Das angeblich verschollene Archiv des legendären Schauspielers und Berliner Theaterdirektors A.W. Iffland ist plötzlich wieder aufgetaucht und soll verscherbelt werden. Dabei handelt es sich um ein nationales Kulturgut, das unbedingt in Berlin bleiben sollte, sagt Kulturstaatssekretär André Schmitz. Eine Räuberpistole.
Es ist eine Sensation, das allemal, und sollte ein Coup werden. Die Schauplätze der höchst absonderlichen Geschichte heißen Berlin, Wien und Ludwigsburg.
In dem schwäbischen Residenzstädtchen vor den Toren Stuttgarts findet vom 23. bis 25. Januar die "28. Antiquaria" statt, eine Verkaufsmesse für seltene Bücher, Bilddrucke und Autographen, bestückt von einer Vielzahl mehr oder weniger prominenter deutscher und ausländischer Antiquariate. Und auf Seite 48 des über 150-seitigen Messekatalogs findet sich das: "Die Geburt des deutschen Nationaltheaters: das bislang verschollene Korrespondenzarchiv Ifflands".
Unter dieser Überschrift hat das Wiener Antiquariat Inlibris die Hinterlassenschaft von August Wilhelm Iffland annonciert.
Iffland (1759-1814) war einer der berühmtesten Schauspieler seiner Zeit, er spielte den Franz Moor in der Uraufführung von Schillers "Räubern", trat in Goethes Hoftheater in Weimar auf – und war von 1796 bis zu seinem Tod 1814 Direktor des Königlichen Nationaltheaters in Berlin, das er zur führenden Bühne machte. Noch heute trägt ein jeweils auf Lebenszeit gewählter Schauspieler den "Iffland-Ring", aktuell ist das Bruno Ganz.
Zum Nachlass gehören Briefe von Schlegel und Kotzebue, auch ein Schreiben von Goethe
Und nun sollten 34 Bände mit rund 7000 Briefstücken aus Ifflands Korrespondenz für 450 000 Euro auf den Markt kommen. Darunter Briefe von August Wilhelm Schlegel, Johanna Schopenhauer, ein Schreiben von Goethe, 17 Briefe des Dramatikers August von Kotzebue sowie Hunderte von Kostüm-, Besetzungs- und Dekorationsverzeichnissen des Berliner Theaters. Nur der Briefwechsel mit Schiller, dessen an Iffland geschickte Manuskripte und wohl auch einige Goethe-Briefe sind in dem Konvolut nicht enthalten. Aber Kenner wie der Berliner Literaturwissenschaftler Conrad Wiedemann, Inspirator des Projekts "Berliner Klassik", oder der Berliner Theaterhistoriker Klaus Völker sehen darin einen "Schatz der deutschen Kulturgeschichte".
So ähnlich begreift das auch Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz. Auf Anfrage des Tagesspiegels nennt er das Iffland-Archiv ein "Kulturgut von nationalem Rang, das in Berlin bleiben muss". Deswegen habe man im Dezember 2013 rechtliche Schritte gegen den Verkauf der Dokumente eingeleitet.
Tatsächlich liegt das Iffland-Konvolut zur Zeit in Wien. Und galt, wie sich das Wiener Antiquariat Inlibris berühmt, bislang als "verschollen". Obwohl es jahrzehntelang in einer Privatwohnung in Ostberlin verwahrt wurde. Der Casus ist so kurios wie vertrackt und lässt einige der wenigen Eingeweihten bereits von gewissen Parallelen zum Fall Gurlitt in München sprechen. Allerdings geht es um keine mögliche Raubkunst, wohl aber um eine Art Räuberpistole im Zuge der Kriegs- und Nachkriegswirren.
Vermutlich gehörte das Ifflandarchiv vor 1945 zum Bestand des Museums der Staatlichen Theater in Berlin. Die sehr verschlungenen Wege der hauptstädtischen Theatersammlung hat die Berliner Theaterhistorikerin Ruth Freydank in ihren beiden 2011 erschienenen Bänden "Der Fall Berliner Theatermuseum" so weit wie heute möglich dokumentiert. Freydank liefert den Nachweis, dass mindestens ab 1929 Iffland-Devotionalien und Korrespondenzen ausgestellt wurden, und zuletzt war das Berliner Theatermuseum in einem Flügel des Berliner Stadtschlosses untergebracht.
Wie auch die Werke der im Schloss situierten Gemäldegalerie wurden wohl auch die Theatermuseumsbestände gegen Ende des Krieges ausgelagert. Vieles, auch von Iffland, ist danach nicht mehr öffentlich aufgetaucht.
Das Antiquariat Inlibris verweist sowohl auf die Forschungen von Ruth Freydank wie auch auf ein "Provenienzgutachten" vom 4. Oktober 2012, erstellt von der Berliner Akademie der Künste. Inlibris bezeichnet das "Wiederauftauchen" des Archivs als "Glücksfall" und spricht im Katalog zweimal in Anführungszeichen von einer Übernahme der "Sammlung Fetting". Das Gutachten von Stephan Dörschel, Abteilungsleiter des Theaterarchivs der Akademie der Künste, ist freilich nur ein einziges eng beschriebenes Blatt, das dem Tagesspiegel vorliegt. Es besagt, dass die Akademie der Künste (AdK), in Rechtsnachfolge der früheren Akademie der DDR, nach 1945 keine Eigentümeransprüche an den Iffland-Papieren nachweisen könne. Umgekehrt bedeuten Dörschels Auslassungen allerdings keine rechtssichere Provenienz-Zuschreibung zugunsten der "Sammlung Fetting".
Der 90-jährige Theaterhistoriker Hugo Fetting sagt, er habe das Konvolut 1953 in den Trümmern gefunden
Wer ist dieser Sammler? Es geht um den heute 90-jährigen Theaterhistoriker Hugo Fetting in Berlin-Prenzlauer Berg. Nach Auskunft von Stephan Dörschel und Wolfgang Trautwein, dem Direktor der AdK-Archive, hatte Fetting im Jahr 2010 der AdK zahlreiche Stücke aus seinem Privatbesitz erstmals zum Kauf angeboten. Fetting selber, Autor etlicher Bücher zur Berliner und deutschen Theatergeschichte, war seit Anfang der 1950er Jahre Mitarbeiter der Adk-Ost, später auch im Archiv der Staatsoper tätig. Seine Wohnung, sagen Besucher von früher, sei "bis zur Decke" angefüllt mit Bühnenbildentwürfen, Büchern, Papieren – tatsächlich eine Art Privatmuseum der Theaterkulturgeschichte.
Der Wiener Antiquar Wetscherek hat das Archiv erworben. Er fühlt sich im Recht - und von Berlin hintergangen
Aber ist das, war das auch alles privates Eigentum? Das ist jetzt die streitige Frage. Freilich hat die AdK noch am 16. Oktober 2013 eine schriftliche Vereinbarung mit Hugo Wetscherek, dem Chef des Wiener Antiquariats Inlibris, geschlossen, die dem Tagesspiegel vorliegt. Wetscherek selber bestätigt uns, dass er zuvor von Hugo Fetting dessen Theatersammlung zu "einem erheblichen Preis" erworben habe. Der fünfseitige Vertrag mit der AdK sieht vor, dass große Teile des von Wetscherek angekauften Fetting-Besitzes der AdK zur Sicherung des Rechtsfriedens geschenkt oder in Fällen ungeklärter Eigentumsansprüche als "Eventualschenkung" überlassen werden. Gleichzeitig heißt es: "Die Akademie der Künste anerkennt das Eigentumsrecht von Inlibris an der Aktensammlung der Theaterdirektion unter Iffland am deutschen Nationaltheater Berlin, umfassend 34 Bände mit über 6000 Korrespondenzen und sonstigen Schriftstücken."
Das trägt die Unterschriften von Wetscherek und Wolfgang Trautwein, mitsamt Stempel des Archivs der AdK. Wobei man fragen muss, wie und warum die Akademie ein "Eigentumsrecht" an einer Sache anerkennt, über die sie nach eigenem Bekunden nie verfügt hat und deren Provenienz ihr nicht geheuer erscheint. Die AdK nämlich hat, ebenso wie Vertreter des Berliner Landesarchivs und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, den Berliner Senat auf die Iffland-Sache und die bevorstehende Messe in Ludwigsburg hingewiesen. Merkwürdig auch, dass der Archivrat der AdK, der normalerweise gerade strittige Provenienzfälle, Auktionen und Angebote berät, laut Auskunft von Archivratsmitglied Klaus Völker nicht informiert wurde.
Das Angebot des Iffland-Schatzes findet sich noch immer auf der Ludwigsburger Website. Immerhin aber hat der Kultursenat sich mit dem Wiener Antiquar – bisher außergerichtlich – auf eine einstweilige Hinterlegung des Iffland-Archivs geeinigt. Hugo Wetscherek will auf sein Verkaufsrecht nicht verzichten, aber Iffland zumindest in Ludwigsburg nicht mehr anbieten. Allerdings fühlt er sich "von Berlin hintergangen", weil er "erhebliche Mittel" für seine "Schenkung an Berlin" aufgewendet habe. "Und kurz nach der Vereinbarung mit der Akademie kommen sie nun mit rechtlichen Schritten."
Das Wiener Antiquariat hat auch ein Aquarell des KZ-Kommandanten Hoess im Angebot
Das Antiquariat Inlibris nennt sich übrigens "führend in Österreich", man ist mit hochpreisigen Angeboten auch international von Basel bis Doha vertreten und hat aktuell unter anderem Autographen von Charles Darwin bis Che Guevara an sowie ein Aquarell "Alpenlandschaft" von Rudolf Hoess, des Kommandanten des KZs Auschwitz-Birkenau (für 3500 €) im Angebot. Wetscherek fühlt sich im Recht, sagt im Gespräch aber auch: "Mir ist klar, dass es um eine hochproblematische Provenienz geht."
Klar erscheint dabei nur eines: Die 34 Bände und über 6000 Blätter, vermutlich auch mit amtlichen Stempeln versehen, waren erkennbar in öffentlichem Besitz, womöglich käme auch der Bund als Rechtsnachfolger des Landes Preußen mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Eigentümer in Betracht. Ein gutgläubiger Erwerb durch "Ersitzen" ist in einem solchen Fall eigentlich nicht möglich. Der 90-jährige Hugo Fetting aber sagt uns am Telefon, bei klarem Bewusstsein und druckreif formuliert: "Ich habe die Sachen per Zufall im Sommer 1953 in der Oberwallstraße in den Trümmern der ehemaligen Generalintendanz der Preußischen Staatstheater gefunden und nach Hause genommen. Das wäre kurz danach verloren gegangen, denn dort wurde dann das Gästehaus der DDR-Regierung gebaut. Ich fühle mich völlig im Recht als Finder und Eigentümer, nachdem sich über 50 Jahre niemand gemeldet hat. Ich habe die Papiere für meine Dissertation über Iffland und das Königliche Nationaltheater benutzt."
Allerdings: Fetting hat 1978 bei seiner Doktorarbeit in Greifswald als Quelle seines Wissens das Archiv der Staatsoper Unter den Linden angegeben. Dort hatte er gearbeitet, "und denen gehörte vorher das Trümmergrundstück, wo ich alles gefunden habe". Bernd Schultz, Chef des Auktionshauses Grisebach sagt dazu: "Alles, was nicht zur Rückführung dieses einmaligen Konvolutes an seinen angestammten Ort in Berlin führen würde, wäre ein Skandal. Man kann sich mit dem derzeitigen Besitzer über einen ,Finderlohn' unterhalten. Aber über sonst auch gar nichts."