündigt wurde. Auf 22 Bände angelegt, werden die ersten drei Bände (Frost, Kurzprosa und Dramen I) bereits im Herbst des nächsten Jahres erscheinen. Herausgegeben wird die Ausgabe, in der Eingriffe in den Text vermerkt sowie Entstehung und Wirkungsgeschichte der Werke erläutert werden, vom Wiener Germanisten Wendelin Schmidt-Dengler und Martin Huber.

In die Ausgabe aufgenommen werden ausschließlich Texte, die zu Lebzeiten des Schriftstellers publiziert wurden. Nicht die Prosatexte und Gedichte des frühen Bernhard etwa, die teils bereits in einer Ausstellung in diesem Frühjahr präsentiert wurden, nicht der aus dem Jahre 1960 stammende Roman Schwarzach St. Veit. Mit der (finanziell wohl nicht unlukrativen) Ausgabe gehe es darum, Klarheit im Dichterreich zu schaffen. Schmidt-Dengler: "Gerüchte über das Werk tragen nur zu einer weiteren Mystifikation Bernhards bei."

Die Bernhard-Ereigniskultur - sie war nicht erst anlässlich des 70. Geburtstages des Schriftstellers im Februar dieses Jahres zu beobachten - steht in voller Blüte. Gerade erregt ein frühes Regiebuch Bernhards, das "unter dubiosen Umständen in ein Antiquariat gelangte, das noch dubiosere Preise verlangt" (Suhrkamp-Lektor Raimund Fellinger) die Gemüter der Gemeinde. Solcherlei Entwicklungen entgegenzusteuern ermöglicht wohl nur eine sorgsame wissenschaftliche Aufarbeitung des Werks. Für das Fundament wurde nun mit der Errichtung des Gmundner Archivs gesorgt.

Absage an Ruzicka-Pläne

Eine Absage erteilt laut einem "Format"-Bericht Peter Fabjan, Nachlassverwalter von Thomas Bernhard, der Ankündigung des Salzburger Festspielintendanten Peter Ruzicka, er wolle das jüngst aufgetauchte Bernhard-Manuskript (wir berichteten) uraufführen. Fabjan verweist demzufolge auf das testamentarische Verbot seines Halbbruders, dass seine zu Lebzeiten unveröffentlichten Werke inszeniert werden.

Archiv mit Atelier

(sda) Im oberösterreichischen Gmunden wird am Wochenende das Thomas-Bernhard-Archiv eröffnet. Der literarische Nachlass soll dort für Forschungszwecke zugänglich gemacht werden. Die Villa verfügt auch über eine Atelierwohnung für Studienaufenthalte.

In Salzburg ist ein unveröffentlichtes Manuskript von Thomas Bernhard aufgetaucht. Dabei handelt es sich um eine Bearbeitung von Thomas Wolfes Drama «Herrenhaus», deren Handlung in die Zeit des Koreakriegs verlegt ist.

Ein Haus zum Abregen

Am Wochenende findet die offizielle Eröffnung des Thomas-Bernhard-Archivs in der Gmundner "Villa Toscana", einem Haus mit Geschichte, statt. Das Anwesen gehört dem Land Oberösterreich, das die Villa restaurieren und adaptieren ließ. Die neue Einrichtung solle zur Ent-Emotionalisierung der Erregungen und wieder zur Beschäftigung mit den Texten Bernhards beitragen, sagt Germanist Wendelin Schmidt-Dengler im Gespräch mit ON Kultur. Für neue Erregungen sorgt jedenfalls ein kürzlich aufgetauchtes Bernhard-Manuskript aus Jugendtagen.

(K)eine späte Sensation?

Für Peter Fabjan ist das kürzlich aufgetauchte Bernhard-Manuskript keine Sensation: "Das war den unmittelbar Betroffenen, also mir und der Thomas-Bernhard-Privatstiftung, schon seit Jahren bekannt."

Ein bisher unbekanntes Manuskript des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard (1931-1989) ist in Österreich aufgetaucht. Die Handschrift von 1957 ist eine Bearbeitung von Thomas Wolfes Drama "Herrenhaus", wie die Wiener Tageszeitung "Der Standard" am Montag berichtete.

Der 26-jährige Schriftsteller hatte sich damals leere Seiten in eine Rowohlt-Ausgabe des Stückes binden lassen und darauf eine Neufassung mit umfangreichen Anmerkungen und Skizzen geschrieben.

Bernhard-Hinweise

Bernhard selbst hat des öfteren auf dieses Manuskript hingewiesen, das jedoch weder zu Lebzeiten noch im Nachlass aufgetaucht war. Noch 1996 hatten Forscher vermutet, es handle sich um eine Erfindung des Autors. Zwei Antiquare aus Wien und Graz haben den Band nach eigenen Angaben vor einem halben Jahr aus dem Besitz eines Salzburger Buchhändlers erworben und sind nach eingehender Prüfung durch Gutachter an die Öffentlichkeit gegangen.

"Authentizität sichergestellt"

"Wir wollten warten, bis die Authentizität zu hundert Prozent sichergestellt ist", sagte Mitbesitzer Hugo Wetscherek vom Wiener Antiquariat "Inlibris", am Montag der dpa. Er gibt den Wert des Manuskripts mit rund 5,8 Millionen Schilling (420.000 Euro) an. Auch eine Uraufführung der Wolfe-Nachdichtung als originäres Bernhard-Stück wäre möglich, wenn sie den genauen Anweisungen und Skizzen folge. Dem müsse aber die Bernhard-Stiftung zustimmen.

Keine Zustimmung für Aufführung

Einer etwaigen Aufführung der Bernhard'schen Version des Stücks könne und werde die Stiftung "nicht zustimmen", hat Peter Fabjan, Bernhards Halbbruder und Mitverwalter des Nachlasses, bereits klargestellt. Fabjan bezieht sich dabei auf den Passus in Bernhards Testament, wonach "alles bisher Unveröffentlichte nicht veröffentlicht werden darf."

Aus Mozarteum-Archiv gestohlen?

Laut Fabjan wurde das Manuskript aus dem Archiv des Salzburger Mozarteums gestohlen. Dies sei ihm vor drei Jahren mitgeteilt worden. Er würde zwar gerne das Original für die Bernhard-Stiftung kaufen, habe aber nicht die Mittel dafür, so der Halbbruder weiter.

"Nie im Mozarteum-Archiv"

Mozarteum-Bibliotheksdirektor Werner Rainer meinte dagegen auf Nachfrage der APA, dass das "Manuskript niemals im Mozarteum-Archiv" gewesen sei. "Daran ist kein Wort wahr". Wenn Fabjan das behaupte, dann "liegt das vielleicht in der Familie. Da wurde ja fest gedichtet", so Rainer. Er würde sich freuen, "wenn wir so etwas gehabt hätten". Rainer hält es jedoch für möglich, dass das Manuskript aus dem Nachlass von Bernhards Mozarteum-Lehrer Rudolf E. Leisner stammt. "Da könnte es vermutlich irgendein Manuskript gegeben haben. Aber da hat es sich ein anderer rausgeklaubt."

Unruhe und überhöhte Bewertung

"Wir waren über dieses Manuskript bereits vor zwei Jahren informiert. Nun herrscht natürlich Unruhe, weil keiner der Akteure sagt, woher das Manuskript stammt. Bestenfalls ist es eine Schenkung", sagt Schmidt-Dengler im Gespräch mit ON Kultur.

Erstaunt zeigt sich der Germanist über die hohe Bewertung: "Es zählt nicht zu Bernhards bedeutenden Werken. Meiner Meinung nach liegt der Wert bei etwa einem Zehntel der genannten 5,8 Millionen Schilling (Euro 421.502,44). Der Markt reagiert überhitzt. Ich bin der Meinung, dass man den Antiquariatshandel bei solchen Vorgangsweisen keinesfalls unterstützen soll. Das ist nicht seriös und sollte nicht Schule machen."

Versuch zur Klärung

Fabjan und die Bernhard-Privatstiftung hätten "schon vor Jahren versucht", den rechtlichen Anspruch an dem Manuskript zu klären. Jedoch seien die Bemühungen, "diesen weiteren Weg in den Handel zu verhindern", vergeblich gewesen. Vor "ein paar Jahren" sei Fabjan und der Bernhard-Stiftung "zu unserer Verblüffung mitgeteilt worden, dass das Manuskript ursprünglich im Archiv des Salzburger Mozarteums verwahrt und von dort entwendet" worden sei, so Fabjan.

Gescheiterter Versuch

Fabjan und die Stiftung hätten "unmittelbar nach dem Geschehen" versucht, das Manuskript zurückzubekommen, bevor es in den Handel gebracht wurde. Das sei jedoch "abgeblockt oder nicht in unserem Sinne verfolgt" worden, sagt Fabjan. "Man machte uns die traurige Mitteilung, dass, wenn das einmal im Autographenhandel ist, die Chancen, es jemals zu bekommen, gleich null" sind.

"Republik soll helfen"

"Eigentlich wäre es die Aufgabe des Thomas-Bernhard-Archivs, solche Sachen im Original zu erwerben - oder zumindest in Kopie. Die Mittel für das Original haben wir jedoch nicht, und wenn das Manuskript in privater Hand ist, gibt es auch kaum eine Chance für eine Kopie". Fabjan sieht in diesem Fall "vielleicht die private Hand oder sogar die Republik - insbesondere die Nationalbibliothek" gefordert, dem Archiv entsprechende Mittel zur Komplettierung des Bestandes zu geben.

Handlung in Koreakrieg verlegt

In diesem Jugend-Werk hat Bernhard auf 68 mit Bleistift geschriebenen Seiten die Handlung von Wolfes 1922 entstandenem Stück von der Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges in den Koreakrieg verlegt. "Es gibt bessere Stücke, aber wenige, die ich leidenschaftlicher gelesen und gewürdigt hätte", zitiert der "Standard" aus Bernhards Notizen.

Der Tod wird jünger

Peter Ruzicka und Jürgen Flimm präsentierten ihr Programm für Salzburg 2002

 Salzburg - Peter Ruzicka, der neue Intendant der Salzburger Festspiele, und sein Schauspielchef Jürgen Flimm hegen den Wunsch, die Bearbeitung von Thomas Wolfes Herrenhaus, die Thomas Bernhard 1957 als Student des Mozarteums verfasste, zur Uraufführung zu bringen. Das Manuskript, dessen Existenz jahrelang bezweifelt wurde, wird, wie der STANDARD berichtete, von zwei Antiquariaten zum Kauf angeboten. Man habe, sagt Flimm, Verhandlungen aufgenommen, er sei allerdings skeptisch, ob man erfolgreich sein werde. Schließlich sei der letzte Wille des Autors zu respektieren.

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Gefunden

Vom österreichischen Schriftsteller Thomas Bernhard (1931-1989) ist ein bisher unbekanntes Manuskript aufgetaucht. Es handelt sich um eine Bearbeitung von Thomas Wolfes Stück «Herrenhaus». Die Thomas-Bernhard-Privatstiftung hat aber schon bekannt gegeben, dass sie einer Aufführung nicht zustimmen wird, und verweist dabei auf das Testament des Autors. Darin bestimmt Bernhard, dass «alles bisher Unveröffentlichte nicht veröffentlicht werden darf».