Zeitzeichen, Wissenswerte

Über Lexika, Enzyklopädien und ihre Vermehrung

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Leben wir in einem Zeitalter der Enzyklopädien? Die Zahl der einschlägigen Werke könnte zu einem voreiligen Ja verleiten, denn seit dem Bemühen des Hellenismus, überbordende Wissensmengen wenigstens durch überschaubare Ordnung und durch Kondensation zu bändigen, sind alle Buchzeitalter immer auch mehr oder minder Zeitalter der Enzyklopädien gewesen. In welchem Masse das allein für den deutschen Sprachraum gilt, zeigt der unerhört eindrucksvolle Verkaufskatalog der Sammlung Otmar Seemann ("Bibliotheca lexicorum. Kommentiertes Verzeichnis der Sammlung Otmar Seemann". Bearbeitet von Martin Peche. Antiquariat Inlibris, Wien 2001, 708 S.). Dass den vielen respektablen Fachenzyklopädien, die vor kurzem ihren Abschluss erreicht haben bzw. sich ihm nähern, nicht eine ähnlich grosse Zahl neu in Angriff genommener Unternehmungen gegenübersteht, spricht für ein Abschwellen der Enzyklopädie-Welle; dass aber statt der vertrauten Nachschlagewerke in Buchform neue Lexika im Internet auftauchen, bezeugt das unvermindert anhaltende Bedürfnis, Wissen in atomisierter Form darzubieten.

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Liber Berlin

Berlin. Ein Blick vorab in den 3. Messekatalog der LiberBerlin läßt große Erwartungen auf das Gesamtangebot aufkommen, denn die Tendenz ist durchgehend positiv. Die traditionell hohe ausländische Beteilugung (knapp 40 % bei 115 Ausstellern) konnte gehalten werden und damit ein Angebot, das den internationalen Vergleich nicht scheuen muß.

Besonders erfreulich ist der Versuch einiger Aussteller, mit großen Sammlungen aufzutreten. Ein umfangreiches Konvolut von mehr als 100 Briefen, das der Autographen-Händler Eberhard Köstler aus Tutzing anbietet, hat das Zeug zur kulturgeschichtlichen Sensation. [...] Nicht minder interessant die Sammlung von 580 Briefen von Frank Thiess, die Hugo Wetscherek (Inlibris) mit nach Berlin bringt. Der vorliegende Teilnachlaß aus dem Besitz von Yvonne Thiess, der zweiten Frau des Schriftstellers, beleuchtet v.a. dessen Rolle während des Nationalsozialismus sowie in der Nachkriegszeit bis 1965 (75 000 Euro). [...]

Rezension: Bibliotheca Lexicorum (NZZ)

Rezension in: Neue Zürcher Zeitung, 17.08.2002, Nr. 189
Rezensent: Hans-Albrecht Koch

Zeitzeichen Wissenswerte. Über Lexika, Enzyklopädien und ihre Vermehrung

[...] Leben wir in einem Zeitalter der Enzyklopädien? Die Zahl der einschlägigen Werke könnte zu einem voreiligen Ja verleiten, denn seit dem Bemühen des Hellenismus, überbordende Wissensmengen wenigstens durch überschaubare Ordnung und durch Kondensation zu bändigen, sind alle Buchzeitalter immer auch mehr oder minder Zeitalter der Enzyklopädien gewesen. In welchem Masse das allein für den deutschen Sprachraum gilt, zeigt der unerhört eindrucksvolle Verkaufskatalog der Sammlung Otmar Seemann ("Bibliotheca lexicorum. Kommentiertes Verzeichnis der Sammlung Otmar Seemann". Bearbeitet von Martin Peche. Antiquariat Inlibris, Wien 2001, 708 S.). Dass den vielen respektablen Fachenzyklopädien, die vor kurzem ihren Abschluss erreicht haben bzw. sich ihm nähern, nicht eine ähnlich grosse Zahl neu in Angriff genommener Unternehmungen gegenübersteht, spricht für ein Abschwellen der Enzyklopädie-Welle; dass aber statt der vertrauten Nachschlagewerke in Buchform neue Lexika im Internet auftauchen, bezeugt das unvermindert anhaltende Bedürfnis, Wissen in atomisierter Form darzubieten. [...]

Das Herrenhaus-Drama

Darling des Theaters

Thomas Bernhard. Der Übertreibungskünstler feiert ein Comeback als Unterhaltungskünstler: Jubel über "Elisabeth II." an der Burg. Es folgen Bernhard-Premieren im Volkstheater und in der Josefstadt.

[...] Derweil herrscht vehementes G'riß um Thomas Bernhards spät entdecktes Manuskript "Herrenhaus", das gegenwärtig zum Kräftemessen zwischen Denkmalamt und einem Wiener Antiquar gerät. [...]

Hintergrund
Das Herrenhaus-Drama

Ein spät entdecktes Bernhard-Manuskript ligt im Safe eines Antiquars. Das Denkmalamt blockiert den Verkauf.

Auf den heimischen Bühnen feiert Thomas Bernhard ein glorioses Comeback. Doch abseits des Rampenlichts spielt sich seit Monaten rund um ein Werk aus dem Nachlaß des Schriftstellers ein bürokratisches Drama ab. Es geht dabei um das Stück "Herrenhaus" des US-Autors Thomas Wolfe, das der damalige Mozarteumsstudent Bernhard 1957 bearbeitet hat.
Die 68seitige handschriftliche Bearbeitung des Stücks galt lange als verschollen, bis sie im November 2001 Schlagzeilen machte (FORMAT 47/01). Damals wurde bekannt, daß der Wiener Antiquar Hugo Wetscherek das Buch von einem Händler gekauft hatte und für 420.000 Euro auf Auktionen anbieten wollte. Seither liegt das wertvolle Stück in Wetschereks Safe, und sein Besitzer liefert sich mit dem Bundesdenkmalamt eine langwierige Auseinandersetzung. Vorsorglich wurde das Buch, in das Bernhard Regieanweisungen und Bühnenbildskizzen einbinden ließ, mit einem Ausfuhrverbot belegt. Wetscherek erhob Einspruch, doch das Verfahren zieht sich so hin, daß Wetscherek bereits von Verschleppung spricht. Am meisten wundert ihn jedoch die Ignoranz der Experten (Bernhard-Stiftung, Literaturarchiv): "Sie haben sich das Manuskript bisher nicht einmal angeschaut."

Rezension: Bibliothek der Deutschen Sozialisten (AW)

Rezension in: AW - 06/2002 - 56. Jahrgang
Rezensent: Hugo Pepper

Eingemauerte Bücher. Wer im Bereich der Arbeiterbildung nach Sensationellem sucht, der wird in der Regel bald enttäuscht aufgeben, wenn er nicht bereits im Anlauf resigniert hat. Aber es gibt offenbar wirklich keine Regel, die nicht der Bestätigung durch die Ausnahme bedarf.

So galt es geraume Zeit als gesichert, dass sich in den USA kein Buchbestand ehemaliger deutscher Arbeitervereine befinde. Durch einen Zufall war es möglich, diese Annahme faktisch zu widerlegen. Der Umbau eines historischen Hauses in der Altstadt von Cleveland im Bundesstaat Ohio bot dazu die Gelegenheit. Ein bei Ford beschäftigter Elektriker hatte das 1860 von einem deutschen Einwanderer errichtete Steingebäude erworben und begann es - Stockwerk für Stockwerk - zu renovieren. Dabei stieß er hinter einer lockeren Täfelung auf ein vermauertas Gelass, in dem sich die dort verborgene Bücherei des "Sozialistischen Bildungsvereins Eintracht", einer Zweigorganisation der amerikanischen Sozialistischen Partei, fand, zu deren namhaftesten Mitgliedern zu Zeiten auch die Autoren Jack London und Upton Sinclair gezählt haben. Der legendäre Gewerkschaftsführer Eugene Debs hat 1912 als sozialistischer Präsidentschaftskandidat immerhin fast eine Million Stimmen erhalten.

“Some German Junk”

Der neue Eigentümer des ehemaligen Arbeitervereinshauses kam eher zufällig ins Gespräch mit dem bundesdeutschen Konsul in Cleveland, Peter Schoenwaldt, der später in Wien als Kulturattaché wirkte, wobei er zu einem der bedeutenden Förderer der großen Kurt-Tucholsky-Ausstellung im Künstlerhaus werden sollte. Schoenwaldt bekam zu hören, dass sich im Hause 4308, Franklin Boulevard, "some German junk" ("irgendein deutsches Glumpert") gefunden hätte - übrigens darunter auch Reste einer illegalen Whiskybrennerei aus der Alkoholverbotszeit ("Prohibition").

“Untergrund”

Der "German junk" erwies sich als ein Bücherbestand von sechshundert Bänden sowie einigen gebundenen Jahrgängen der deutschsprachigen Arbeiterzeitschrift "Echo", die nicht nur in Cleveland, sondern in ganz Ohio verbreitet worden war. Nach dem Kriegseintritt der USA 1917 geriet die pazifistische deutsche Arbeiterbewegung in den USA unter Druck, und in den frühen zwanziger Jahren - als Nachwirkung der Russischen Revolution - verfiel die gesamte politische und gewerkschaftliche Linke der Repression. Das war die Zeit, in der man in den Untergrund ging und die Bücher einmauerte, übrigens zusammen mit einem großen Marx-Porträt und einem Bild der Brüder Scheu aus Österreich. Noch 1912 waren von den 83.000 "Deutschstämmigen" in Cleveland mehr als 42.000 Österreicher.

Diese und weitere Angaben über die deutsch-amerikanische Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung sind dem sorgfältig gestalteten Band "Die Bibliothek der deutschen Sozialisten, Cleveland/Ohio. Eine wiederentdeckte Arbeiterbibliothek in ihrem zeitgenössischen Kontext" zu entnehmen, für dessen Herausgabe Peter Schoenwaldt gesorgt hat (Wien: Inlibris 2001). Es war dabei nicht nur ein Buchbestand von mehr als sechshundert Bänden in entsprechenden bibliographischen Details zu erfassen. Es wurden auch die wesentlichen zeitgenössischen Publikationen in knapp gehaltenen, informativen Inhaltsangaben erfasst.

“Union-Label”

Der so entstandene Katalog ist überdies reichlich illustriert, und man kann aus den faksimilierten Titelseiten entnehmen, dass der Buchbestand zum Teil aus dem deutschen Sprachraum importiert worden ist, aber großteils von deutsch-amerikanischen Druckereien hergestellt wurde, etwa in Chicago. Kennzeichnend ist, dass diese Bücher und Broschüren stets den obligaten "Union-Label", den gewerkschaftlichen Ursprungsvermerk, aufweisen. "Ein Rückblick aus dem Jahr 2001" - in Anlehnung an das fast gleichnamige Buch von Edward Bellamy, im Bestand der Clevelander Bibliothek - bietet eine umfängliche Einführung in die Geschichte der deutsch-amerikanischen Arbeiterbewegung, deren Fundament die politische Emigration nach der Niederlage der Revolution von 1848 gebildet hat.

Der Buchbestand ist in den Jahren zwischen 1845 und 1925 entstanden und gewachsen und dürfte etwas mehr Belletristik enthalten haben als schließlich aufgefunden worden ist. Darin finden sich nicht nur die marxistischen Klassiker und zeitgenössische politische Literatur, sondern auch ältere Publikationen aus der österreichischen Sozialdemokratie, vom Linksradikalen - als Anarchisten verschrieenen - Johann (John) Most über die Brüder Scheu bis zu Max Adler und Rudolf Hilferding ("Das Finanzkapital").

Auch Karl Kautsky ist mit einer erheblichen Anzahl seiner Werke vertreten. Überraschend taucht im Buchbestand der nachmalige österreichische Bundespräsident Michael Hainisch mit der schmalen Schrift "Der Kampf ums Dasein und die Sozialpolitik" auf, die er 1899 verfasst hat.

Terroristische Repression

Was da Mitte der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hastig eingemauert worden ist, drängt zur Frage nach den innenpolitischen Zuständen, die damals in den USA herrschten. Der Schock, den die Russische Revolution dem amerikanischen Besitzbürgertum angesichts einer sich zunehmend radikalisierenden Arbeiterbewegung in den USA versetzte, hatte zur terroristischen Repression geführt. Upton Sinclair hat die Situation in seinem Roman "100 Prozent" (übersetzt von der Österreicherin Hermynia zur Mühlen) treffend beschrieben: Kapital, Verbrechertum und Justiz bildeten eine unheilige Allianz zur Vernichtung der gewerkschaftlich und politisch organisierten Arbeitenden. Einen der Höhepunkte bildete der Prozess gegen die fälschlich des Raubmordes beschuldigten italienischen Einwanderer Sacco und Vanzetti: Er endete nach sieben Jahren mit einem doppelten Justizmord.

Die in den Büchern der Clevelander Arbeiterbücherei enthaltene Information bildet gewissenmaßen die Rampe, über die es in die nur im Umriss angedeutete soziale Tragödie ging, in deren Verlauf Bücher hinter Mauern verborgen werden mussten.

Rezension: Bibliothek der Deutschen Sozialisten (Bücherschau)

Rezension in: Bücherschau 154 - 1/02 - Jänner bis März 2002
Rezensent: Hugo Pepper

Eine wiederentdeckte Arbeiterbibliothek in ihrem zeitgenössischen Kontext.

Sensationen im allgemein eher stillen Arbeiterbildungsbereich sind selten. Die Entdeckung einer politischen Bibliothek in einem abgemauerten Versteck in einem 1860 in Cleveland errichteten Gebäude darf wohl als sensationell gewertet werden. Der mittlerweile emeritierte bundesdeutsche Diplomat Peter Schoenwaldt, der den bemerkenswerten Buchbestand aufgestöbert hat, sorgte für dessen Katalogisierung und Kommentierung und damit für die Dokumentation eines Buchbestands der in den Jahrzehnten zwischen 1845 und 1925 auf mehr als 600 Exemplare gewachsen war. Aber darüber hinaus sieht sich der Leser mit einem bedeutenden Ausschnitt aus der Geschichte der von deutschen Einwanderern (deutschen und österreichischen Emigranten seit 1848) bestimmten Arbeiterbildung konfrontiert.

Sie setzt mit der Zeit der 48er Revolution ein und endet in der "antibolschewistischen" Hysterie, welche die USA nach dem Sieg der Russischen Revolution erfasst hat. Unter äußeren Umständen, die Upton Sinclair im Roman "100 Prozent" dargestellt hat, ist die Bücherei wohl eingemauert worden.

Im Bestand finden sich nicht nur marxistische Klassiker und zeitgenössische politische Literatur, die Band für Band bibliographisch und meist auch inhaltlich glossiert werden. An österreichischen Autoren finden sich neben Hilferding und Max Adler die Brüder Scheu, der Linksradikale Johann Most sowie der österreichische Bundespräsident Michael Hainisch (mit einem sozialpolitischen Werk, 1899).

Der Text eines Interviews mit dem Entdecker, Peter Schoenwaldt, "Ein Rückblick aus dem Jahr 2001" auf eine dramatische Phase der (deutsch-)amerikanischen Arbeiterbewegung, sowie eine Auswahl aus deren zeitgenössischen Organ "Echo" runden den Band ab, der zeitgeschichtlich und literarisch interessierte Leser ansprechen, aber auch die Aufmerksamkeit von Bibliothekaren finden sollte (Inlibris Verlag, Hugo Wetscherek, 1010 Wien, Rathausstraße 19, Tel. 01/409 61 90).

www.buecherei.at

Rezension: Bibliothek der Deutschen Sozialisten (IASL)

Rezension in: IASL (International Association of School Librarianship) online, 19.03.2002
Rezensent: Claude Conter


Die Bibliothek der Deutschen Sozialisten Cleveland, Ohio. Kommentierter Katalog des historischen Buchbestandes. Bearb. von Christopher Frey. Mit einem Essay von Marcel Atze: Ein Rückblick aus dem Jahr 2001 – eine wiederentdeckte Arbeiterbibliothek in ihrem zeitgenössischen Kontext.
Wien : Inlibris 2001. 320 S. Geb. € 48,-.
ISBN 3-9500813-6-4.


Was die deutschen Sozialisten gelesen haben. Eine wiederentdeckte sozialistische Arbeiterbibliothek gibt Aufschluß über Lesegewohnheiten und bibliopädagogische Ansprüche

Die 1970 wieder entdeckte Bibliothek der deutschamerikanischen Sozialisten in Cleveland / Ohio aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zur Prohibitionszeit ist nunmehr von Christopher Frey katalogisiert und kommentiert und vom Literaturwissenschaftler Marcel Atze im historischen, literaturgeschichtlichen und politischen Kontext beschrieben und erläutert.

Mit mehr als 100 Abbildungen und 14 Artikeln aus der seltenen Wochenzeitung der Clevelander Sozialisten Das Echo und einem Interview mit dem deutschen Diplomaten Peter Schoenwaldt, der die Bibliothek 1970 erworben hat, stellt dieser Katalog für die empirische Leser- und die Arbeiterforschung eine wichtige Materialsammlung bereit, die zudem eine notwendige Ergänzung und Grundlage für die Lesersoziologie und die Bibliothekswissenschaft ist. Denn zum ersten Mal ist es möglich, anhand einer geschlossen überlieferten Bibliothek mitsamt den in den Büchern einmontierten Ausleihzetteln begründete Vermutungen anzustellen über den Hiatus zwischen dem >bibliopädagogischen Konzept der Arbeiterbildner< und den Lesebedürfnissen der Benutzer. Die Bedeutung dieses kommentierten Katalogs besteht darin, den in der fiktionalen Literatur und in den sozialistischen Bildungsschriften geprägten Mythos vom lesenden Arbeiter auf der Grundlage einer gut dokumentierten Arbeiterbibliothek zu überprüfen. Die Umstände ihrer Wiederentdeckung sowie die Beschreibung ihrer Struktur und Organisation helfen, die Lesegewohnheiten durch die Ausleihzettel zu erschließen. Darauf beruht auch die Leistung des kommentierten Katalogs.

0. Aufbau des Kataloges

Der Katalog ist in fünf Teile gegliedert. Der erste und umfangreichste enthält den Bibliotheksbestand von 600 Bänden in 477 vollständigen Titelaufnahmen, einschließlich genauer Angaben über Verlage, Buchbindung, Format, Seitenanzahl usw. Mehrbändige Bücher und Reihentitel sind aufgeschlüsselt. Bibliothekarische Besonderheiten (z.B. über den Zustand oder über Verzierungen) werden jeweils beschrieben und kommentiert. Bei fast allen Titelaufnahmen sind sowohl die Anzahl und die Dauer der Ausleihen als auch die Stempel verschiedener Parteiorganisationen, Gesangsvereine und vereinzelter Besitzer nachgewiesen. Die Stempel, die zur Bestimmung der Provenienz bestimmter Buchbestände dienen, wurden faksimiliert und im Fall der Besitzer und Bibliothekare kommentiert. Es ist Wert darauf gelegt worden, die Anordnung der Titelaufnahmen in zehn Signaturgruppen der ursprünglichen Bibliothekseinteilung zu befolgen.

Das zweite Kapitel enthält ein Interview mit dem Entdecker der Bibliothek und Diplomaten Peter Schoenwaldt. Anschließend folgt der Essay von Marcel Atze, der sich u.a. mit der Wochenzeitung der Clevelander Sozialisten Echo auseinandersetzt, aus der im vierten Kapitel 14 Beiträge aus der Zeit zwischen dem 29.04.1911 und dem 07.04.1917 ausgesucht wurden. Die parteipolitischen Entwicklungen und Positionen werden an der Berichterstattung der großen Ereignisse der Zeit (Titanic-Untergang, Massaker von Ludlow) und an den zentralen Themen des Darwinismus, Sozialismus und der Religion ablesbar. Der Katalog schließt mit einem Personenregister, in das alle Verfassernamen der monographischen und Sammelbänden wie auch der im Katalogteil erwähnten Personen aufgenommen wurden. Die Werktitel sind nach ihrem Verfasser indiziert.

1. Der Mythos vom lesenden Arbeiter oder Was die Auswertung eines geschlossenen Bibliotheksbestandes leistet

Peter Weiss hat in seinem Roman "Die Ästhetik des Widerstands" den seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Gewerkschaftskreisen und sozialdemokratischen sowie kommunistischen Denkschriften und Theorientwürfen aufgebauten Mythos vom sich ununterbrochen bildenden Arbeiter aufgegriffen. In diesem Roman wie auch in den historischen Romanen von Anna Seghers, Hans Marchwitza oder Bruno Apitz ist die Weltliteratur von Dante bis zu James Joyce Gegenstand langer, intellektueller Diskussionen von bildungsfreudigen Arbeitern, die das Programm kulturellen Wissens auf die politische Einsicht Wilhelm Liebknechts stützen, die dieser 1872 in seiner Rede "Wissen ist Macht, Macht ist Wissen"1 geprägt hat. Die Literatur hat das Bild des Arbeiterlesers auf der Grundlage des populären sozialistischen Glaubensbekenntnisses zur Bildung und Kultur verstärkt.

Die Auswertungen der Bibliotheksbestände von Arbeiterbildungsstätten erlaubten bisher kaum eine grundlegende Bewertung dieses mythisch petrifizierten Bildes, weil für eine empirische Leserforschung außer Leseerinnerungen aus Briefen, Memoiren und Interviews sowie bibliothekarischen Verzeichnissen keine überprüfbaren Daten über die Nutzung dieser Bibliotheken zur Verfügung standen. Das hängt auch damit zusammen, daß eine Arbeiterbibliothek vor dem Ersten Weltkrieg als physisches Ensemble nicht zur Verfügung stand. Die 1970 wieder entdeckte Bibliothek der Deutschen Sozialisten in Cleveland / Ohio vermag, dieses Desiderat in der Arbeiter- und Leserforschung zu beheben.2

2. Wiederentdeckung der Bibliothek

1970 entdeckt man in dem 1860 vom Deutschen Hannes Tiedemann erbauten Haus 4308 Franklin Blvd. in Cleveland / Ohio bei Renovierungsarbeiten einen durch eine eingezogene Wand versteckten Raum, in dem sich eine vollständige Arbeiterbibliothek, mehrere Gemälde von sozialistischen Denkern und Whisky-Flaschen aus der Prohibitionszeit Ende der 20er Jahre erhalten hatten. Der deutsche Diplomat Peter Schoenwaldt erwarb den Bestand der Agitationsbibliothek, die dann vom Antiquariat Inlibris (Wien) übernommen wurde. Die Bibliothek wurde mittlerweile von der Cleveland Public Library erworben.

3. Struktur und Organisation der Bibliothek

Die Gründung der Bibliothek durch exilierte sozialistische Deutschamerikaner des Nachmärz ist auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts festzulegen, wobei der Aufbau des Bestandes in erster Linie zwischen 1870 und 1900 erfolgt ist. Mit mehr als 600 Bänden aus den Jahren 1845 bis 1925 und vor allem auf Grund der zahlreichen Erstdrucke sowie der seltenen und kostbaren, auch gewidmeten Sozialistika ist die Bibliothek umfangreicher als eine durchschnittliche Arbeiterbibliothek im Wilhelminischen Reich. Dennoch ist der Bestand paradigmatisch, weil es einen Kanon, vor allem für die Partei- und Gewerkschaftsliteratur, gegeben hat, der durch eine einheitliche Bibliotheksarbeit koordiniert und organisiert wurde, wie Marcel Atze in seinem informativen Essay nachweist. Dies gilt auch für die deutschamerikanische Bibliothek in Cleveland, die große Bestände aus dem parteieigenen Dietz-Verlag angeschafft hat.

Die Bibliothek ist nach zehn Signaturgruppen geordnet, die innerhalb der Sachgruppen nach dem Nominalprinzip katalogisiert sind:

1. Sozialismus, Sozialwissenschaft, Sozialökonomie (167 Bände)

2. Periodika, Sammelwerke gemischten Inhalts, Lexika (12 Publikationen)

3. Geschichte und Lebensbeschreibungen (49 Bücher)

4. Gedichte und Dramatisches (35 Nachweise)

5. Jugendliteratur (6 Bände)

6. Romane, Erzählungen (44 Bände)

7. Naturwissenschaft, Geographie (20 Bände)

8. Philosophie, Religion (33 Bände)

9. Gesundheitslehre, Erziehung (18 Bände)

10. Kunst, Technik, Fachzeitschriften (14 Bände).

Dazu kommen noch Einblattdrucke (9) sowie Bücher und Noten (59) aus dem Bestand des sozialistischen Sängerbundes und Bildungsvereins "Liedertafel Eintracht". Auffällig ist, daß die bibliothekarisch tätigen Leiter vor allem die Lektüre theoretischer und historischer Sozialistika fördern wollten, so daß es sich in der Hauptsache um eine "Funktionärsbibliothek" (S. 253) gehandelt hat. Innerhalb der Sachgruppen gibt es auch falsche oder überraschende Einordnungen. Auf Grund des Untertitels "Eine Kindertragödie" wird Frank Wedekinds Skandalstück "Frühlings Erwachen" unter die Jugendliteratur subsumiert. Und während Ferdinand Freiligraths frühsozialistischer Gedichtband "Ça ira!" unter den Sozialistika firmiert, stehen Georg Herweghs "Neue Gedichte" in den Regalen >Gedichte, Dramatisches<. Die Bibliothek hatte jeweils am Samstag eine Stunde geöffnet von neun bis zehn Uhr abends. Ausgeliehen werden durften maximal zwei Bücher für vierzehn Tage mit der Möglichkeit einer Verlängerung für die gleiche Dauer. Ausleihberechtigt sind laut Satzung die Mitglieder der Sozialistischen Arbeiterpartei Nordamerika, die Träger der Bildungsstätte ist, Mitglieder ihrer Branchen und der Gewerkschaften. Die Prinzipien der bibliothekarischen Arbeit (Einkaufspolitik, Aufstellungssystematik u.a.) lassen sich aus dem jetzigen Bestand ableiten, auch wenn über die genaue Arbeit der einzelnen Bibliothekare wenig bekannt ist. Ob diese über eine bibliothekarische Ausbildung verfügt haben, ist ungewiß. Aber die beiden namentlich bekannten Bibliotheksleiter Wilhelm Ludwig Rosenberg und Paul Pechiny sind Akademiker und haben sehr gute Kontakte zur sozialdemokratischen Bibliothek Vorwärts in Berlin. Die anderen Leiter sind nicht bekannt.

4. Benutzer- und Leserprofil

Marcel Atze beschreibt die Arbeiterbildungsstätte als "Narration, die die Bibliothek als den Ort der versuchten Identitätsbildung einer Klasse vorführt". (S. 249) Die Bibliothek sei sowohl "soziokulturelle Institution" als auch "kulturelles Kampfmittel" (S. 249). Diese These läßt sich überprüfen anhand der Ausleihfrequenz. Auffällig ist dabei zuerst das geringe Interesse an den zahlreich vorhandenen theoretisch-marxistischen, politischen und gesellschaftswissenschaftlichen Büchern zu Gunsten von belletristischer, publikumswirksamer Unterhaltungsliteratur. Diese Beobachtungen beziehen sich – wie so häufig in der empirischen Leserforschung – auf Anzahl und Länge der Ausleihen. Rückschlüsse auf die tatsächliche Lektüre erlauben diese Daten nicht, sind doch die räumlichen und psycho-physikalischen Umstände der Lektüre weiterhin unbekannt.

Sozialistika

Die "bibliopädagogische Praxis einer doppelten Minderheit: deutsche sozialistische Arbeiterbildner in den USA" (S. 249) wird erkennbar an der Fülle von theoretischen und historischen Sozialistika. Die Schriften von Lenin, Trotzki, Karl Liebknecht, Kurt Eisner, Friedrich Engels, Clara Zetkin und Ferdinand Lassalle blieben eher in den Regalen stehen. Die Schriften von Wilhelm Liebknecht, August Bebel und Karl Kautsky hingegen sind nicht nur reichlich vorhanden, sondern wurden auch oft ausgeliehen.

Frühsozialismus

Die Traditionen zu frühsozialistischen Schriften von Wilhelm Weitling, Louis Cabet und Julius Fröbel sind zwar im Bibliotheksbestand erkennbar, allerdings ist deren Bedeutung – trotz der biographischen Bezüge der Frühsozialisten zu den Deutschamerikanern – auf Grund der Ausleihzahlen als gering einzuschätzen. Damit ist eine der Arbeitermythen, nämlich die Behauptung einer historischen Kontinuität der erwachenden Klasse in einem marxistischen Weltbild, empirisch nicht überzeugend verifizierbar.

Ein anderer Mythos des marxistischen Bildungskonzeptes fordert die wissenschaftliche Analyse von konkreten Problemen. Doch sind die Schriften zu unmittelbaren Arbeits- und Alltagsproblemen in den USA, mit Ausnahme der Schriften über Alkohol und Prohibition, auf geringes Interesse gestoßen. Kongreßberichte, Schriften zu Streiks und Gewerkschaftsaktivitäten oder zu Gerichtsprozessen wurden nicht ausgeliehen. Marcel Atze vermutet, daß die Lektüre solcher Denkschriften und auch der theoretischen Sozialistika durch die Tageszeitungen, Zeitschriften, Versammlungen und Vorträge ersetzt wurde. Zudem sind diese Broschüren häufig sehr preiswert gewesen, so daß wahrscheinlich einige Arbeiter dieselben besessen haben, "obgleich der schriftenhortende Arbeiterleser ein beliebter propagandistischer Topos im Rahmen der weltanschaulichen Mobilmachung war". (S. 252)
Anarchismus

Hervorzuheben ist, daß der Bibliotheksbestand eine erstaunliche Fülle an anarchistischen Schriften enthält. Johan Henry Mackays "Sturm", Ferdinand Wiesens "Die Civilisation des 19. Jahrhunderts", Pierre Ramus' Biographie des Anarchisten William Godwin und die vollständige Monatsschrift "Internationale Bibliothek" gehören ebenso dazu wie die Revolutionsschriften von John Most und die gesammelten Reden der Chicagoer Anarchisten, die im aufsehenerregenden "Haymarket Riots"-Prozeß die Öffentlichkeit in den USA bewegt haben.
Naturwissenschaft und Belletristik

Die Analyse der Ausleihen zeigt deutlich, daß die Darwin-Rezeption in den sozialistischen Texten in der Arbeiterbildung eine wichtige Rolle gespielt hat. Ludwig Büchners "Kraft und Stoff", Edward Avelings "Die Darwinsche Theorie" und die Schriften von Ernst Haeckel oder Arnold Dodel sind die beliebtesten Bücher neben den zahlreichen belletristischen Titeln, vor allem utopistische und Unterhaltungsromane, die eine eskapistische Lektüre ermöglichten. Edward Bellamys "Rückblick aus dem Jahr 2000 auf 1887", Franz Adam Beyerleins Roman "Jena oder Sedan", Georg Hirschfelds "Der Wirt von Beladuz", Victor Hugos "1793" und vor allem Hermann Sudermanns "Frau Sorge" sowie Fritz Reuters Dramen verdeutlichen, daß auch unter Arbeitern die Unterhaltungsliteratur beliebter gewesen ist als die politische, gesellschaftskritische oder politisch interpretierbare Belletristik von Ernst Toller, Bertha von Suttner oder Maxim Gorki.

5. Kritik und Bewertung des kommentierten Katalogs

Der Katalog bietet zum einen eine Ergänzung zur Geschichte der sozialistischen Deutschamerikaner. Dazu gehört, daß zahlreiche, in Bibliotheken selten oder gar nicht nachgewiesene Schriften wie beispielsweise die Sammlung "The Scarlet Review" mit Texten von Ivan Turgenjev, Rudyard Kipling, Henrik Ibsen, Walt Whitman u.a., die Anthologie anarchistischen Reden "Die moderne Gesellschaft", Alexander Jonas' sozialistisches ABC "Reporter und Sozialist" oder Meta Lilienthal Sterns Borschüre "Für Frauenstimmrecht" jetzt wieder bibliographisch nachgewiesen sind.

Die Alltagssituation der Deutschamerikaner zwischen Tradition und Akkulturation wird nachlesbar in Zeitungen wie "Das Echo" – ein Wochenblatt, aus dem vierzehn Artikel abgedruckt sind – und in den Biographien der deutschen Sozialisten wie Wilhelm Ludwig Rosenberg, und Josef Jodlbauer, deren Leben und Schaffen Marcel Atze genau recherchiert und einprägsam nachgezeichnet hat. Damit ist der Katalog ein Beitrag zur Nachmärzforschung und deutsch-amerikanischen Geschichte.

Ein zweites Verdienst besteht in der empirischen Grundlegung der Arbeiterlesesoziologie anhand einer geschlossen überlieferten Arbeiterbibliothek, deren Nutzung Aufschluß gibt über die Lesebedürfnisse der Arbeiter und die Leseerwartungen der sozialistischen Pädagogen und Theoretiker. Gleichzeitig macht das Beispiel der Bibliothek der Deutschen Sozialisten in Cleveland / Ohio auch deutlich, daß weitere lokale Studien notwendig sind. Denn über die Trägerschaft der Bibliothek, die Gründungsmotive und die genauen finanziellen und organisatorischen Strukturen kommt auch diese Publikation nicht ohne Vermutungen, Hypothesen und Plausibilisierungsstrategien aus.

Claude D. Conter, M.A.
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
An der Universität 5
Neuere deutsche Literaturwissenschaft
D-96045 Bamberg

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Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten PD Dr.Arno Mentzel-Reuters. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Anmerkungen

[1] Vgl. Karl Birker: Die deutschen Arbeiterbildungsvereine 1840–1870 (Publikationen zur Geschichte der Arbeiterbewegung; 10) Berlin: Colloquium Verlag 1973; Josef Olbrich: Arbeiterbildung nach dem Fall des Sozialistengesetzes (1890–1914). Konzepte und Praxis. Braunschweig: Westermann 1982; Dieter Langewiesche und Klaus Schönhoven: Arbeiterbibliotheken und Arbeiterlektüre im Wilhelminischen Deutschland. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 16 (1976), S. 135–204.

[2] Vgl. Hans-Josef Steinberg: Lesegewohnheiten deutscher Arbeiter. In: Peter von Rüden (Hg.): Beiträge zur Kulturgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1848–1918. Frankfurt / M. u.a.: Büchergilde Gutenberg 1981, S. 261–280.

Rezension: Bibliothek der Deutschen Sozialisten (IFB)

Rezension in: Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 10 (2002) 1
Rezensent: Achim Bonte


Mit der zwischen 1850 und 1925 entstandenen Agitations- und Arbeiterbildungsbibliothek der "Deutschen Sozialisten" in Cleveland/Ohio erschließt der vorliegende Katalog einen wohl einmaligen Bestand: Nirgends sonst ist eine frühe deutsche Arbeiterbibliothek von dieser Größe und Geschlossenheit erhalten geblieben. Gegen Ende der zwanziger Jahre im Vereinsgebäude der deutschsprachigen Sozialisten eingemauert, wurde die über 600 Bände zählende Sammlung 1970 wiederentdeckt und dank des Engagements eines deutschen Diplomaten für die Nachwelt erhalten. Im November 2001 stand sie nun auf der 2. Berliner Antiquariatsmesse für DM 150.000,- zum Verkauf1 - vermutlich der äußere Anlaß für den vom Wiener Antiquariat Inlibris produzierten Katalog. Die Bibliothek enthält neben den sozialistischen Klassikern zahlreiche Publikationen der deutschsprachigen sozialistischen Bewegung in Amerika, die zum Teil bislang überhaupt nicht bekannt waren. Für die Forschung von besonderem Wert sind außerdem die originalen einmontierten Ausleihzettel, die wertvollen Aufschluß über die Bestandsrezeption bieten.

Der ansprechend gestaltete Katalog umfaßt neben dem nach der ursprünglichen Systematik gegliederten Bestandsverzeichnis ein Interview zur Entdeckung sowie einen ausführlichen wissenschaftlichen Beitrag zu Geschichte und Bedeutung der Bibliothek. Darüber hinaus sind ein Personenregister zum Katalogteil, ein Literaturverzeichnis sowie Nachdrucke von 14 Beiträgen aus dem Echo enthalten, der bisher praktisch verschollenen Wochenzeitung der Clevelander Sozialisten. Der von einem Antiquariatsmitarbeiter erarbeitete kommentierte Katalog ist mustergültig und bietet so ein beeindruckendes Beispiel für den weiter vorhandenen bibliographischen Fleiß und die bibliographische Sorgfalt mancher Antiquariatsbuchhändler.2 In Antiquariaten und Spezialbibliotheken wird das Buch ein geschätztes Nachschlagewerk sein.


[1] Handschriften, Autographen, Bücher : eine Auswahl anläßlich der II. Liber Berlin, Ludwig-Erhard-Haus, 2.–4. 11.2001 / Antiquariat Inlibris. – Wien ; Antiquariat Inlibris, [2001]. – 48 S.: Ill. ;14x20 cm. – Hier Nr. 31, S. 29–31. – Käufer war, wie das Antiquariat auf Anfrage mitteilte, die Cleveland Public Library.

[2] Bei den Beschreibungen berücksichtigt ist z. B. selbst der erst 2000 erschienene Öhlberger, das erste größere Verzeichnis von Buchhändlermarken. Vgl. IFB 01-2-250. – Weitere sorgfältig bearbeitete Kataloge des Antiquariats wurden in IFB 01-1-011 besprochen.

Massenware nicht gefragt

Bilanz der Antiquariatsmessen in Stuttgart und Ludwigsburg

[...]

Nach den sensationellen Umsätzen im Vorjahr war es nun "eine ganz normale Stuttgarter Messe" (Götz Kocher-Benzing) mit unter dem Strich weitgehend zufriedenen Ausstellern. Rund 8000 Besucher wurden in Stuttgart gezählt, rund 2200 in Ludwigsburg - das sind Zahlen, die sich nicht wesentlich von denen der früheren Jahre unterscheiden. Allerdings fehlten die kaufkräftigen Händler aus den USA, ob aus Flugangst, wegen der angeschlagenen Konjunktur oder der zeitnahen Antiquariatsmesse in Los Angeles. Erfreulicherweise kamen neue Käufer aus Italien oder Spanien und - niemand hätte das angesichts der leeren öffentlichen Kassen erwartet - auch einige größere Bibliotheken und Institutionen.

Gefragt waren seltene und ausgefallene Exponate. So konnte Tenschert den außer Katalog angebotenen Atlas "Libro dei Globi" von V. M. Coronelli, gedruckt in Venedig um 1700, für 280 000 Euro verkaufen, Neidhardt die siebenbändige Modezeitschrift "Gallery of Fashion" für 49 000 Euro und Braecklein das Liebesliederbuch "Filidor der Dorfferer" für 25 000 Euro. Fünfstellige Eurobeträge zahlten mehrere Sammler: 14 500 für einen um 1488 entstandenen Druck von Guido de Cumis (Deuticke), 60 000 für ein holländisches Stundenbuch (Dr. Günther), 10 500 für eine Goethe-Sammlung (Inlibris) oder 16 000 für ein illustriertes "Büchlein von den Peinen" (Stuttgarter Antiquariat).

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Eine Neuerung wird es jetzt in Stuttgart geben: der bisherige dreiköpfige Messeausschuss überträgt die Aufgabe der Messeorganisation an eine Firma, denn, so der seit fünf Jahren ehrenamtlich wirkende Götz Kocher-Benzing vom Stuttgarter Antiquariat, man sei damit einfach überlastet. Er selber bleibt als stellvertretender Vorsitzender des Verbands Deutscher Antiquare Verbindungsmann nach Stuttgart. Ob und was sich dadurch ändern wird, ist abzuwarten. Kümmern sollten sich die neuen Organisatoren vor allem um das Erscheinungsbild, denn nach mehreren Jahrzehnten ist das Mobiliar mittlerweile so schäbig, dass es keinen angemessenen Rahmen für die wertvollen Exponate mehr abgibt. Für Ende Januar 2003 - genaue Termine stehen noch nicht fest - sind die 42. Stuttgarter Antiquariatsmesse und die 17. Ludwigsburger Antiquaria geplant.

Bücher, Tüten und anderes Druckwerk

Messe (I) - was die Stuttgarter Antiquariatsmesse von morgen an zu bieten hat

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Aber auch weniger auffällige Raritäten und Standardobjekte der Messe brauchen sich vor den Vitrinenschätzen nicht zu verstecken. So kommt in diesem Jahr eine ganze Reihe von wertvollen Nachlässen und Sammlungen auf die Messe [...] Originalzeichnungen des Wiener Porträtisten und Karikaturisten Rudolf Herrmann, viele davon im "Simplizissimus" erschienen, bringt Inlibris für 34 000 Euro zur Messe mit.

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Von Tüten und anderen Raritäten

Stuttgarter Antiquariatsmesse mit neuem Rekord

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Wenn am 24. Januar die Messe zum 41. Mal eröffnet, hat sie bereits einen neuen Rekord aufgestellt. Mit 82 Ausstellern verbucht sie so viele Teilnehmer wie noch nie. Sie ist die einzige vom ILAB, der Internationalen Liga der Antiquariatsbuchhändler, empfohlene Messe in Deutschland, was gleichsam mit einer Garantie der verkauften Ware verbunden ist. [...]

Damit die Messe ebenso erfolgreich wie im vergangenen Jahr verläuft, lockt sie im Vorfeld mit Top-Angeboten. [...]

Jüngeren Datums sind die 143 Originalzeichnungen des Wiener Porträtisten und Karikaturisten Rudolf Herrmann (1887-1964), der unter dem Pseudonym "Einer" bei der "Arbeiter-Zeitung" und dem "Simplicissimus" mitwirkte. Die jetzt bei Inlibris angebotene Sammlung (34000 Euro) enthält knapp 60 unpublizierte Porträtzeichnungen Herrmanns, Bilder von Gustav Mahler, Arnold Zweig oder Oskar Kokoschka, die die Porträtierten zum Teil unterschrieben und kommentierten. Überwiegend liegen die Angebote der Händler jedoch im drei- und vierstelligen Bereich, zahlreiche auch darunter, weshalb die Messe auch für das Laienpublikum von Interesse ist. Letztes Jahr zählte sie knapp 9000 Besucher, eine Zahl, die auch heuer anvisiert wird.

Lesen und lesen lassen

Heute abend beginnt im Ludwig Erhard Haus die Antiquariatsmesse Liber Berlin - nicht nur für Büchernarren

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Für die Liber Berlin, die vom 1. bis 3. November bereits zum dritten Mal im Ludwig Erhard Haus in der Fasanenstraße stattfindet, ist die Bezeichnung "Antiquariatsmesse" schon fast despektierlich. Aus neun Ländern reisen 116 Antiquare an, um auf 3000 Quadratmetern ihre Kostbarkeiten zur Schau zu stellen und natürlich feilzubieten. Mit dieser "Internationalen Verkaufsausstellung" hat sich Berlin auf dem europäischen Kunstbuchmarkt vor allem neben London und Paris sowie neben der Verbandsmesse in Stuttgart nachhaltig etabliert. Mehr als 7000 Besucher zählte die Messe im letzten Jahr. In diesen Tagen dürften es noch etwas mehr werden. Denn auch wenn die Lesekultur, wie Apokalyptiker regelmäßig verkünden, den Bach hinunter geht - es bleibt der Trost, dass ihre materiellen Sedimente umso eifriger gesammelt werden.

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Der ideale Besucher also wäre einer, der sich gleich einem Flaneur mit zerstreuter Aufmerksamkeit treiben und ablenken lässt. Er könnte nicht nur die Filetstücke goutieren, die wie erratische Blöcke in der Messelandschaft liegen, sondern auch die Kuriositäten am Rande. Denn natürlich wird das Konvolut der 104 Briefe ein Renner sein, das die Geschichte der Ausgrabungen von Pergamon und die Wiedererrichtung der Bauten in Berlin zwischen 1880 und 1912 spiegelt (Eberhard Köstler, Tutzing). Auch von der Plakatsammlung zur Pariser Commune (Bernhard Blanke, Berlin) oder den Briefen des Schriftstellers Frank Thiess über die NS- und Nachkriegszeit (Hugo Wetscherek, Wien) wird ausführlich gesprochen werden. Doch jenseits der historischen Haupt- und Staatsaktionen lauern Raritäten wie die erste Ausgabe des Rübezahlbuches von Johannes Praetorius aus dem Jahr 1662 (Winfried Geisenheyner, Münster). Darin wird ein "ausführlicher Bericht" gegeben von dem "wunderbarlichen sehr Alten, und weit beschrienen Gespenste Dem Rübezahl".

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Rezension: Bibliothek der Deutschen Sozialisten (Germanistik)

Rezension in: Germanistik. Internationales Referatenorgan mit bibliographischen Hinweisen. 42 (2001) 3/4. S. 373-373.
Rezensent: Claude D. Conter, Bamberg


Wie eine Arbeiterbibliothek vor dem Ersten Weltkrieg ausgesehen hat, ist in der Lese- und Arbeiterforschung bislang anhand von Bestandsaufnahmen und Verz. rekonstruiert worden. Nunmehr liegt eine Arbeiterbibliothek als physisch-materielles Ensemble vor. Zufällig ist 1970 ein während der Prohibitionszeit versteckter Raum mit einer aus der zweiten Hälfte des 19. Jh. gegründeten Arbeiterbibliothek entdeckt worden, deren kommentierte Katalogisierung jetzt zugänglich ist. Die Systematisierung der Bücher und Zeitschriften, der Aufbau des Bestandes und vor allem die auf Grund einmontierter Ausleihzettel in den Publika ermöglichte Auswertung der Lektüregwohnheiten gibt Aufschluß über die Lesevorlieben der deutschamerikanischen Arbeiter und über die bibliopädagogischen Bemühungen der Bibliothekare. M. Atze weist in seinem Essay darauf hin, daß die propagandistische sozialistische Bildungsparole "Wissen ist Macht, Macht ist Wissen" und das vor allem in der Literatur geprägte Bild des lesenden Arbeiters konfligiert mit den lesesoziologischen Bedingungen: Die schwindende Lesezeit bei einem mehr als Zehn-Stunden-Arbeitstag und das Bedürfnis nach einer eskapistischen, von den Strapazen erholenden Leseerfahrung sind nur zwei Kennzeichen der sozialistischen Arbeiterbibliothek in Amerika, deren Organisation und Benutzung auch plausible Erkenntnisse über die Arbeiterbibliotheken im Wilhelminischen Reich zulassen. - Auffallend sind beispielsweise das geringe Interesse an den zahlreich vorhandenen theoretisch-marxistischen, politischen und gesellschaftswissenschaftlichen Büchern zu Gunsten von belletristischer, publikumswirksamer Unterhaltungsliteratur: F. Reuter, H. Sudermann oder der Utopist E. Bellamy. Für die empirische Leser- und Arbeiterforschung ist der Katalog mit 100 Abb., 14 Artikeln aus der Wochenzeitung der Clevelander Sozialisten Das Echo und einem Interview mit dem deutschen Diplomaten P. Schoenwaldt, der die Bibliothek 1970 erworben hat, eine wichtige Materialsammlung, die zudem eine notwendige Ergänzung und Grundlage für die Lesersoziologie und die Bibliothekswissenschaften ist.

"Der Teufel hat ihn oft geritten"

Vor kurzem tauchte ein bisher unbekanntes Manuskript von Thomas Bernhard auf. Wie es 1957 zu der "Herrenhaus"-Bearbeitung kam, schildert der Regisseur Klaus Gmeiner im Gespräch mit Thomas Trenkler: Er studierte mit Bernhard - und erduldete dessen Grillen.

War es "die reine Flucht zum Menschen", wie Thomas Bernhard in einem Interview meinte, die ihn dazu trieb, am Mozarteum in Salzburg Schauspiel und Regie zu studieren? Am 10. Oktober 1955 jedenfalls, das Semester hatte bereits begonnen, wurde der noch unbekannte Autor zum Seminar zugelassen. "Er tauchte plötzlich auf. Und man wusste eigentlich nicht, was er wollte", erinnert sich Klaus Gmeiner. "Er saß anfangs nur herum und hat immer gestänkert."

Gmeiner, 1932 in Schwarzach bei Bregenz geboren, war ein Studienkollege von Bernhard - und während der zwei Jahre so etwas wie ein Freund. Mit der Abschlussprüfung am 18. Juni 1958 trennten sich die Wege: Gmeiner arbeitete als Dramaturg und Regisseur, von 1972 bis 1998 leitete er Literaturabteilung im ORF-Studio Salzburg. Wenn er von Thomas Bernhard erzählt, dann nicht, um sich selbst wichtig zu machen. Aber um ein wenig Licht in eine Zeit zu bringen, die der Schriftsteller zumeist verschwieg: "Er hat sie ausradiert", sagt Gmeiner.

Die Schauspielschule befand sich damals im Aufbau, die Leitung hätte daher wohl jeden aufgenommen, auch den Unbegabtesten: "Es war mehr oder weniger ein Familienbetrieb von Rudolf Leisner und seiner Frau, die Lehrpersonen waren ein besoffener Haufen. Gelernt habe ich dort nicht viel." In Bernhard aber sei die Lust am Schauspielen erwacht: "Er hätte ein fabelhafter Charakterdarsteller werden können. Er hatte eine eigene Diktion, eine Vis comica, etwas Skurriles. Ich hätte ihn mir sehr gut als Malvolio vorstellen können."

Das Mozarteum führte einen Theaterbetrieb in St. Peter. Aber im gesamten ersten Studienjahr durfte Thomas Bernhard nicht auftreten, was ihn erzürnt hätte: "In Thornton Wilders Unsere kleine Stadt wollte er unbedingt die Rolle des Spielleiters übernehmen. Er hat sie jedoch nicht bekommen. Und bei der Stellprobe waren plötzlich die Textbücher verschwunden. Ich hüte mich zu behaupten, dass der Thomas sie versteckt oder vernichtet hat. Aber sie tauchten nie mehr auf."

Bernhard hätte immer "fürchterlich intrigiert", wenn er nicht die gewünschte Rolle bekam. "Er wollte sogar, dass wir streiken, weil es Bevorzugte gab." Probleme hätte es auch bei Lessings Frühwerk Der junge Gelehrte im Februar 1957 gegeben: Thomas Bernhard schmiss als Chrysander eine Vorstellung, weil er im Text nicht weiterwusste. Oder einen völlig falschen aufsagte: "Der Teufel hat ihn oft geritten."

Wie es der Zufall wollte, wohnten die beiden Seminarteilnehmer im Johannes-Freumbichler-Weg, der nach dem Großvater von Thomas Bernhard benannt ist, was Gmeiner, wie er erzählt, damals nicht bekannt gewesen sei: "Er wusste von mir alles, von meinem Elternhaus, vom Tod meiner Mutter, ich hingegen wusste nichts von ihm. Er war neugierig, er saugte alles in sich auf, aber von sich selbst wollte er nichts preisgeben. Da war eine Wand." Bernhard hätte weder von seiner Krankheit geredet noch von den Gedichten, die er schrieb. Obwohl sie zusammen mit dem Bus ins Studio Walserfeld, wo der Unterricht stattfand, fuhren und fast jeden Tag miteinander verbrachten, zumeist mit dem Kollegen Ludwig Skumautz: "Die Damen fand der Thomas alle schrecklich."

Anfangs hätte Bernhard noch bei seinem Stiefvater Emil Fabjan gewohnt: "Er war nicht so arm, das ist eine Legende. Er war immer picobello angezogen. Und er hatte seinen Mittagstisch." Später sei er als Untermieter in das Haus gezogen, in dem Gmeiner wohnte: "Er kam oft am Abend mit dem Teehäferl rüber und brachte Manner Schnitten mit, die er über alles liebte, und dann haben wir Musik gehört und geredet. Er suchte die Nähe - wie immer Sie das verstehen wollen." (Im Gespräch mit Kurt Hofmann sagte Bernhard einmal: "Im Grund' bin ich ja nur ins Mozarteum gegangen, damit ich mich nicht isolier' und nicht vollkommen vor die Hund' geh, sondern einfach gezwungen war, mit gleichaltrige Leut' zusammenzusein.")

Gmeiner hingegen sei auf Distanz gegangen, auch aufgrund der Verletzungen, die ihm Bernhard mit seinem Zynismus zugefügt habe: "Ich kam aus einem Dorf in Vorarlberg, Salzburg war für mich eine Großstadt, und ich war sehr ehrfurchtsvoll vor den Professoren. Wenn ich zum Beispiel sagte, ich fände die Sprechlehrerin gut, sagte er: ,Du Kind vom Land, die kann das ja gar nicht!' Das hat mich dann natürlich befremdet." Oder wenn sie Schubert und Mozart hörten: "Mir Landjunker ging eine Welt auf, es war mir wurscht, ob die Philharmoniker spielten oder jemand anderer, aber der Thomas sagte: ,Das ist doch grauslich, wie die kratzen, dass musst du doch hören!' Ich habe dann darüber nachgedacht, aber es hat mich auch verstört, weil er alles schlecht machte. Er war zwar sehr empfänglich für Schmeicheleien - aber sehr hart im Austeilen."

Im Frühjahr 1957 war die Zeit für die Abschlussarbeiten gekommen. Anfangs hätte Bernhard ein Regiebuch zu Woyzeck erarbeiten wollen, doch mit dem Büchner-Drama beschäftigte sich bereits Gmeiner. Und so nahm sich Bernhard das Herrenhaus von Thomas Wolfe vor, das er in Hamburg gesehen hatte. Bernhard sei von dem Stück begeistert, aber von der Inszenierung Gustaf Gründgens' entsetzt gewesen: "Er rannte nur noch mit dem Herrenhaus herum. Am Mozartplatz gab es ein Geschäft mit angeschlossener Buchbinderei, da haben wir beide unsere Bücher durchschießen lassen." Während Bernhard die Bühnenskizzen selbst zeichnete, bat Gmeiner den Bruder von Udo Proksch, Roderich, einen Architekten, diese für ihn anzufertigen. Bernhard hätte ihn daher "einen Streber" geschimpft und gemeint, es käme auf den Inhalt an: "Und der ist bei mir besser!" (Gmeiners fein säuberliches Regiebuch mag vielleicht der Grund dafür sein, dass Bernhard im Vorwort bittet, "die scheußliche Form" zu entschuldigen, "doch bin ich außerstande, zu denken und schön zu schreiben".)

Eigentlich hätte jeder drei Regiebücher abgeben sollen. "Aber der Thomas sagte, ,ich bin ja nicht blöd, ich mach nur eins', und auch ich habe dann nur eines gemacht - weil mir einfach die Zeit fehlte. Die Abschlussprüfung war an einem Vormittag. Da haben wir, das könnte ich eidesstattlich erklären, Herrn Leisner diese Bücher übergeben."

Die Studienkollegen verloren sich danach aus den Augen: Thomas Bernhard zog zum Komponisten Gerhard Lampersberg auf den Tonhof in Maria Saal, Gmeiner nahm ein Engagement als Dramaturg und Regisseur am Salzburger Landestheater an. Später produzierte er einige Hörspiele nach Bernhard-Stücken. Und gestaltete eine Du Holde Kunst-Sendung mit den Gedichten des Studienfreundes: "Jetzt weiß ich, dass ich ein Dichter bin", schrieb ihm Bernhard nach der Ausstrahlung.

Hin und wieder begegnete man sich zufällig, zum Beispiel am Graben in Wien. Und Thomas Bernhard hätte ihm immer jenen Reim zugerufen, mit dem er sich im Advent 1956 als Zauberer in einem Weihnachtsmärchen, das Gmeiner geschrieben hatte, dem Publikum vorstellte: "Hock butzli batzli brati, ich bin der Zauberer Kemi trati."

Diskussion um Bernhards "Herrenhaus"

"Längst bekannt" - oder doch nicht?
Salzburg
- Peter Fabjan, Stiefbruder von Thomas Bernhard, konterte auf den STANDARD-Bericht über ein unveröffentlichtes Manuskript des Autors, dass dieses längst bekannt sei. Tatsächlich: Das Regiebuch zu Thomas Wolfes Herrenhaus wurde vom Salzburger Antiquar Christian Weinek 1999 kurz zum Kauf angeboten. Es gab damals eine Meldung in der Salzkammergut Zeitung, die falsch war: Karl Ignaz Hennetmair gab zu Protokoll, "ein 500 Seiten starkes, unveröffentlichtes Bernhard-Manuskript in seinen Händen gehalten" zu haben. Es besteht aber "nur" aus 68 Manuskriptseiten.

Über den Inhalt war bis zum Bericht im STANDARD nichts bekannt. Der Salzburger Germanist Adolf Haslinger gibt denn auch zu: "Niemand von uns kennt das Manuskript." Man könne daher auch nicht über den Text befinden. Fabjan hofft nun auf eine Kopie des Werkes für das Bernhard-Archiv: Die öffentliche Hand sei nicht in der Lage, den Schätzpreis (5,8 Mio. Schilling) zu bezahlen.