Strauß-Operette "Simplicius" galt als verloren
Keiner der Operetten, die Johann Strauß Sohn nach dem "Zigeunerbaron" schrieb, war Erfolg beschieden. Nach der Uraufführung von "Simplicius Simplicissimus" warfen die Kritiker dem Komponisten zuviel Ernst und zuwenig Walzer vor. Das verloren geglaubte Libretto wurde vom Literaten Viktor Léon verfaßt.
"Simplicius" wurde noch zu Lebzeiten des Walzerkönigs in Preßburg und Budapest nachgespielt. Dann geriet das Werk in Vergessenheit - bis heute. Die Wiederaufführung nach mehr als einem Jahrhundert, im Züricher Schauspielhaus am 24.10., gilt als das große Ereignis des Strauß-Jahres - schon in Anbetracht des Promi-Teams, das die Neuinszenierung realisiert: der österreichische Stardirigent Franz Welser-Möst, Musikchef des Züricher Opernhauses, und David Poutney, bekannt durch seine Bregenzer Seebühnen-Spektakel. Die Initialzündung kam vor zwei Jahren von einem jungen Wiener Antiquar mit dem Antiquariat "In libris". Hugo Wetscherek entdeckte auf dem Wiener Flohmarkt an der Linken Wienzeile Bücher aus der verschollenen Bibliothek Viktor Léons. Das war eine Sensation, denn Léons legitime Erben hatten behauptet, sein schriftlicher Nachlaß sei verloren gegangen. Wetscherek fand die Anlieferer und fand nicht nur Reste der Bibliothek, sondern auch Haufen von Autographen und Photographien. Darunter war Léons Manuskript des "Simplicius"-Librettos und eine dem ersten Anschein nach ziemlich vollständige Partitur der Wiener Uraufführung mit allen Vokal- und Orchesterstimmen, von einem Kopisten ausgeschrieben, mit handschriftlichen Korrekturen von Strauß selbst. Léons Nachlaß war keineswegs verloren gegangen. Seiner jungen Geliebten schenkte Léon vor seinem Tod seine Sammlung von Autographen und Photos. Ihre Nachkommen brachten dann Teile davon auf den Flohmarkt. Wetscherek bot seine Entdeckungen in einem Katalog an. Zürichs Opernchef Alexander Pereira wurde aufmerksam, daß jetzt Material für die "Simplicius"-Operette vorhanden war. Wetscherek stellte es ihm zur Verfügung. Die Zürcher Dramaturgie mußte aber feststellen, daß die Partitur ein Verschnitt war - der Wiener, Preßburger und Budapester Fassung. Nach weiterem Notenmaterial wurde gesucht. Wetscherek führte Pereiras Dramaturgin in die Wiener Stadtbibliothek ein, an die er Léons Manuskript des Librettos verkauft hatte. Dort bekam sie einen heißen Tip: die Adresse eines Strauß-Sammlers. Als sie bei Robert Nischkauer anfragte, griff er ins Regal und überreichte ihr die - verwendbare - Partitur der Budapester Aufführung. Reich wird freilich mit der Aufführung einstweilen niemand. Die Urheberrechte für Musik wie Text sind abgelaufen. Angesichts der Publizität, die man sich von der Züricher Premiere verspricht, mag Hugo Wetscherek für die Partitur des "Simplicius" mit den handschriftlichen Korrekturen des Walzerkönigs tatsächlich bekommen, was er verlangt: 350.000 Schilling.