Geglückter Start mit Superlativen

Berlin hat eine neue, große Antiquariatsmesse: "Liber Berlin"

Berlin hat ein weiteres kulturelles Atout: die neue Antiquariatsmesse Liber Berlin, die vom 3. bis 5. November im Ludwig Erhard Haus stattfand, wurde sofort zur weltweit größten Antiquariatsmesse und kommerziell ein Erfolg. 140 Aussteller, doppelt so viel wie bei der Stuttgarter Antiquariatsmesse, kamen aus allen Teilen der Welt.

Die meisten Verkäufe wurden am Eröffnungsabend getätigt, aber auch am Sonntag griffen die Sammler nochmals kräftig zu. Ein großformatiger Katalog war von den fünf organisierenden Berliner Antiquariaten als Prestige-Werbemittel versandt worden. Der junge Wiener Antiquar Hugo Wetscherek (Antiquariat Inlibris) bot darin das teuerste Objekt an: eine Abschrift der Familienchronik des Hartmann Schedel (1440-1514). Der illustrierte, deutsche und lateinische Abschrift der (verloren geglaubten) Familienchronik soll 580.000 DM kosten. Wetscherek verkaufte sie zwar nicht, aber er etablierte sich auf dem internationalen Markt. Albert Speers Originalpläne für den Bau der Berliner Reichskanzlei (1938) setzte Wetscherek für 18.000 DM ab. [...]

Der Messekatalog - 600 Jahre Buchkultur

[...] Das Prunkstück der Messe dürfte die zeitgenössische Abschrift der verschollenen, von Hartmann Schedel, dem Verfasser der berühmten Weltchronik, verfaßten Familienchronik der Schedels sein. Das von Jakob Fugger in Auftrag gegebene und mit kolorierten Porträts und Wappen gezierte Buch ist in der Staatsbibliothek in Berlin nur inkomplett vorhanden. Mit der nun zugänglichen Abschrift bietet sich der Forschung die einmalige Chance, Ergänzungen und Veränderungen der Abschriften zu vergleichen. Mit 580 000 DM ausgezeichnet (Inlibris).

Nachlass von Josef Schrammel

Pressemitteilung

Das Niveau durchschnittlicher Wirtshausmusiker aus der Wiener Vorstadt weit übertreffend erlangte das Schrammel-Quartett in der Besetzung zwei Violinen, hohe Klarinette und Bassgitarre auf Grund seiner raffinierten Arrangements und seines präzisen Zusammenspiels in der kurzen Zeit seines Wirkens im ausgehenden 19. Jahrhundert internationale Berühmtheit. Dabei verleugneten die vier Musiker jedoch niemals ihre Wurzeln, sodass die "Schrammeln" heute neben Strauß und Lanner weltweit als die Repräsentanten der Wiener Musik gelten und ihr Name zum Kennwort für die von ihnen gepflegte Musiziergattung wurde.

Eigenhändige Notenhandschriften wie auch Briefe der "Schrammeln" gelten auf dem internationalen Autographenmarkt als Rarität. Während der Nachlass Johann Schrammels in alle Welt zerstreut wurde, erhielt sich jener Josefs bis in unsere Tage geschlossen in Familienbesitz. Der Wiener Stadt- und Landesbibliothek, die bereits den Nachlass Anton Strohmayers, des Gitarristen des Ensembles, sowie einige Autographe Johann Schrammels verwahrt, gelang mit dem jetzigen Ankauf eine äußerst wertvolle Ergänzung ihres Bestands auf einem ihrer ureigensten Sammelgebiete.

Der Nachlass Josef Schrammels umfasst über fünfhundert Posten, darunter mehr als 150 Autographe von originalen Kompositionen Johann, Josef und Kaspar Schrammels sowie von deren Bearbeitungen fremder Werke. Diese Manuskripte bilden eine ideale Basis für die Rekonstruktion des weitgehend verloren gegangenen Klangbildes des Quartetts der Brüder Schrammel. Der gesamte Nachlass ist in einem Katalog des Antiquariates "Inlibris" verzeichnet.

Besonders hervorzuheben ist weiters das von Josef Schrammel während seiner Orientreise 1869-71 geführte Tagebuch, das nicht nur als persönliches, sondern auch als Zeitdokument von Bedeutung ist. Eine umfangreiche Sammlung von Briefen Josef Schrammels - bisher waren in öffentlichen Sammlungen keine solchen bekannt - sowie Briefe an Johann und Josef Schrammel, weitere Familienkorrespondenz, Fotografien und persönliche Dokumente der Familienmitglieder ergänzen den kulturgeschichtlich äußerst wertvollen Bestand.

Der gesamte Nachlass ist im Katalog 7 des Antiquariates "Inlibris" ( Bibliothekskatalog) beschrieben.

Schrammel-Nachlass bleibt in Wien

Ende einer verzweifelten Suche

Bei einer Wohnungsauflassung wurde ein Teil des Nachlasses von Josef Schrammel gefunden, den die Forschung seit Jahren verzweifelt sucht. Über Vermittlung der Journalistin Monica Ladurner und des Standard erwarb der Wiener Antiquar Hugo Wetscherek das Material, das die Besitzer eigentlich in die USA zu verkaufen gedachten.

Wetscherek bearbeitete das Konvolut (Autographen, Partituren) und brachte ein kommentiertes Verzeichnis heraus. Die Musiksammlung des Wiener Stadt- und Landesarchivs kaufte nun das Material über den Schrammelquartett-Gründer um zwei Millionen Schilling an.

Im Archiv, beim Regiepult, im Büro - die Dramaturgin Ronny Dietrich

Wenn am kommenden Sonntag im Opernhaus Zürich "Simplicius", die bisher für verloren gehaltene Operette von Johann Strauss, auf die Bühne kommt, ist das nicht zum geringsten Teil das Verdienst von Ronny Dietrich, der Leitenden Dramaturgin des Hauses. Ihre Tätigkeit spielt sich weitgehend hinter den Kulissen ab, ist aber von erheblicher Bedeutung.

Wie oft in solchen Fällen half der Zufall. Der Direktor hat einen Sohn, der Sohn hat einen Freund, der Freund ist Antiquar und deshalb nicht ganz gleichgültig, als er eines Tages auf dem Flohmarkt jenes Bündel in der Hand hält, das sich als Nachlass von Victor Léon erweisen sollte. Victor Léon war ein junger, aufstrebender Librettist, als er 1887 in Wien mit dem damals schon hochberühmten Johann Strauss (Sohn) bekannt wurde. Was die Operette betrifft, hatte er eigene Ideen - und so kamen Strauss und er bald ins Gespräch. "Simplicius" hiess das Werk, das die beiden entwarfen; am 17. Dezember 1887 kam es am Theater an der Wien heraus. Strauss lag die Partitur besonders am Herzen, das Publikum und die Kritik lehnten sie jedoch ab, weshalb der Komponist eine zweite Fassung herstellte, die 1888 in Prag, danach unter anderem in Budapest gespielt wurde. Wenig später verschwand das Werk allerdings von den Bühnen.

Nun findet also Hugo Wetscherek in besagtem Nachlass nicht weniger als das vollständige Aufführungsmaterial der Wiener Produktion von "Simplicius". Der Antiquar ruft seinen Freund an, der seinen Vater - und Alexander Pereira, der den verborgenen Schätzen in der Geschichte des Musiktheaters nachzusteigen liebt, ist Feuer und Flamme. [...]

Vom Flohmarkt auf die Bühne

Strauß-Operette "Simplicius" galt als verloren

Keiner der Operetten, die Johann Strauß Sohn nach dem "Zigeunerbaron" schrieb, war Erfolg beschieden. Nach der Uraufführung von "Simplicius Simplicissimus" warfen die Kritiker dem Komponisten zuviel Ernst und zuwenig Walzer vor. Das verloren geglaubte Libretto wurde vom Literaten Viktor Léon verfaßt.

"Simplicius" wurde noch zu Lebzeiten des Walzerkönigs in Preßburg und Budapest nachgespielt. Dann geriet das Werk in Vergessenheit - bis heute. Die Wiederaufführung nach mehr als einem Jahrhundert, im Züricher Schauspielhaus am 24.10., gilt als das große Ereignis des Strauß-Jahres - schon in Anbetracht des Promi-Teams, das die Neuinszenierung realisiert: der österreichische Stardirigent Franz Welser-Möst, Musikchef des Züricher Opernhauses, und David Poutney, bekannt durch seine Bregenzer Seebühnen-Spektakel. Die Initialzündung kam vor zwei Jahren von einem jungen Wiener Antiquar mit dem Antiquariat "In libris". Hugo Wetscherek entdeckte auf dem Wiener Flohmarkt an der Linken Wienzeile Bücher aus der verschollenen Bibliothek Viktor Léons. Das war eine Sensation, denn Léons legitime Erben hatten behauptet, sein schriftlicher Nachlaß sei verloren gegangen. Wetscherek fand die Anlieferer und fand nicht nur Reste der Bibliothek, sondern auch Haufen von Autographen und Photographien. Darunter war Léons Manuskript des "Simplicius"-Librettos und eine dem ersten Anschein nach ziemlich vollständige Partitur der Wiener Uraufführung mit allen Vokal- und Orchesterstimmen, von einem Kopisten ausgeschrieben, mit handschriftlichen Korrekturen von Strauß selbst. Léons Nachlaß war keineswegs verloren gegangen. Seiner jungen Geliebten schenkte Léon vor seinem Tod seine Sammlung von Autographen und Photos. Ihre Nachkommen brachten dann Teile davon auf den Flohmarkt. Wetscherek bot seine Entdeckungen in einem Katalog an. Zürichs Opernchef Alexander Pereira wurde aufmerksam, daß jetzt Material für die "Simplicius"-Operette vorhanden war. Wetscherek stellte es ihm zur Verfügung. Die Zürcher Dramaturgie mußte aber feststellen, daß die Partitur ein Verschnitt war - der Wiener, Preßburger und Budapester Fassung. Nach weiterem Notenmaterial wurde gesucht. Wetscherek führte Pereiras Dramaturgin in die Wiener Stadtbibliothek ein, an die er Léons Manuskript des Librettos verkauft hatte. Dort bekam sie einen heißen Tip: die Adresse eines Strauß-Sammlers. Als sie bei Robert Nischkauer anfragte, griff er ins Regal und überreichte ihr die - verwendbare - Partitur der Budapester Aufführung. Reich wird freilich mit der Aufführung einstweilen niemand. Die Urheberrechte für Musik wie Text sind abgelaufen. Angesichts der Publizität, die man sich von der Züricher Premiere verspricht, mag Hugo Wetscherek für die Partitur des "Simplicius" mit den handschriftlichen Korrekturen des Walzerkönigs tatsächlich bekommen, was er verlangt: 350.000 Schilling.

Rezension: Rilke in Wien (Sichtungen)

Rezension in: Sichtungen 2 (1999), S. 258-260, Hemecker, Wilhelm.

Jahrestagung der Rilke-Gesellschaft Ausstellung: »›Haßzellen, stark im größten Liebeskreise‹ Rilke und das k. u. k. Kriegsarchiv«

[...] Als erste Nummer der Reihe »Österreichisches Literaturarchiv - Kataloge« ist - ursprünglich als Begleitbuch zur Ausstellung - eine Monographie mit über hundert, teils farbigen Abbildungen erschienen (Wilhelm Hemecker: Rilke in Wien. Wien: Inlibris 1998). Aufgrund zahlreicher neuer Quellen dokumentiert sie erstmals ausführlich das Jahr 1916, in dem Rilke zusammen mit Franz Theodor Csokor, Alfred Polgar und Stefan Zweig im k. u. k. Kriegsarchiv »Dicht-Dienst« verrichten sollte. Zugleich begleitet der Band in Text und Bild den Dichter durch den Alltag und durch Fürstenhäuser, zu Karl Kraus und zu Hugo von Hofmannsthal in Rodaun und bietet Einblick in die Werkstatt des Dichters: das von einem Gemälde Kokoschkas inspirierte, lange verschollene Gedicht »Haßzellen, stark im größten Liebeskreise ...« ist zu dieser Zeit entstanden und liegt als Faksimile dieser ersten Monographie zu Rilke in Wien bei.

Bibliotheca Viennensis Pars I–VI

Vorwort

Die in sechs Katalogen erschienene Viennensia-Sammlung des Wiener Rechtsanwaltes Dr. Arthur Mayer bildet in ihrer Gesamtheit von fast 9000 Titeln noch heute, über fünfzig Jahre nach Erscheinen, ein wesentliches Nachschlagewerk für Viennensia-Literatur. Bedingt durch die Gliederung der Kataloge in Themenschwerpunkte, mehrfach innerhalb eines Bandes wechselnde Ordnungsgruppen und Nachträge gestaltet sich die Suche nach einem speziellen Titel mühsam. Folgerichtig wurde im letzten Katalog ein "ausführliches Personen- und Sachregister über alle sechs Teile aus sachkundiger Feder" angekündigt, dessen Erscheinen jedoch unterblieb. Wir hoffen, mit dem nun erstellten Index diese Lücke teilweise zu schließen und einen brauchbaren Beitrag für Bibliophile und Wissenschaftler zur Erschließung von Viennensia-Literatur geleistet zu haben.

Editorial

Abenteuerlich nannte Grimmelshausen seinen "Simplicissimus", und abenteuerlich ist auch der Weg, auf dem die nach Motiven dieses Romans komponierte Operette von Johann Strauss nach über hundert Jahren zurück auf die Bühne findet.

Aufmerksam auf das Werk machte uns der Wiener Antiquar Hugo Wetscherek, der den Nachlass Victor Léons - des Librettisten - aufspürte und ankaufte. Er fand darin Stimmenmaterial zu "Simplicius", der in der gängigen Strauss-Literatur als nicht rekonstruierbar gilt. Es war nun die Frage zu klären, ob sich mit dieser neuen Quelle möglicherweise die Lücken im nur fragmentarisch überlieferten Autograph schliessen lassen.

Während der Recherchen, die auch dazu dienten, möglichst alle noch vorhandenen Quellen einzusehen, wurden wir auf den Wiener Sammler Norbert Nischkauer hingewiesen, der seit vielen Jahren Mikrofilme oder Kopien von Aufführungsmaterialien Straussscher Werke aus aller Welt sammelt. Wie sich dann herausstellte, war er tatsächlich im Besitz einer Partiturkopie der Zweitfassung des Werkes, die 1888 für eine Aufführungsserie in Budapest geschrieben worden war und von der Strauss-Forschung bisher nicht berücksichtigt worden ist.

Aufgrund dieser Quelle, die sich in bestem Zustand befindet, war es möglich, ein Aufführungsmaterial zu erstellen, das im wesentlichen die Zweitfassung wiedergibt, in einzelnen Punkten aber auch auf das Autograph zurückgreift.

So haben wir eine wunderschöne Arie der Hildegard wieder eingefügt und der Simplicius ist wie im Original mit einem Tenor besetzt, nicht, wie in späteren Fassungen, mit einem Mezzo. Auch die Texte der Gesangsnummern, die von Fall zu Fall gravierende Eingriffe erfahren haben, folgen dem Autograph. Der Gang der Handlung wurde aus verschiedenen Quellen - dem Zensurlibretto sowie Regie- und Soufflierbüchern späterer Aufführungen - rekonstruiert und für die Zürcher Produktion neu bearbeitet. [...]

Lassen Sie sich diesen Strauss'schen Leckerbissen nicht entgehen.

Für ein Theater, das den Schauspielern gehört

Von den Schwierigkeiten, einen Genius zu beerben: Zum 125. Geburtstag von Max Reinhardt

Was von Reinhardt durch Persönlichkeit wie Leistung idealiter verbleibt, ist immerhin benennbar. Das Handwerk erarbeitete sich der am 9. September 1973 in Baden bei Wien geborene Max Goldmann, der sich, um antisemitischen Vorurteilen vorzubeugen, seit seinem ersten Auftritt im Jahr 1890 Reinhardt nannte, von 1894 bis 1902 in achtzig Rollen am Deutschen Theater Berlin, unter Otto Brahm ganz dem Naturalismus verpflichtet. 1901 war Reinhardt reif zur Vision "Über ein Theater, das mir vorschwebt". Es sollte ein Theater werden, "das dem Menschen wieder Freude gibt. Das sie aus der grauen Alltagsmisere über sich selbst hinausführt in die reine und heitere Luft der Schönheit"; sein künstlerisches Credo: "Es gibt nur einen Zweck des Theaters: das Theater, und ich glaube an ein Theater, das dem Schauspieler gehört."

Aus dem Verismus von Brahm emanzipierte er sich selbst im Kabarett "Schall und Rauch". Im "Kleinen Theater Unter den Linden", das daraus hervorging, setzte er den kritischen Realismus eines Gorki so gut wie den schwülen Symbolismus eines Hofmannsthal durch. Mit der Inszenierung des "Sommernachtstraums" im "Neuen Theater" (heute "Berliner Ensemble") im Jahre 1904 gab er als Regisseur der Klassik sinnliche Anschaulichkeit zurück, die er dann im Deutschen Theater, das er 1905 erwarb, in neuartiger Einheit von Repertoire, Ensemblespiel, Bühnenausstattung und Musik kultivierte. Den 1906 dazugebauten Kammerspielen setzte Reinhardt Ibsen, Sternheim, Strindberg, Wedekind durch. Um nicht nur das "Bildungsbürgertum" zu befriedigen, konzipierte er ein "Theater der 5000", verwirklichte es in Hallen, Kirchen, Zirkusarenen, öffentlichen Plätzen, eröffnete 1919 das Große Schauspielhaus in Berlin mit der "Orestie", 1920 die Salzburger Festspiele mit "Jedermann".

Lebenswerk für Deutschland

Die Nationaltheater AG, in der Reinhardt schließlich mehr als ein Dutzend Bühnen zusammengeschlossen hatte, verschuldete sich in einem Maße, daß die Nazis rechtlich nur noch die Zwangsvollstreckung anzuordnen brauchten, um sich "des Juden Goldmann" zu entledigen. Es war geradezu naiv von Reinhardt, den neuen Machthabern im Juni 1933 brieflich von Oxford aus die Übernahme seines Lebenswerkes für "Deutschland" anzubieten.

Über Reinhardts unaufhaltsamen Abstieg aus dem Ruhm 1938 wurde er auch aus Österreich vertrieben, wo er sich im Theater in der Josefstadt in Wien eine Theaterbasis, auf Schloß Leopoldskron bei Salzburg ein Refugium geschaffen hatte gibt jetzt der von Hugo Wetscherek herausgegebene Katalog der "Sammlung Dr. Jürgen Stein" erhellende Auskünfte. Besonders der Briefwechsel zwischen Reinhardt und seiner zweiten Frau Helene Thimig belegt, wie dieser Abstieg in nicht mehr zu verbergender Verarmung, Rat- und Hilflosigkeit endete, bevor Reinhardt knapp nach seinem 70. Geburtstag Ende Oktober 1943 in New York verstarb. Erschütternd auch die Hilfeschreie von Reinhardts Familienangehörigen, ihnen materiell beizustehen und emigrieren zu helfen.

Es gibt viele Gründe, sich heute ein zentrales Max-Reinhardt-Archiv zu wünschen. Aber der einschlägige Nachlaß ist zersplittert. Die Erben Max Reinhardts, seine Söhne Wolfgang und Gottfried aus der Ehe mit Else Heims, und die zweite Ehefrau Helene Thimig verfuhren mit dem Nachlaß nach dem Faustrecht. Gottfried Reinhardt hat es 1967 auf die Formulierung gebracht: "In diesem Fall unterstelle ich als vereinbart, daß jeder der Beteiligten das Recht hat, die in seinem Besitz befindlichen Werke meines verstorbenen Vaters allein und ausschließlich zu verwerten."

So wurde schließlich zwischen einem kalifornischen, einem New Yorker, einem österreichischen und einem deutschen Nachlaßbestand unterschieden. Bereits 1950 wurde die Bibliothek Max Reinhardts, die er im Exil in Los Angeles angelegt hatte, an die Universität Südkalifornien veräußert. 1952 kamen in Kalifornien 178 Regiebücher Max Reinhardts zur Versteigerung, die Helene Thimig, die 1948 nach Österreich zurückgekehrt war, als ihr Eigentum betrachtete. Ersteigert wurden sie in Anwesenheit von Gottfried Reinhardt für ganze 1 335 Dollar von Marylin Monroe. Später kaufte Gottfried Reinhardt die Bücher zurück und verkaufte sie erneut an die New Yorker Staatsuniversität, als diese in den Sechzigern ein Max-Reinhardt-Archiv in Binghamton einrichtete.

Die Sammlung Stein

Helene Thimig vermachte zwar den Großteil des literarischen Nachlasses der Österreichischen Nationalbibliothek, ließ aber 1969 durch Sotheby s in London bildkünstlerische Dokumente, aber auch Regiebücher versteigern, auf die zumindest Gottfried Mitansprüche erhob. Am kuriosesten war das Zustandekommen der "Sammlung Dr. Jürgen Stein". Der Kurator Alfred Brooks, der mit dem Aufkauf von Reinhardtiana für das Max-Reinhardt-Archiv in Binghamton beauftragt war, erwarb eine ganze Menge für sich selber. Seine Witwe verkaufte sie 1981 an den Theaterwissenschaftler Jürgen Stein, der sie mit nach Wien brachte. Darunter befindet sich der gesamte Briefwechsel zwischen Max Reinhardt und Helene Thimig, der Briefwechsel, den Reinhardts Sekretärin Gusti Adler führte, Briefe vor allem Gottfrieds an seinen Vater und ganze Konvolute über die Eigentums- und Erbrechte an Schloß Leopoldskron und anderen Objekten.

Der Verkehrswert der "Sammlung Stein" wird heute auf 1,27 Millionen Mark veranschlagt. Sie wurde auch der Senatsverwaltung für Kultur in Berlin für 900 000 Mark angeboten, die aber auf das Angebot nicht reagierte. Jetzt ist der Antiquar Hugo Wetscherek Bevollmächtigter Steins. Da weder die Österreichische Nationalbibliothek noch das Österreichische Theatermuseum, in denen sich wesentliche Reinhardtiana befinden, das benötigte Geld für den Erwerb haben, will jetzt der Wiener Stadtrat für Kultur Peter Marboe, der den Berlinern schon den Nachlaß von Arnold Schönberg verkaufte, die Sammlung für die Wiener Stadt- und Landesbibliothek erwerben. Vorsorglich hat das Österreichische Bundesdenkmalamt bereits ein Ausfuhr-Verbot verhängt.

Max Reinhardt: Aus Amerika zurück nach Wien

Zum 125. Geburtstag des "Theaterzauberers" Max Reinhardt kaufte die Stadt Wien den letzten größeren und am Markt angeboten Bestand aus seinem Nachlaß.

Der größte Bestand an Reinhardt-Dokumenten verwahrt das Österreichische Theatermuseum - ein Geschenk der Witwe Helene Thimig. Der wissenschaftlich wertvollste, nämlich beinahe alle Regiebücher, wurde vom (verstorbenen) Reinhardt-Forscher Alfred Brooks der State University of New York at Binghamton verkauft - die Kopien davon liegen in der Reinhardt-Forschungs- und Gedenkstätte in Salzburg. Den Ankauf des letzten verfügbaren großen Bestandes durch die Wiener Stadt- und Landesbibliothek konnte Ende Juli Kulturstadtrat Peter Marboe ankündigen; die Sammlung Dr. Stein. Ein Teil davon geht übrigens ebenfalls auf den Enthusiasten Alfred Brooks zurück und war ursprünglich für SUNY Binghamton bestimmt. Doch Brooks zog manches wieder ab, seine Witwe verkaufte an den in New York tätig gewesenen Wissenschaftler Dr. Jürgen Stein. Er brauchte in Wien viele Jahre, um eine öffentliche Stelle dafür zu interessieren. Als Verkäufer trat nun das Antiquariat INLIBRIS auf. Der Kaufpreis von 8,42 Millionen Schilling fußt auf einem Schätzgutachten, das das Bundesdenkmalamt in Auftrag gegeben hat. Die Sammlung enthält neben rund 600 Briefen und Telegrammen Reinhardts auch Manuskripte und theatralische Skizzen zu Reinhardts Regietätigkeit und Dokumente in Zusammenhang mit der Vertreibung ins Exil, sowie einen Teil der Bibliothek aus Schloß Leopoldskron in Salzburg.Vor kurzem hat die Stadt- und Landesbibliothek ihre Karl-Kraus-Sammlung (die größte der Welt) mit einem Teilnachlaß ergänzt: Um zehn Millionen Schilling wurden rund 2000 Blatt in eigener Handschrift und zahlreiche Druckfahnen mit Korrekturanweisungen vom Antiquariat Hassfurther erworben. Kulturstadtrat Peter Marboe konnte am Dienstag bei der Pressekonferenz des Wiener Bürgermeisters auch auf andere von ihm finalisierte bzw. veranlaßte Nachlaß-Erwerbungen hinweisen: Schönberg, Zemlinsky, Krenek, Kiesler und Spielmann wurden von der Stadt Wien "heimgeholt".

Wien erwirbt Nachlaß von Max Reinhardt

Wien - Die Stadt Wien erwirbt für die Stadt- und Landesbibliothek das umfangreiche Max-Reinhardt-Archiv, das sich, wie DER STANDARD am 28. Mai berichtete, schon seit zehn Jahren in Privatbesitz in Österreich befindet.

Laut Hugo Wetscherek, einem Wiener Antiquar, der sich im Besitz der Verwertungsrechte befindet, einigte man sich auf eine Summe von 8,42 Millionen Schilling für das "hochrangige Kulturgut", über das eine Ausfuhrsperre verhängt wurde. Heute, Dienstag, werden Kulturstadtrat Peter Marboe und Bürgermeister Michael Häupl die Erwerbung kundtun. Da schon der Ankauf eines Teilnachlasses von Karl Kraus (um zehn Millionen Schilling) vor wenigen Wochen nur durch Umschichtungen im Kulturbudget vonstatten gehen konnte, stimmte Häupl nun im Fall Reinhardt einer Sonderfinanzierung zu.

Der deutsche Theaterwissenschaftler Jürgen Stein hatte das in New York zusammengetragene Archiv 1981 erworben. Es umfaßt rund 2200 Objekte - mehr als 50 Prozent der gesamten Dokumente zu und von Max Reinhardt, darunter den kompletten Briefwechsel zwischen dem Regisseur und seiner Frau Helene Thimig. Des weiteren befinden sich in dem Konvolut fünf Regiebücher, Dokumente zum Theater in der Josefstadt und Bühnenbildentwürfe von Caspar Neher und Lovis Corinth.

Rezension: Max Reinhardt. Manuskripte, Briefe, Dokumente (FAZ)

Rezension in: FAZ, 17.06.1998, Nr. 137
Rezensent: Ulrich Weinzierl

Zauberer mit 1700 Nummern

Katalog einer Legende: Der Nachlaß des Regisseurs Max Reinhardt gehört nach Wien

Er war der Erfinder der Spezies Regisseur, wenigstens in der Personalunion von Künstler und Star. Stets galt er in seinem Metier und außerhalb als großer Verzauberer und Liebhaber; er konnte Massen ebenso inszenieren wie das subtilste Kammerspiel der Gefühle: Max Reinhardt ist im ersten Drittel unseres Jahrhunderts der ungekrönte König des deutsch-österreichischen Theaters gewesen. In mehr als einem Dutzend Berliner Bühnen hatte der Konzern- und Schlossherr zwischen 1902 und 1933 das Sagen. Als der Emigrant 1943 in einem New Yorker Hotel verstarb, ging eine Epoche zu Ende, die Reinhardt-Legende überdauerte indes sämtliche Stile und Moden bis heute.

Vergleichbar zählebig erwies sich der Kampf um sein materielles Vermächtnis. Er reicht bis zum jüngsten, noch nicht beigelegten Restitutionskonflikt rund um das Berliner Deutsche Theater. Auch die Erben - Reinhardts Kinder und seine zweite Frau, Helene Thimig - hatten einander sehr zur Freude der Anwälte von Anfang an nicht das geringste erspart und kaum etwas geschenkt. Nicht zuletzt der aktenmäßige Niederschlag dieser Auseinandersetzungen kommt nun ans Licht der Öffentlichkeit.

Vor kurzem nämlich hat ein junger Wiener Antiquar, Hugo Wetscherek, einen hervorragend edierten Katalog herausgebracht, der einen beträchtlichen Teil des schriftlichen Nachlasses von Max Reinhardt detailliert beschreibt. Der zitatenschwere, zudem mit der ersten umfassenden Reinhardt-Bibliographie angereicherte Band gehört in jede theaterwissenschaftliche Bibliothek. Dabei ist die penible archivalische Erfassung bloß das Nebenprodukt in die Länge gezogener Ankaufsverhandlungen mit der öffentlichen Hand in Österreich. [...]

In dem vom Katalog ausgebreiteten Material mit rund 1700 Nummern steckt eine gewaltige Fülle biographischer, kultur- und zeitgeschichtlicher Informationen. Insbesondere im kompletten Briefwechsel zwischen Max Reinhardt und Helene Thimig aus den Jahren 1917 bis 1943. Ferner in der Korrespondenz mit Gusti Adler und Reinhardts anderer Helferin Karla von Müffling. Neben Restbeständen der Bibliothek aus Schloss Leopoldskron, der Salzburger Sommerresidenz Reinhardts (darunter ein Prachtband über die Versailler Feste Ludwigs XIV.), Hofmannsthal-Autographen, Original-Blättern von Orlik und Corinth finden sich auch aufschlussreiche Dokumente über Reinhardts Scheidung von Else Heims, seine prekäre Finanzsituation, den Zugriff der Nationalsozialisten auf seinen Leopoldskroner Besitz und dessen Rückerstattung nach 1945. Am meisten beeindrucken die Lebenszeichen aus der Emigration, die von Not und Verzweiflung berichten.

Im November 1938 beklagte Max Reinhardt seiner Frau Helene gegenüber das grauenhafte Unrecht in Deutschland: "Es wäre vielleicht leichter zu ertragen, wenn das alles die fluchwürdige Tat eines bösen Genies wäre. Es ist aber ein rasender Tollhäusler, der mit gezücktem Messer herumläuft und herumbrüllt. Dabei werden die Wehrlosen zu Tode gemartert."